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Moser, Friedrich Carl von: Politische Wahrheiten. Bd. 2. Zürich, 1796.

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heit, aus dem Gebet-Buch, das er von seiner
Jugend an gebraucht, sein Morgen-Gebet mit
lauter Stimme abzulesen. Sein Sohn und Nach-
folger, Ludwig der VIII. stuhnd einst mit sei-
nem Liebling von Mümigerode an der Thüre
des Cabinets, und wartete, biss der Herr Vater
mit seinem Morgen-Seegen fertig seyn würde.
Indem sie ihn behorchten, betete der alte 74.
jährige Fürst: Ach Herr! nimm mich nicht
weg in der Hälfte meiner Tage
!
Der Erb-
prinz stiess seinen Freund an, und sagte: Hörst
du, Mümigerode, was mein Vater betet?
Ich muss noch lange Erb-Prinz bleiben
.


Ein anderer Erb-Prinz sagte: Gott weiss,
dass ich meines Herrn Vaters Tod nicht
wünsche; ich weiss aber auch vor den Teu-
fel nicht, wie ein Mensch so lang leben
mag
.
So, just so, denkt auch sein Sohn; und
so wird's auf den Enkel und Ur-Enkel fortgehen.

"Sein Sohn (es ist von dem Sohn eines sehr
reich gewordenen Banquier die Rede) ist ein
braver guter Mann, der unendlich mehr weiss,
als der Vater, aber nicht, wie er, fortschreitet;
nicht die Ordnung in seiner Sache hat; nicht
zunimmt, wie er; und die Söhne von diesem

heit, aus dem Gebet-Buch, das er von seiner
Jugend an gebraucht, sein Morgen-Gebet mit
lauter Stimme abzulesen. Sein Sohn und Nach-
folger, Ludwig der VIII. stuhnd einst mit sei-
nem Liebling von Mümigerode an der Thüre
des Cabinets, und wartete, biſs der Herr Vater
mit seinem Morgen-Seegen fertig seyn würde.
Indem sie ihn behorchten, betete der alte 74.
jährige Fürst: Ach Herr! nimm mich nicht
weg in der Hälfte meiner Tage
!
Der Erb-
prinz stieſs seinen Freund an, und sagte: Hörst
du, Mümigerode, was mein Vater betet?
Ich muſs noch lange Erb-Prinz bleiben
.


Ein anderer Erb-Prinz sagte: Gott weiſs,
daſs ich meines Herrn Vaters Tod nicht
wünsche; ich weiſs aber auch vor den Teu-
fel nicht, wie ein Mensch so lang leben
mag
.
So, just so, denkt auch sein Sohn; und
so wird’s auf den Enkel und Ur-Enkel fortgehen.

„Sein Sohn (es ist von dem Sohn eines sehr
reich gewordenen Banquier die Rede) ist ein
braver guter Mann, der unendlich mehr weiſs,
als der Vater, aber nicht, wie er, fortschreitet;
nicht die Ordnung in seiner Sache hat; nicht
zunimmt, wie er; und die Söhne von diesem

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[236/0242] heit, aus dem Gebet-Buch, das er von seiner Jugend an gebraucht, sein Morgen-Gebet mit lauter Stimme abzulesen. Sein Sohn und Nach- folger, Ludwig der VIII. stuhnd einst mit sei- nem Liebling von Mümigerode an der Thüre des Cabinets, und wartete, biſs der Herr Vater mit seinem Morgen-Seegen fertig seyn würde. Indem sie ihn behorchten, betete der alte 74. jährige Fürst: Ach Herr! nimm mich nicht weg in der Hälfte meiner Tage! Der Erb- prinz stieſs seinen Freund an, und sagte: Hörst du, Mümigerode, was mein Vater betet? Ich muſs noch lange Erb-Prinz bleiben. Ein anderer Erb-Prinz sagte: Gott weiſs, daſs ich meines Herrn Vaters Tod nicht wünsche; ich weiſs aber auch vor den Teu- fel nicht, wie ein Mensch so lang leben mag. So, just so, denkt auch sein Sohn; und so wird’s auf den Enkel und Ur-Enkel fortgehen. „Sein Sohn (es ist von dem Sohn eines sehr reich gewordenen Banquier die Rede) ist ein braver guter Mann, der unendlich mehr weiſs, als der Vater, aber nicht, wie er, fortschreitet; nicht die Ordnung in seiner Sache hat; nicht zunimmt, wie er; und die Söhne von diesem

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Zitationshilfe: Moser, Friedrich Carl von: Politische Wahrheiten. Bd. 2. Zürich, 1796, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moser_politische02_1796/242>, abgerufen am 25.04.2024.