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Müller, Johannes: Über die phantastischen Gesichtserscheinungen. Koblenz, 1826.

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Phantasmen verschiedener Sinne, wenn sie verbunden
gleichzeitig vorkommen, in den verschiedenen Sinnen nicht
verschiedene Rollen spielen, sondern harmonisch zusammen-
wirken, wie im Traume, so kann jene Vorstellung nicht
richtig seyn, und wir erschließen, daß die Phantasie als
ein Einfaches von dem Mehrfachen, durch besondere En-
ergieen, Licht, Ton, Wärme u. s. w. Unterschiedenen der ein-
zelnen Sinne Verschiedenes sey. Denn die Lebensform der
Phantasie ist dichtende Vorstellung, nicht Empfindung des
Sinnlichen, und wie verschiedenartig die Lebensformen
und Energieen der einzelnen Sinne sind, die Phantasie
bleibt, auch alles dieß Verschiedene vorstellend, bei ihrer
Lebensform: die dichtende Vorstellung.

166.

Wenn es daher leuchtende Phantasmen giebt, so sind dieß
Wirkungen des Einen, welches vorstellt, auf das Andere,
welches leuchtet in seinen Affectionen durch ein Anderes,
Wirkungen des Phantasticon auf den Sinn, wodurch das
in der Lebensform des Phantasticon Vorgestellte Phanta-
stische in der Lebensform dieses oder jenes Sinnes, bald
leuchtend, bald tönend wird. Die Welt der Vorstellun-
gen, welche auf die Sinnessubstanz wirken kann, verhält
sich daher zu dieser als Mittel der Reizung so gut und eben
so wie die äußere Welt der Objecte. Beide sind weder
leuchtend, noch tönend, noch warm, aber ihre Wirkungen
auf die Sinne sind es nach der Art der Sinne.

167.

In den Erscheinungen, die wir bisher in ih-
rem ganzen Umfange dargestellt haben, gehört daher das
Bilden, Bewegen, Verwandeln der Formen nicht dem
Sinn sondern dem Vorstellenden an. Da dieses lebendige
Formenschaffen und Verwandeln in der Form der Vor-

Phantasmen verſchiedener Sinne, wenn ſie verbunden
gleichzeitig vorkommen, in den verſchiedenen Sinnen nicht
verſchiedene Rollen ſpielen, ſondern harmoniſch zuſammen-
wirken, wie im Traume, ſo kann jene Vorſtellung nicht
richtig ſeyn, und wir erſchließen, daß die Phantaſie als
ein Einfaches von dem Mehrfachen, durch beſondere En-
ergieen, Licht, Ton, Waͤrme u. ſ. w. Unterſchiedenen der ein-
zelnen Sinne Verſchiedenes ſey. Denn die Lebensform der
Phantaſie iſt dichtende Vorſtellung, nicht Empfindung des
Sinnlichen, und wie verſchiedenartig die Lebensformen
und Energieen der einzelnen Sinne ſind, die Phantaſie
bleibt, auch alles dieß Verſchiedene vorſtellend, bei ihrer
Lebensform: die dichtende Vorſtellung.

166.

Wenn es daher leuchtende Phantasmen giebt, ſo ſind dieß
Wirkungen des Einen, welches vorſtellt, auf das Andere,
welches leuchtet in ſeinen Affectionen durch ein Anderes,
Wirkungen des Phantaſticon auf den Sinn, wodurch das
in der Lebensform des Phantaſticon Vorgeſtellte Phanta-
ſtiſche in der Lebensform dieſes oder jenes Sinnes, bald
leuchtend, bald toͤnend wird. Die Welt der Vorſtellun-
gen, welche auf die Sinnesſubſtanz wirken kann, verhaͤlt
ſich daher zu dieſer als Mittel der Reizung ſo gut und eben
ſo wie die aͤußere Welt der Objecte. Beide ſind weder
leuchtend, noch toͤnend, noch warm, aber ihre Wirkungen
auf die Sinne ſind es nach der Art der Sinne.

167.

In den Erſcheinungen, die wir bisher in ih-
rem ganzen Umfange dargeſtellt haben, gehoͤrt daher das
Bilden, Bewegen, Verwandeln der Formen nicht dem
Sinn ſondern dem Vorſtellenden an. Da dieſes lebendige
Formenſchaffen und Verwandeln in der Form der Vor-

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[94/0110] Phantasmen verſchiedener Sinne, wenn ſie verbunden gleichzeitig vorkommen, in den verſchiedenen Sinnen nicht verſchiedene Rollen ſpielen, ſondern harmoniſch zuſammen- wirken, wie im Traume, ſo kann jene Vorſtellung nicht richtig ſeyn, und wir erſchließen, daß die Phantaſie als ein Einfaches von dem Mehrfachen, durch beſondere En- ergieen, Licht, Ton, Waͤrme u. ſ. w. Unterſchiedenen der ein- zelnen Sinne Verſchiedenes ſey. Denn die Lebensform der Phantaſie iſt dichtende Vorſtellung, nicht Empfindung des Sinnlichen, und wie verſchiedenartig die Lebensformen und Energieen der einzelnen Sinne ſind, die Phantaſie bleibt, auch alles dieß Verſchiedene vorſtellend, bei ihrer Lebensform: die dichtende Vorſtellung. 166. Wenn es daher leuchtende Phantasmen giebt, ſo ſind dieß Wirkungen des Einen, welches vorſtellt, auf das Andere, welches leuchtet in ſeinen Affectionen durch ein Anderes, Wirkungen des Phantaſticon auf den Sinn, wodurch das in der Lebensform des Phantaſticon Vorgeſtellte Phanta- ſtiſche in der Lebensform dieſes oder jenes Sinnes, bald leuchtend, bald toͤnend wird. Die Welt der Vorſtellun- gen, welche auf die Sinnesſubſtanz wirken kann, verhaͤlt ſich daher zu dieſer als Mittel der Reizung ſo gut und eben ſo wie die aͤußere Welt der Objecte. Beide ſind weder leuchtend, noch toͤnend, noch warm, aber ihre Wirkungen auf die Sinne ſind es nach der Art der Sinne. 167. In den Erſcheinungen, die wir bisher in ih- rem ganzen Umfange dargeſtellt haben, gehoͤrt daher das Bilden, Bewegen, Verwandeln der Formen nicht dem Sinn ſondern dem Vorſtellenden an. Da dieſes lebendige Formenſchaffen und Verwandeln in der Form der Vor-

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Zitationshilfe: Müller, Johannes: Über die phantastischen Gesichtserscheinungen. Koblenz, 1826, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_gesichtserscheinungen_1826/110>, abgerufen am 19.04.2024.