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Müller, Johannes: Über die phantastischen Gesichtserscheinungen. Koblenz, 1826.

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Traums unterliegt sie der sinnlichen Erscheinung dessen
was ihre Sinne wünschen und was die religiöse Vorstellung
fürchtet. Das Phantasiebild hat für sie Objectivität, sie
kann die Anklage des Teufelumganges nicht von sich ab-
lehnen.

119.

In einem mir bekannt gewordenen hieher gehörigen
höchst interessanten Fall spielt der Traum eine Hauptrolle.
Die Angeklagte, ein Mädchen von 14 Jahren, also des
Alters, worin die Krise der Pupertätsentwickelung ohne-
hin so reich an phantastischen Vorstellungen ist, durch eine
verdächtige Person, wie sich beiläufig aus der Procedur er-
schließen läßt, zum Umgang mit einem verkappten Teufel
verführt, setzt diesen bald sinnlichen, bald schreckhaften
Umgang in ihren sehr lebhaften Träumen fort. Die, wel-
che früher mit ihr zusammengeschlafen, tritt als Zeuginn
auf über die Träume der Angeklagten, in welchen je-
der wirkliche unvollkommene Sinneseindruck immer zu ei-
nem teuflischen Traumbilde ergänzt wurde. Z. B. der
Druck des zu fest angelegten Mützenbandes auf den Hals
wird ergänzt zu einer Traumhandlung, in welcher der dro-
hende Teufel die Angeklagte ersticken will. Und daß das Müt-
zenband in der That zu fest angelegt ist, davon überzeugt
sich die der Auffahrenden helfende Bettgenossinn. Aus sol-
chen Traumgeschichten bestehen zum großen Theil die Ver-
brechen dieser Unglücklichen.

120.

Was sich in den Hexenprocessen durchgängig wiederhohlt
sind Entwickelungskrankheiten der Jugend oder des Alters
bei Weibern, die über die klimakterischen Jahre hinaus sind,
halb irre Zustände, Nervenkrankheiten, die so oft Gegen-
stand einer abergläubigen dem Zeitalter angemessenen Ausle-

Traums unterliegt ſie der ſinnlichen Erſcheinung deſſen
was ihre Sinne wuͤnſchen und was die religioͤſe Vorſtellung
fuͤrchtet. Das Phantaſiebild hat fuͤr ſie Objectivitaͤt, ſie
kann die Anklage des Teufelumganges nicht von ſich ab-
lehnen.

119.

In einem mir bekannt gewordenen hieher gehoͤrigen
hoͤchſt intereſſanten Fall ſpielt der Traum eine Hauptrolle.
Die Angeklagte, ein Maͤdchen von 14 Jahren, alſo des
Alters, worin die Kriſe der Pupertaͤtsentwickelung ohne-
hin ſo reich an phantaſtiſchen Vorſtellungen iſt, durch eine
verdaͤchtige Perſon, wie ſich beilaͤufig aus der Procedur er-
ſchließen laͤßt, zum Umgang mit einem verkappten Teufel
verfuͤhrt, ſetzt dieſen bald ſinnlichen, bald ſchreckhaften
Umgang in ihren ſehr lebhaften Traͤumen fort. Die, wel-
che fruͤher mit ihr zuſammengeſchlafen, tritt als Zeuginn
auf uͤber die Traͤume der Angeklagten, in welchen je-
der wirkliche unvollkommene Sinneseindruck immer zu ei-
nem teufliſchen Traumbilde ergaͤnzt wurde. Z. B. der
Druck des zu feſt angelegten Muͤtzenbandes auf den Hals
wird ergaͤnzt zu einer Traumhandlung, in welcher der dro-
hende Teufel die Angeklagte erſticken will. Und daß das Muͤt-
zenband in der That zu feſt angelegt iſt, davon uͤberzeugt
ſich die der Auffahrenden helfende Bettgenoſſinn. Aus ſol-
chen Traumgeſchichten beſtehen zum großen Theil die Ver-
brechen dieſer Ungluͤcklichen.

120.

Was ſich in den Hexenproceſſen durchgaͤngig wiederhohlt
ſind Entwickelungskrankheiten der Jugend oder des Alters
bei Weibern, die uͤber die klimakteriſchen Jahre hinaus ſind,
halb irre Zuſtaͤnde, Nervenkrankheiten, die ſo oft Gegen-
ſtand einer aberglaͤubigen dem Zeitalter angemeſſenen Ausle-

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[67/0083] Traums unterliegt ſie der ſinnlichen Erſcheinung deſſen was ihre Sinne wuͤnſchen und was die religioͤſe Vorſtellung fuͤrchtet. Das Phantaſiebild hat fuͤr ſie Objectivitaͤt, ſie kann die Anklage des Teufelumganges nicht von ſich ab- lehnen. 119. In einem mir bekannt gewordenen hieher gehoͤrigen hoͤchſt intereſſanten Fall ſpielt der Traum eine Hauptrolle. Die Angeklagte, ein Maͤdchen von 14 Jahren, alſo des Alters, worin die Kriſe der Pupertaͤtsentwickelung ohne- hin ſo reich an phantaſtiſchen Vorſtellungen iſt, durch eine verdaͤchtige Perſon, wie ſich beilaͤufig aus der Procedur er- ſchließen laͤßt, zum Umgang mit einem verkappten Teufel verfuͤhrt, ſetzt dieſen bald ſinnlichen, bald ſchreckhaften Umgang in ihren ſehr lebhaften Traͤumen fort. Die, wel- che fruͤher mit ihr zuſammengeſchlafen, tritt als Zeuginn auf uͤber die Traͤume der Angeklagten, in welchen je- der wirkliche unvollkommene Sinneseindruck immer zu ei- nem teufliſchen Traumbilde ergaͤnzt wurde. Z. B. der Druck des zu feſt angelegten Muͤtzenbandes auf den Hals wird ergaͤnzt zu einer Traumhandlung, in welcher der dro- hende Teufel die Angeklagte erſticken will. Und daß das Muͤt- zenband in der That zu feſt angelegt iſt, davon uͤberzeugt ſich die der Auffahrenden helfende Bettgenoſſinn. Aus ſol- chen Traumgeſchichten beſtehen zum großen Theil die Ver- brechen dieſer Ungluͤcklichen. 120. Was ſich in den Hexenproceſſen durchgaͤngig wiederhohlt ſind Entwickelungskrankheiten der Jugend oder des Alters bei Weibern, die uͤber die klimakteriſchen Jahre hinaus ſind, halb irre Zuſtaͤnde, Nervenkrankheiten, die ſo oft Gegen- ſtand einer aberglaͤubigen dem Zeitalter angemeſſenen Ausle-

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Zitationshilfe: Müller, Johannes: Über die phantastischen Gesichtserscheinungen. Koblenz, 1826, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_gesichtserscheinungen_1826/83>, abgerufen am 23.04.2024.