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Müller, Johannes: Über die phantastischen Gesichtserscheinungen. Koblenz, 1826.

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Porphyrios aber, der nach eigenem Bericht auch einmal
in der unmittelbaren Anschauung Gottes gewesen ist, weiß
nicht, wie er es mit den Visionen hat, und frägt in den
verfänglichen Fragen an den ägyptischen Prister Anebo:
ob nicht die dämonischen Erscheinungen etwa nur Affectio-
nen der Seele seien: os e psukhe tauta legei te kai
phantazetai, kai esti tautes pathe ek mikron aithugmaton
egeiromena, os nomizousi tines, ob nicht das ganze We-
sen der Theurgie nur eine religiöse Phantasie sey, die aus
nichts das Größte sich einbildet aporo de, ei pros doxas
anthropinas en te theia mantike kai theourgia blepein dei,
kai ei me e psukhe ek t[ - 1 Zeichen fehlt]u tukhontos anaplattei megala.

110.

Bei den Indiern müssen die religiösen Visionen noch
häufiger gewesen seyn. Es ist bekannt, daß die Indier im
Besitz mancher äußerer Mittel und Gebräuche waren und
noch sind, sie Mittel zu erwecken und zu befördern.

111.

Die Physiologie betrachtet alle Erscheinungen in der
Form der Vision, die nur dem Visionär allein sichtbar sind,
als subjective Aeußerungen des innern Sinnes. Denn die
objective Vision, oder die Vision, welche einen objectiven
Grund hat, fällt mit dem gewöhnlichen Sehen zusammen,
und eine Erscheinung dieser Art muß jedem, nicht bloß
dem Visionär sichtbar seyn. Wenn daher eine objective
Vision etwas Wunderbares hat, so liegt das nicht in der
Vision selbst, sondern in dem, was die Vision erregen kann,
dadurch daß es das Sehorgan afficirt. Dieses in dem
Object liegende Wunderbare geht die Physiologie gar
nichts an. Aber die subjective Vision, die nur dem Visionär
Objectivität hat, unsichtbar jedem Andern, gehört nur
vor die Tribune der Physiologie. Sie darf behaupten,

Porphyrios aber, der nach eigenem Bericht auch einmal
in der unmittelbaren Anſchauung Gottes geweſen iſt, weiß
nicht, wie er es mit den Viſionen hat, und fraͤgt in den
verfaͤnglichen Fragen an den aͤgyptiſchen Priſter Anebo:
ob nicht die daͤmoniſchen Erſcheinungen etwa nur Affectio-
nen der Seele ſeien: ὡς ἡ ψυχὴ ταῦτα λεγεί τε καὶ
φαντάζεται, καὶ ἐστὶ ταύτης πάϑη ἐκ μικϱῶν αἰϑυγμάτων
ἑγειρόμενα, ώς νομίζουσι τινες, ob nicht das ganze We-
ſen der Theurgie nur eine religioͤſe Phantaſie ſey, die aus
nichts das Groͤßte ſich einbildet ἀποϱῶ δὲ, εἰ πϱὸς δόξας
ἀνϑρωπίνας ἐν τῇ ϑείᾳ μαντικῇ καὶ ϑεουργίᾳ βλέπειν δεῖ,
καὶ εἰ μὴ ἡ ψυχὴ ἐκ τ[ – 1 Zeichen fehlt]ῦ τυχόντος ἀναπλάττει μεγάλα.

110.

Bei den Indiern muͤſſen die religioͤſen Viſionen noch
haͤufiger geweſen ſeyn. Es iſt bekannt, daß die Indier im
Beſitz mancher aͤußerer Mittel und Gebraͤuche waren und
noch ſind, ſie Mittel zu erwecken und zu befoͤrdern.

111.

Die Phyſiologie betrachtet alle Erſcheinungen in der
Form der Viſion, die nur dem Viſionaͤr allein ſichtbar ſind,
als ſubjective Aeußerungen des innern Sinnes. Denn die
objective Viſion, oder die Viſion, welche einen objectiven
Grund hat, faͤllt mit dem gewoͤhnlichen Sehen zuſammen,
und eine Erſcheinung dieſer Art muß jedem, nicht bloß
dem Viſionaͤr ſichtbar ſeyn. Wenn daher eine objective
Viſion etwas Wunderbares hat, ſo liegt das nicht in der
Viſion ſelbſt, ſondern in dem, was die Viſion erregen kann,
dadurch daß es das Sehorgan afficirt. Dieſes in dem
Object liegende Wunderbare geht die Phyſiologie gar
nichts an. Aber die ſubjective Viſion, die nur dem Viſionaͤr
Objectivitaͤt hat, unſichtbar jedem Andern, gehoͤrt nur
vor die Tribune der Phyſiologie. Sie darf behaupten,

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[62/0078] Porphyrios aber, der nach eigenem Bericht auch einmal in der unmittelbaren Anſchauung Gottes geweſen iſt, weiß nicht, wie er es mit den Viſionen hat, und fraͤgt in den verfaͤnglichen Fragen an den aͤgyptiſchen Priſter Anebo: ob nicht die daͤmoniſchen Erſcheinungen etwa nur Affectio- nen der Seele ſeien: ὡς ἡ ψυχὴ ταῦτα λεγεί τε καὶ φαντάζεται, καὶ ἐστὶ ταύτης πάϑη ἐκ μικϱῶν αἰϑυγμάτων ἑγειρόμενα, ώς νομίζουσι τινες, ob nicht das ganze We- ſen der Theurgie nur eine religioͤſe Phantaſie ſey, die aus nichts das Groͤßte ſich einbildet ἀποϱῶ δὲ, εἰ πϱὸς δόξας ἀνϑρωπίνας ἐν τῇ ϑείᾳ μαντικῇ καὶ ϑεουργίᾳ βλέπειν δεῖ, καὶ εἰ μὴ ἡ ψυχὴ ἐκ τ_ῦ τυχόντος ἀναπλάττει μεγάλα. 110. Bei den Indiern muͤſſen die religioͤſen Viſionen noch haͤufiger geweſen ſeyn. Es iſt bekannt, daß die Indier im Beſitz mancher aͤußerer Mittel und Gebraͤuche waren und noch ſind, ſie Mittel zu erwecken und zu befoͤrdern. 111. Die Phyſiologie betrachtet alle Erſcheinungen in der Form der Viſion, die nur dem Viſionaͤr allein ſichtbar ſind, als ſubjective Aeußerungen des innern Sinnes. Denn die objective Viſion, oder die Viſion, welche einen objectiven Grund hat, faͤllt mit dem gewoͤhnlichen Sehen zuſammen, und eine Erſcheinung dieſer Art muß jedem, nicht bloß dem Viſionaͤr ſichtbar ſeyn. Wenn daher eine objective Viſion etwas Wunderbares hat, ſo liegt das nicht in der Viſion ſelbſt, ſondern in dem, was die Viſion erregen kann, dadurch daß es das Sehorgan afficirt. Dieſes in dem Object liegende Wunderbare geht die Phyſiologie gar nichts an. Aber die ſubjective Viſion, die nur dem Viſionaͤr Objectivitaͤt hat, unſichtbar jedem Andern, gehoͤrt nur vor die Tribune der Phyſiologie. Sie darf behaupten,

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Zitationshilfe: Müller, Johannes: Über die phantastischen Gesichtserscheinungen. Koblenz, 1826, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_gesichtserscheinungen_1826/78>, abgerufen am 28.03.2024.