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Müller, Johannes: Über die phantastischen Gesichtserscheinungen. Koblenz, 1826.

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VII. Das Einbilden leuchtender Phantas-
men im dunkeln oder hellen Sehfelde
in der Ekstase und in leidenschaftlichen
Zuständen überhaupt mit Anerkennung
der Objectivität der Selbsterscheinung
.

Das ekstatische Hellsehen.
106.

Die Phantasmen der Griechen waren die einer jugend-
lichen kräftigen gesunden Phantasie, Träume und künstle-
rische Phantasiebilder. Schon hier wurde diesen Selbster-
scheinungen häufig Objectivität beigelegt, besonders, wenn
das Phantasma religiöser Art war. Doch sind Spuren
ekstatischer Phantasmen selten.

Bei den Indiern und in der ganzen christlichen Welt
sind die ekstatischen und leidenschaftlichen Phantasmen desto
häufiger. Die Phantasie sieht in der Ekstase ihre Objecte
leuchtend. Diese Stufe bildet eine neue Grenze. Wir fin-
den das ekstatische und leidenschaftliche Hellsehen in der
Geschichte von vierfachem Inhalt.

107.

1) als religiöse Visionen, Erscheinungen von Heiligen,
Göttern. Diese Phantasmen waren unzählig in den Klö-
stern, bei einer schwärmenden religiösen Betrachtung, wo-
bei alles Phantasieleben, sonst in dichtend künstlerischem
Wirken, verkannte Dienerinn wird. Alle Uebungen des
ascetischen Lebens, welche das Streben und Thätigseyn
nach Aussen beschränken, besonders das Fasten waren
Reizmittel dieser Selbstvisionen, wie denn das Fasten
auch die Phantasiebilder vor dem Einschlafen in hohem
Grunde begünstigt. In der phantasiereichen Zeit des Mit-

VII. Das Einbilden leuchtender Phantas-
men im dunkeln oder hellen Sehfelde
in der Ekſtaſe und in leidenſchaftlichen
Zuſtaͤnden uͤberhaupt mit Anerkennung
der Objectivitaͤt der Selbſterſcheinung
.

Das ekſtatiſche Hellſehen.
106.

Die Phantasmen der Griechen waren die einer jugend-
lichen kraͤftigen geſunden Phantaſie, Traͤume und kuͤnſtle-
riſche Phantaſiebilder. Schon hier wurde dieſen Selbſter-
ſcheinungen haͤufig Objectivitaͤt beigelegt, beſonders, wenn
das Phantasma religioͤſer Art war. Doch ſind Spuren
ekſtatiſcher Phantasmen ſelten.

Bei den Indiern und in der ganzen chriſtlichen Welt
ſind die ekſtatiſchen und leidenſchaftlichen Phantasmen deſto
haͤufiger. Die Phantaſie ſieht in der Ekſtaſe ihre Objecte
leuchtend. Dieſe Stufe bildet eine neue Grenze. Wir fin-
den das ekſtatiſche und leidenſchaftliche Hellſehen in der
Geſchichte von vierfachem Inhalt.

107.

1) als religioͤſe Viſionen, Erſcheinungen von Heiligen,
Goͤttern. Dieſe Phantasmen waren unzaͤhlig in den Kloͤ-
ſtern, bei einer ſchwaͤrmenden religioͤſen Betrachtung, wo-
bei alles Phantaſieleben, ſonſt in dichtend kuͤnſtleriſchem
Wirken, verkannte Dienerinn wird. Alle Uebungen des
ascetiſchen Lebens, welche das Streben und Thaͤtigſeyn
nach Auſſen beſchraͤnken, beſonders das Faſten waren
Reizmittel dieſer Selbſtviſionen, wie denn das Faſten
auch die Phantaſiebilder vor dem Einſchlafen in hohem
Grunde beguͤnſtigt. In der phantaſiereichen Zeit des Mit-

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[60/0076] VII. Das Einbilden leuchtender Phantas- men im dunkeln oder hellen Sehfelde in der Ekſtaſe und in leidenſchaftlichen Zuſtaͤnden uͤberhaupt mit Anerkennung der Objectivitaͤt der Selbſterſcheinung. Das ekſtatiſche Hellſehen. 106. Die Phantasmen der Griechen waren die einer jugend- lichen kraͤftigen geſunden Phantaſie, Traͤume und kuͤnſtle- riſche Phantaſiebilder. Schon hier wurde dieſen Selbſter- ſcheinungen haͤufig Objectivitaͤt beigelegt, beſonders, wenn das Phantasma religioͤſer Art war. Doch ſind Spuren ekſtatiſcher Phantasmen ſelten. Bei den Indiern und in der ganzen chriſtlichen Welt ſind die ekſtatiſchen und leidenſchaftlichen Phantasmen deſto haͤufiger. Die Phantaſie ſieht in der Ekſtaſe ihre Objecte leuchtend. Dieſe Stufe bildet eine neue Grenze. Wir fin- den das ekſtatiſche und leidenſchaftliche Hellſehen in der Geſchichte von vierfachem Inhalt. 107. 1) als religioͤſe Viſionen, Erſcheinungen von Heiligen, Goͤttern. Dieſe Phantasmen waren unzaͤhlig in den Kloͤ- ſtern, bei einer ſchwaͤrmenden religioͤſen Betrachtung, wo- bei alles Phantaſieleben, ſonſt in dichtend kuͤnſtleriſchem Wirken, verkannte Dienerinn wird. Alle Uebungen des ascetiſchen Lebens, welche das Streben und Thaͤtigſeyn nach Auſſen beſchraͤnken, beſonders das Faſten waren Reizmittel dieſer Selbſtviſionen, wie denn das Faſten auch die Phantaſiebilder vor dem Einſchlafen in hohem Grunde beguͤnſtigt. In der phantaſiereichen Zeit des Mit-

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Zitationshilfe: Müller, Johannes: Über die phantastischen Gesichtserscheinungen. Koblenz, 1826, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_gesichtserscheinungen_1826/76>, abgerufen am 28.03.2024.