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Müller, Johannes: Über die phantastischen Gesichtserscheinungen. Koblenz, 1826.

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daß ich erwachte. Nun sah ich, daß mich, früher im Schat-
ten gelegen, während des Schlafes eben das helle Sonnen-
licht erreicht hatte.

89.

Gruithuisen hat das Verdienst die wirkliche Sin-
neserscheinung der Traumbilder zuerst bewiesen zu haben.
Nur ist es nicht richtig, wenn er annimmt, daß diese Sin-
neserscheinung in dem Auge selbst statt findet; auch ist es un-
richtig, wenn er annimmt, daß man in der Geschichte keine
einziges Moment finde, woraus man schliessen könnte, es
habe einer gewußt, die Sinnesorgane seien im Traume eben-
so sehr in Affection, als wenn sie die geträumten Gegen-
stände in Wirklichkeit percipirten.

90.

Demokritos muß schon so etwas vorgeschwebt haben
in seiner Lehre von den Idolen, wenn er annimmt, es be-
stehe der Traum aus der Beobachtung vorbeifliessender Ab-
bildungen. Denn aus der Auffassung der von den Dingen
ausströmenden Bilder Eidola besteht ihm das objective Sehen.
Welcherlei nun seine Auslegung der Sinnesthätigkeit des
Gesichtssinnes sei, dessen Thätigkeit im Traume ist ihm die-
selbe wie ihm Wachen.

91.

Das läßt sich auch von der Lehre des Herakleitos sa-
gen. Die Sinnesthätigkeit entsteht ihm durch das Antheilhaben
an dem periekhon des Himmelsäthers. Der Unterschied des
Schlafens und Wachens ist, daß im Wachen die gött-
liche
anathumiaois aus dem periekhon nicht nur durch
das Athmen allein sondern auch durch das Ge-
sicht und den Geruch eingezogen wird, dagegen
im Schlafe die Communication mit dem
periekhon

daß ich erwachte. Nun ſah ich, daß mich, fruͤher im Schat-
ten gelegen, waͤhrend des Schlafes eben das helle Sonnen-
licht erreicht hatte.

89.

Gruithuiſen hat das Verdienſt die wirkliche Sin-
neserſcheinung der Traumbilder zuerſt bewieſen zu haben.
Nur iſt es nicht richtig, wenn er annimmt, daß dieſe Sin-
neserſcheinung in dem Auge ſelbſt ſtatt findet; auch iſt es un-
richtig, wenn er annimmt, daß man in der Geſchichte keine
einziges Moment finde, woraus man ſchlieſſen koͤnnte, es
habe einer gewußt, die Sinnesorgane ſeien im Traume eben-
ſo ſehr in Affection, als wenn ſie die getraͤumten Gegen-
ſtaͤnde in Wirklichkeit percipirten.

90.

Demokritos muß ſchon ſo etwas vorgeſchwebt haben
in ſeiner Lehre von den Idolen, wenn er annimmt, es be-
ſtehe der Traum aus der Beobachtung vorbeiflieſſender Ab-
bildungen. Denn aus der Auffaſſung der von den Dingen
ausſtroͤmenden Bilder Εἴδωλα beſteht ihm das objective Sehen.
Welcherlei nun ſeine Auslegung der Sinnesthaͤtigkeit des
Geſichtsſinnes ſei, deſſen Thaͤtigkeit im Traume iſt ihm die-
ſelbe wie ihm Wachen.

91.

Das laͤßt ſich auch von der Lehre des Herakleitos ſa-
gen. Die Sinnesthaͤtigkeit entſteht ihm durch das Antheilhaben
an dem περιέχον des Himmelsaͤthers. Der Unterſchied des
Schlafens und Wachens iſt, daß im Wachen die goͤtt-
liche
ἀναϑυμίαοις aus dem πεϱιέχον nicht nur durch
das Athmen allein ſondern auch durch das Ge-
ſicht und den Geruch eingezogen wird, dagegen
im Schlafe die Communication mit dem
πεϱιέχον

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[51/0067] daß ich erwachte. Nun ſah ich, daß mich, fruͤher im Schat- ten gelegen, waͤhrend des Schlafes eben das helle Sonnen- licht erreicht hatte. 89. Gruithuiſen hat das Verdienſt die wirkliche Sin- neserſcheinung der Traumbilder zuerſt bewieſen zu haben. Nur iſt es nicht richtig, wenn er annimmt, daß dieſe Sin- neserſcheinung in dem Auge ſelbſt ſtatt findet; auch iſt es un- richtig, wenn er annimmt, daß man in der Geſchichte keine einziges Moment finde, woraus man ſchlieſſen koͤnnte, es habe einer gewußt, die Sinnesorgane ſeien im Traume eben- ſo ſehr in Affection, als wenn ſie die getraͤumten Gegen- ſtaͤnde in Wirklichkeit percipirten. 90. Demokritos muß ſchon ſo etwas vorgeſchwebt haben in ſeiner Lehre von den Idolen, wenn er annimmt, es be- ſtehe der Traum aus der Beobachtung vorbeiflieſſender Ab- bildungen. Denn aus der Auffaſſung der von den Dingen ausſtroͤmenden Bilder Εἴδωλα beſteht ihm das objective Sehen. Welcherlei nun ſeine Auslegung der Sinnesthaͤtigkeit des Geſichtsſinnes ſei, deſſen Thaͤtigkeit im Traume iſt ihm die- ſelbe wie ihm Wachen. 91. Das laͤßt ſich auch von der Lehre des Herakleitos ſa- gen. Die Sinnesthaͤtigkeit entſteht ihm durch das Antheilhaben an dem περιέχον des Himmelsaͤthers. Der Unterſchied des Schlafens und Wachens iſt, daß im Wachen die goͤtt- liche ἀναϑυμίαοις aus dem πεϱιέχον nicht nur durch das Athmen allein ſondern auch durch das Ge- ſicht und den Geruch eingezogen wird, dagegen im Schlafe die Communication mit dem πεϱιέχον

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Zitationshilfe: Müller, Johannes: Über die phantastischen Gesichtserscheinungen. Koblenz, 1826, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_gesichtserscheinungen_1826/67>, abgerufen am 29.03.2024.