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Müller, Adam Heinrich: Versuche einer neuen Theorie des Geldes mit besonderer Rücksicht auf Großbritannien. Leipzig u. a., 1816.

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So bald man ein solches umfassendes Bild von der Haus-
haltung eines Staates vor der Seele entworfen hat, so hat
man vieles gewonnen, aber das Schwerste ist noch zurück:
um von dem Leben dieses großen Körpers Rechenschaft geben,
um das gymnastisch und medicinisch ihm Räthliche und Er-
sprießliche zeigen zu können, muß man ihn in der Bewegung,
in vielerley Stellungen und Zuständen gesehen haben. Seine
Organe, seine Muskeln, seine Umrisse, werden noch eine viel
tiefere Bedeutung erhalten, wir werden noch ein ganz anderes
Bild vor unserer Seele erhalten, wenn wir ihm im Laufe
durch lange Jahre gefolgt sind. Dieß ist so schwer als uner-
läßlich: die Geschichte schweigt über die ökonomischen Be-
wegungen der Völker, oder gibt uns wenige, unzusammen-
hängende Fragmente. Was sie indeß gibt, muß mit Gehor-
sam und Hingebung gebraucht werden. Das Allerwesentlichste
aber kann die Seele des Betrachters, aus sich selbst, aus
ihrer eigenen Haushaltung, aus der umgebenden Welt her-
nehmen, die besonders in unsern Tagen ökonomische Revolu-
tionen von allen Formen und Farben darbiethet.

Es kommt also nicht bloß darauf an, die ökonomischen
Gebiete und Geschäfte unseres Staates in ihren wahren Ver-
hältnissen, neben einander symmetrisch zu übersehen; wir
können uns durch das Räumliche nicht zufrieden stellen
lassen, sondern wir müssen, weil die ökonomischen Opera-
tionen Zeit brauchen, sich zu entwickeln, weil es in der
Oekonomie vielfältiges scheinbares Gleichgewicht gibt, dessen
Wesenlosigkeit sich nur im Fortgange der Zeit ausweist,
kurz, weil die Dauer die Probe aller ökonomischen Werthe ist,

So bald man ein ſolches umfaſſendes Bild von der Haus-
haltung eines Staates vor der Seele entworfen hat, ſo hat
man vieles gewonnen, aber das Schwerſte iſt noch zuruͤck:
um von dem Leben dieſes großen Koͤrpers Rechenſchaft geben,
um das gymnaſtiſch und mediciniſch ihm Raͤthliche und Er-
ſprießliche zeigen zu koͤnnen, muß man ihn in der Bewegung,
in vielerley Stellungen und Zuſtaͤnden geſehen haben. Seine
Organe, ſeine Muskeln, ſeine Umriſſe, werden noch eine viel
tiefere Bedeutung erhalten, wir werden noch ein ganz anderes
Bild vor unſerer Seele erhalten, wenn wir ihm im Laufe
durch lange Jahre gefolgt ſind. Dieß iſt ſo ſchwer als uner-
laͤßlich: die Geſchichte ſchweigt uͤber die oͤkonomiſchen Be-
wegungen der Voͤlker, oder gibt uns wenige, unzuſammen-
haͤngende Fragmente. Was ſie indeß gibt, muß mit Gehor-
ſam und Hingebung gebraucht werden. Das Allerweſentlichſte
aber kann die Seele des Betrachters, aus ſich ſelbſt, aus
ihrer eigenen Haushaltung, aus der umgebenden Welt her-
nehmen, die beſonders in unſern Tagen oͤkonomiſche Revolu-
tionen von allen Formen und Farben darbiethet.

Es kommt alſo nicht bloß darauf an, die oͤkonomiſchen
Gebiete und Geſchaͤfte unſeres Staates in ihren wahren Ver-
haͤltniſſen, neben einander ſymmetriſch zu uͤberſehen; wir
koͤnnen uns durch das Raͤumliche nicht zufrieden ſtellen
laſſen, ſondern wir muͤſſen, weil die oͤkonomiſchen Opera-
tionen Zeit brauchen, ſich zu entwickeln, weil es in der
Oekonomie vielfaͤltiges ſcheinbares Gleichgewicht gibt, deſſen
Weſenloſigkeit ſich nur im Fortgange der Zeit ausweiſt,
kurz, weil die Dauer die Probe aller oͤkonomiſchen Werthe iſt,

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[50/0064] So bald man ein ſolches umfaſſendes Bild von der Haus- haltung eines Staates vor der Seele entworfen hat, ſo hat man vieles gewonnen, aber das Schwerſte iſt noch zuruͤck: um von dem Leben dieſes großen Koͤrpers Rechenſchaft geben, um das gymnaſtiſch und mediciniſch ihm Raͤthliche und Er- ſprießliche zeigen zu koͤnnen, muß man ihn in der Bewegung, in vielerley Stellungen und Zuſtaͤnden geſehen haben. Seine Organe, ſeine Muskeln, ſeine Umriſſe, werden noch eine viel tiefere Bedeutung erhalten, wir werden noch ein ganz anderes Bild vor unſerer Seele erhalten, wenn wir ihm im Laufe durch lange Jahre gefolgt ſind. Dieß iſt ſo ſchwer als uner- laͤßlich: die Geſchichte ſchweigt uͤber die oͤkonomiſchen Be- wegungen der Voͤlker, oder gibt uns wenige, unzuſammen- haͤngende Fragmente. Was ſie indeß gibt, muß mit Gehor- ſam und Hingebung gebraucht werden. Das Allerweſentlichſte aber kann die Seele des Betrachters, aus ſich ſelbſt, aus ihrer eigenen Haushaltung, aus der umgebenden Welt her- nehmen, die beſonders in unſern Tagen oͤkonomiſche Revolu- tionen von allen Formen und Farben darbiethet. Es kommt alſo nicht bloß darauf an, die oͤkonomiſchen Gebiete und Geſchaͤfte unſeres Staates in ihren wahren Ver- haͤltniſſen, neben einander ſymmetriſch zu uͤberſehen; wir koͤnnen uns durch das Raͤumliche nicht zufrieden ſtellen laſſen, ſondern wir muͤſſen, weil die oͤkonomiſchen Opera- tionen Zeit brauchen, ſich zu entwickeln, weil es in der Oekonomie vielfaͤltiges ſcheinbares Gleichgewicht gibt, deſſen Weſenloſigkeit ſich nur im Fortgange der Zeit ausweiſt, kurz, weil die Dauer die Probe aller oͤkonomiſchen Werthe iſt,

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Zitationshilfe: Müller, Adam Heinrich: Versuche einer neuen Theorie des Geldes mit besonderer Rücksicht auf Großbritannien. Leipzig u. a., 1816. , S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_geld_1816/64>, abgerufen am 29.03.2024.