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Müller, Johannes: Über die phantastischen Gesichtserscheinungen. Koblenz, 1826.

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Sehnerve gegen jedes Aeußere, gleichviel welches, leuchtet, so
bleibt dem Gedanken kein vernünftiger Grund übrig, war-
um er auch noch Schmerz und Lust empfinden soll. Dem
physiologischen Gedanken erscheint daher jene ganze Unter-
suchung über den Mangel des Schmerzgefühls im Sehner-
ven als eine Mystification des Untersuchenden.

10.

Freilich sind diese Grundsätze, die sich auf die bewährteste
Erfahrung gründen, verschieden von den sogenannten opti-
schen Lehren und von der gewöhnlichen Ansicht. Diese
Lehren beruhen aber, mit Ausnahme der rein optisch mathe-
mathischen Bestimmungen über die Bewegung des Elemen-
tarischen durch die Medien des Auges, auf den offenbarsten
physiologischen Widersprüchen. Wie sollte, wenn es ein
äußeres selbst Leuchtendes gäbe, dieses objective Licht bis
zum Subjectiven gelangend auch subjectiv leuchtend em-
pfunden werden? Dieß ist in Ewigkeit nicht einzusehen.
Mag aber das äußere Licht leuchtend seyn, wenn die
Sehsinnsubstanz in der Affection nicht selbst leuchtend ist,
das Aeußere wird das Markgebilde berühren, dieses wird durch
jenes in Affection seyn, aber daß dasjenige, welches überhaupt
nur seine Affection, nie ein Aeußeres selbst empfinden kann,
hiedurch Licht sehen soll, hat es durchaus keinen Grund,
Man könnte ebensogut und mit demselben Unrecht sagen,
daß es töne, daß es erwärmt sey, daß es schmecke.

11.

Platon fühlte diesen Widerspruch, er nahm ein
Selbstleuchten des Auges an, dessen Licht dem äußern auch
leuchtenden Licht entgegen komme. Wozu aber das? Wenn
das Auge jede Affection von welcher Art immer leuchtend
empfindet, wozu bedarf es eines äußern schon fertigen Lich-
tes, einer fertigen äußeren Empfindung? Das äußere so-

Sehnerve gegen jedes Aeußere, gleichviel welches, leuchtet, ſo
bleibt dem Gedanken kein vernuͤnftiger Grund uͤbrig, war-
um er auch noch Schmerz und Luſt empfinden ſoll. Dem
phyſiologiſchen Gedanken erſcheint daher jene ganze Unter-
ſuchung uͤber den Mangel des Schmerzgefuͤhls im Sehner-
ven als eine Myſtification des Unterſuchenden.

10.

Freilich ſind dieſe Grundſaͤtze, die ſich auf die bewaͤhrteſte
Erfahrung gruͤnden, verſchieden von den ſogenannten opti-
ſchen Lehren und von der gewoͤhnlichen Anſicht. Dieſe
Lehren beruhen aber, mit Ausnahme der rein optiſch mathe-
mathiſchen Beſtimmungen uͤber die Bewegung des Elemen-
tariſchen durch die Medien des Auges, auf den offenbarſten
phyſiologiſchen Widerſpruͤchen. Wie ſollte, wenn es ein
aͤußeres ſelbſt Leuchtendes gaͤbe, dieſes objective Licht bis
zum Subjectiven gelangend auch ſubjectiv leuchtend em-
pfunden werden? Dieß iſt in Ewigkeit nicht einzuſehen.
Mag aber das aͤußere Licht leuchtend ſeyn, wenn die
Sehſinnſubſtanz in der Affection nicht ſelbſt leuchtend iſt,
das Aeußere wird das Markgebilde beruͤhren, dieſes wird durch
jenes in Affection ſeyn, aber daß dasjenige, welches uͤberhaupt
nur ſeine Affection, nie ein Aeußeres ſelbſt empfinden kann,
hiedurch Licht ſehen ſoll, hat es durchaus keinen Grund,
Man koͤnnte ebenſogut und mit demſelben Unrecht ſagen,
daß es toͤne, daß es erwaͤrmt ſey, daß es ſchmecke.

11.

Platon fuͤhlte dieſen Widerſpruch, er nahm ein
Selbſtleuchten des Auges an, deſſen Licht dem aͤußern auch
leuchtenden Licht entgegen komme. Wozu aber das? Wenn
das Auge jede Affection von welcher Art immer leuchtend
empfindet, wozu bedarf es eines aͤußern ſchon fertigen Lich-
tes, einer fertigen aͤußeren Empfindung? Das aͤußere ſo-

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[8/0024] Sehnerve gegen jedes Aeußere, gleichviel welches, leuchtet, ſo bleibt dem Gedanken kein vernuͤnftiger Grund uͤbrig, war- um er auch noch Schmerz und Luſt empfinden ſoll. Dem phyſiologiſchen Gedanken erſcheint daher jene ganze Unter- ſuchung uͤber den Mangel des Schmerzgefuͤhls im Sehner- ven als eine Myſtification des Unterſuchenden. 10. Freilich ſind dieſe Grundſaͤtze, die ſich auf die bewaͤhrteſte Erfahrung gruͤnden, verſchieden von den ſogenannten opti- ſchen Lehren und von der gewoͤhnlichen Anſicht. Dieſe Lehren beruhen aber, mit Ausnahme der rein optiſch mathe- mathiſchen Beſtimmungen uͤber die Bewegung des Elemen- tariſchen durch die Medien des Auges, auf den offenbarſten phyſiologiſchen Widerſpruͤchen. Wie ſollte, wenn es ein aͤußeres ſelbſt Leuchtendes gaͤbe, dieſes objective Licht bis zum Subjectiven gelangend auch ſubjectiv leuchtend em- pfunden werden? Dieß iſt in Ewigkeit nicht einzuſehen. Mag aber das aͤußere Licht leuchtend ſeyn, wenn die Sehſinnſubſtanz in der Affection nicht ſelbſt leuchtend iſt, das Aeußere wird das Markgebilde beruͤhren, dieſes wird durch jenes in Affection ſeyn, aber daß dasjenige, welches uͤberhaupt nur ſeine Affection, nie ein Aeußeres ſelbſt empfinden kann, hiedurch Licht ſehen ſoll, hat es durchaus keinen Grund, Man koͤnnte ebenſogut und mit demſelben Unrecht ſagen, daß es toͤne, daß es erwaͤrmt ſey, daß es ſchmecke. 11. Platon fuͤhlte dieſen Widerſpruch, er nahm ein Selbſtleuchten des Auges an, deſſen Licht dem aͤußern auch leuchtenden Licht entgegen komme. Wozu aber das? Wenn das Auge jede Affection von welcher Art immer leuchtend empfindet, wozu bedarf es eines aͤußern ſchon fertigen Lich- tes, einer fertigen aͤußeren Empfindung? Das aͤußere ſo-

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Zitationshilfe: Müller, Johannes: Über die phantastischen Gesichtserscheinungen. Koblenz, 1826, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_gesichtserscheinungen_1826/24>, abgerufen am 28.03.2024.