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Müller, Johannes: Über die phantastischen Gesichtserscheinungen. Koblenz, 1826.

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den Selbstbeobachtungen über die Phantasiebilder vor dem
Einschlafen habe ich mich häufig über dem Anfange des wirkli-
chen Traumes überrascht. Der wirkliche Traum, mit Einschlä-
fern der Reflexion und Anerkennung der Objectivität der Phan-
siebilder, tritt am leichtesten und unmittelbarsten dann ein,
wenn an die Stelle der Dunkelheit nach und nach die inne-
re subjective Erhellung des Sehfeldes getreten ist. Du
hast lange Zeit die einzelnen hellen Phantasiebilder im dun-
keln Sehfeld beobachtet, nach und nach wird aber das gan-
ze Sehfeld wie von einem Tageslichte innerlich erhellt,
deine Phantasiebilder scheinen am Tageslichte selbst zu wan-
deln. In die Anschauung dieses innern Tageslichtes und
dessen, was darin vorgeht, versenkt, und befangen hast du allen
Grund deiner wirklichen Lage zu vergessen, die dir ja keine
Sinneseindrücke ihrer Wirklichkeit aufdringt. Ruhig in
deinem Bette liegend, weißt du von diesem nichts mehr,
sondern nur von dem innern Tageslichte, du bist hundert
Meilen weit entrückt, jenachdem das innere Tageslicht an-
dere Phantasiebilder, andere Gegenden bescheint. Wohin du
dich träumest, dein Bett ist die unbewußte Trauminsel, von
der du blickest ins Tageslicht entlegener Räume. Da nun
die Phantasiebilder wirklich leuchtend sind, so träumen wir
auch fast gar nicht, daß wir im Dunkeln sind.

88.

Daher ist das Auge, bei dem Erwachen geöffnet, manch-
mal noch voll von phantastischen Bildern, die sofort durch
die Macht der äußern Eindrücke nach und nach in Lichtflecken
erlöschen. Diese Phantasiebilder des Traumes können
sich auch mit objectiven Sinneseindrücken verbinden.
Die äußeren Eindrücke verwebt der Träumende in seine
Traumerscheinung. In der Mittagszeit schlafend träumte
mir, als wenn meine Traumobjecte plötzlich von einem wun-
derbaren Lichte erhellt würden. Dieß war auch der Grund,

den Selbſtbeobachtungen uͤber die Phantaſiebilder vor dem
Einſchlafen habe ich mich haͤufig uͤber dem Anfange des wirkli-
chen Traumes uͤberraſcht. Der wirkliche Traum, mit Einſchlaͤ-
fern der Reflexion und Anerkennung der Objectivitaͤt der Phan-
ſiebilder, tritt am leichteſten und unmittelbarſten dann ein,
wenn an die Stelle der Dunkelheit nach und nach die inne-
re ſubjective Erhellung des Sehfeldes getreten iſt. Du
haſt lange Zeit die einzelnen hellen Phantaſiebilder im dun-
keln Sehfeld beobachtet, nach und nach wird aber das gan-
ze Sehfeld wie von einem Tageslichte innerlich erhellt,
deine Phantaſiebilder ſcheinen am Tageslichte ſelbſt zu wan-
deln. In die Anſchauung dieſes innern Tageslichtes und
deſſen, was darin vorgeht, verſenkt, und befangen haſt du allen
Grund deiner wirklichen Lage zu vergeſſen, die dir ja keine
Sinneseindruͤcke ihrer Wirklichkeit aufdringt. Ruhig in
deinem Bette liegend, weißt du von dieſem nichts mehr,
ſondern nur von dem innern Tageslichte, du biſt hundert
Meilen weit entruͤckt, jenachdem das innere Tageslicht an-
dere Phantaſiebilder, andere Gegenden beſcheint. Wohin du
dich traͤumeſt, dein Bett iſt die unbewußte Trauminſel, von
der du blickeſt ins Tageslicht entlegener Raͤume. Da nun
die Phantaſiebilder wirklich leuchtend ſind, ſo traͤumen wir
auch faſt gar nicht, daß wir im Dunkeln ſind.

88.

Daher iſt das Auge, bei dem Erwachen geoͤffnet, manch-
mal noch voll von phantaſtiſchen Bildern, die ſofort durch
die Macht der aͤußern Eindruͤcke nach und nach in Lichtflecken
erloͤſchen. Dieſe Phantaſiebilder des Traumes koͤnnen
ſich auch mit objectiven Sinneseindruͤcken verbinden.
Die aͤußeren Eindruͤcke verwebt der Traͤumende in ſeine
Traumerſcheinung. In der Mittagszeit ſchlafend traͤumte
mir, als wenn meine Traumobjecte ploͤtzlich von einem wun-
derbaren Lichte erhellt wuͤrden. Dieß war auch der Grund,

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[50/0066] den Selbſtbeobachtungen uͤber die Phantaſiebilder vor dem Einſchlafen habe ich mich haͤufig uͤber dem Anfange des wirkli- chen Traumes uͤberraſcht. Der wirkliche Traum, mit Einſchlaͤ- fern der Reflexion und Anerkennung der Objectivitaͤt der Phan- ſiebilder, tritt am leichteſten und unmittelbarſten dann ein, wenn an die Stelle der Dunkelheit nach und nach die inne- re ſubjective Erhellung des Sehfeldes getreten iſt. Du haſt lange Zeit die einzelnen hellen Phantaſiebilder im dun- keln Sehfeld beobachtet, nach und nach wird aber das gan- ze Sehfeld wie von einem Tageslichte innerlich erhellt, deine Phantaſiebilder ſcheinen am Tageslichte ſelbſt zu wan- deln. In die Anſchauung dieſes innern Tageslichtes und deſſen, was darin vorgeht, verſenkt, und befangen haſt du allen Grund deiner wirklichen Lage zu vergeſſen, die dir ja keine Sinneseindruͤcke ihrer Wirklichkeit aufdringt. Ruhig in deinem Bette liegend, weißt du von dieſem nichts mehr, ſondern nur von dem innern Tageslichte, du biſt hundert Meilen weit entruͤckt, jenachdem das innere Tageslicht an- dere Phantaſiebilder, andere Gegenden beſcheint. Wohin du dich traͤumeſt, dein Bett iſt die unbewußte Trauminſel, von der du blickeſt ins Tageslicht entlegener Raͤume. Da nun die Phantaſiebilder wirklich leuchtend ſind, ſo traͤumen wir auch faſt gar nicht, daß wir im Dunkeln ſind. 88. Daher iſt das Auge, bei dem Erwachen geoͤffnet, manch- mal noch voll von phantaſtiſchen Bildern, die ſofort durch die Macht der aͤußern Eindruͤcke nach und nach in Lichtflecken erloͤſchen. Dieſe Phantaſiebilder des Traumes koͤnnen ſich auch mit objectiven Sinneseindruͤcken verbinden. Die aͤußeren Eindruͤcke verwebt der Traͤumende in ſeine Traumerſcheinung. In der Mittagszeit ſchlafend traͤumte mir, als wenn meine Traumobjecte ploͤtzlich von einem wun- derbaren Lichte erhellt wuͤrden. Dieß war auch der Grund,

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Zitationshilfe: Müller, Johannes: Über die phantastischen Gesichtserscheinungen. Koblenz, 1826, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_gesichtserscheinungen_1826/66>, abgerufen am 20.04.2024.