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Müller, Johannes: Über die phantastischen Gesichtserscheinungen. Koblenz, 1826.

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in diesem Fortschritt ist ganz so, wie es bei den einfachen
Formen der II. und III. Stufe entwickelt worden.



XI. Die Phantasiebilder der Irren.
135.

Hallucinationen sind eine allgemeine Erscheinung bei
den Irren. Nach Esquirol haben unter 100 Irren 80
Hallucinationen. Am gewöhnlichsten sind sie in der Manie,
Monomanie, Melancholie. Sie sind hier nur ein besonde-
rer Ausdruck einer allgemeinern Krankheit der Centralor-
gane des Nervensystems, in der Lebensform des Phan-
tasticon.

136.

Hallueinationen allein, auch mit entschiedener Anerken-
nung ihrer Objectivität, begründen selbst noch kein Irrn-
seyn. Sie können mit einer excentrischen Geistesrichtung
verbunden seyn, wie in den ekstatischen Visionen. Die
noch gesunde Pyche schwelgt in einzelnen Vermögen mit
Unterdrückung der anderen, der einzige Irrthum liegt in
der Anerkennung der Objectivität der Selbsterscheinung.
Aber das excentrische Eigenleben der Phantasie mit Phan-
tasmen, deren Objectivität anerkannt wird, kann der erste
Schritt zum Irrseyn werden, wie in den bekannten Visio-
nen des Torquato Tasso und anderer phantasiereicher
Menschen, die ein Opfer des Eigenlebens einzelner Organe
geworden.

137.

Die meisten Irren haben vor dem Eintritt des voll-

in dieſem Fortſchritt iſt ganz ſo, wie es bei den einfachen
Formen der II. und III. Stufe entwickelt worden.



XI. Die Phantaſiebilder der Irren.
135.

Hallucinationen ſind eine allgemeine Erſcheinung bei
den Irren. Nach Esquirol haben unter 100 Irren 80
Hallucinationen. Am gewoͤhnlichſten ſind ſie in der Manie,
Monomanie, Melancholie. Sie ſind hier nur ein beſonde-
rer Ausdruck einer allgemeinern Krankheit der Centralor-
gane des Nervenſyſtems, in der Lebensform des Phan-
taſticon.

136.

Hallueinationen allein, auch mit entſchiedener Anerken-
nung ihrer Objectivitaͤt, begruͤnden ſelbſt noch kein Irrn-
ſeyn. Sie koͤnnen mit einer excentriſchen Geiſtesrichtung
verbunden ſeyn, wie in den ekſtatiſchen Viſionen. Die
noch geſunde Pyche ſchwelgt in einzelnen Vermoͤgen mit
Unterdruͤckung der anderen, der einzige Irrthum liegt in
der Anerkennung der Objectivitaͤt der Selbſterſcheinung.
Aber das excentriſche Eigenleben der Phantaſie mit Phan-
tasmen, deren Objectivitaͤt anerkannt wird, kann der erſte
Schritt zum Irrſeyn werden, wie in den bekannten Viſio-
nen des Torquato Taſſo und anderer phantaſiereicher
Menſchen, die ein Opfer des Eigenlebens einzelner Organe
geworden.

137.

Die meiſten Irren haben vor dem Eintritt des voll-

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[74/0090] in dieſem Fortſchritt iſt ganz ſo, wie es bei den einfachen Formen der II. und III. Stufe entwickelt worden. XI. Die Phantaſiebilder der Irren. 135. Hallucinationen ſind eine allgemeine Erſcheinung bei den Irren. Nach Esquirol haben unter 100 Irren 80 Hallucinationen. Am gewoͤhnlichſten ſind ſie in der Manie, Monomanie, Melancholie. Sie ſind hier nur ein beſonde- rer Ausdruck einer allgemeinern Krankheit der Centralor- gane des Nervenſyſtems, in der Lebensform des Phan- taſticon. 136. Hallueinationen allein, auch mit entſchiedener Anerken- nung ihrer Objectivitaͤt, begruͤnden ſelbſt noch kein Irrn- ſeyn. Sie koͤnnen mit einer excentriſchen Geiſtesrichtung verbunden ſeyn, wie in den ekſtatiſchen Viſionen. Die noch geſunde Pyche ſchwelgt in einzelnen Vermoͤgen mit Unterdruͤckung der anderen, der einzige Irrthum liegt in der Anerkennung der Objectivitaͤt der Selbſterſcheinung. Aber das excentriſche Eigenleben der Phantaſie mit Phan- tasmen, deren Objectivitaͤt anerkannt wird, kann der erſte Schritt zum Irrſeyn werden, wie in den bekannten Viſio- nen des Torquato Taſſo und anderer phantaſiereicher Menſchen, die ein Opfer des Eigenlebens einzelner Organe geworden. 137. Die meiſten Irren haben vor dem Eintritt des voll-

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Zitationshilfe: Müller, Johannes: Über die phantastischen Gesichtserscheinungen. Koblenz, 1826, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_gesichtserscheinungen_1826/90>, abgerufen am 29.03.2024.