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Müller, Johannes: Über die phantastischen Gesichtserscheinungen. Koblenz, 1826.

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kommenen Irrseyns Phantasmen; diese werden zuerst für
Gesichtstäuschungen, dann für objectiv gehalten. Wenn sie
einmal die Deutlichkeit der objectiven Gesichtserscheinungen
erhalten haben, ist kein Grund mehr, warum sie nicht mit
ihnen verwechselt werden sollen. Oft gelingt es, die Irren von
der Unwahrheit ihrer Gesichte zu überzeugen; das dauert
nicht lange, so gehen die phantastischen und objectiven Er-
regungen der Sehsinnsubstanz durcheinander.



XI. Die Phantasiebilder am hellen Tage
durch Eigenleben der Phantasie ohne
Anerkennung ihrer Objectivität
.
138.

Wenn das Eigenleben der Phantasie eine solche Macht
auf die inneren Ursprünge der Sehsinnsubstanz hat,
daß die Phantasmen nicht bloß im lichten und dunkeln
Sehfeld als vorgestellte begrenzt, sondern wirklich in der
Energie der Sehsinnsubstanz darin leuchtend werden, so ge-
hört schon ein sehr kräftiger Verstand dazu, daß die Gesund-
heit des Geistes sich erhalte, und daß die Objectivität des
Angeschauten nicht anerkannt werde.

139.

Diese Station ist aber wohl festzuhalten und zu be-
grenzen, sie entsteht bei einer vollkommenen Gesundheit aller
Geistesvermögen und einem vollkommenen harmonischen
Wirken aller durch Eigenleben des innern Sinnes, was
aber bei der Gesundheit und Kräftigkeit der anderen Gei-
stesvermögen nur als solches Eigenleben anerkannt wird.
Sie hat aber vor sich als Abgrund das Unterwerfen des
Verstandes unter die Phantasie, das Irrseyn. In Hin-

kommenen Irrſeyns Phantasmen; dieſe werden zuerſt fuͤr
Geſichtstaͤuſchungen, dann fuͤr objectiv gehalten. Wenn ſie
einmal die Deutlichkeit der objectiven Geſichtserſcheinungen
erhalten haben, iſt kein Grund mehr, warum ſie nicht mit
ihnen verwechſelt werden ſollen. Oft gelingt es, die Irren von
der Unwahrheit ihrer Geſichte zu uͤberzeugen; das dauert
nicht lange, ſo gehen die phantaſtiſchen und objectiven Er-
regungen der Sehſinnſubſtanz durcheinander.



XI. Die Phantaſiebilder am hellen Tage
durch Eigenleben der Phantaſie ohne
Anerkennung ihrer Objectivitaͤt
.
138.

Wenn das Eigenleben der Phantaſie eine ſolche Macht
auf die inneren Urſpruͤnge der Sehſinnſubſtanz hat,
daß die Phantasmen nicht bloß im lichten und dunkeln
Sehfeld als vorgeſtellte begrenzt, ſondern wirklich in der
Energie der Sehſinnſubſtanz darin leuchtend werden, ſo ge-
hoͤrt ſchon ein ſehr kraͤftiger Verſtand dazu, daß die Geſund-
heit des Geiſtes ſich erhalte, und daß die Objectivitaͤt des
Angeſchauten nicht anerkannt werde.

139.

Dieſe Station iſt aber wohl feſtzuhalten und zu be-
grenzen, ſie entſteht bei einer vollkommenen Geſundheit aller
Geiſtesvermoͤgen und einem vollkommenen harmoniſchen
Wirken aller durch Eigenleben des innern Sinnes, was
aber bei der Geſundheit und Kraͤftigkeit der anderen Gei-
ſtesvermoͤgen nur als ſolches Eigenleben anerkannt wird.
Sie hat aber vor ſich als Abgrund das Unterwerfen des
Verſtandes unter die Phantaſie, das Irrſeyn. In Hin-

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[75/0091] kommenen Irrſeyns Phantasmen; dieſe werden zuerſt fuͤr Geſichtstaͤuſchungen, dann fuͤr objectiv gehalten. Wenn ſie einmal die Deutlichkeit der objectiven Geſichtserſcheinungen erhalten haben, iſt kein Grund mehr, warum ſie nicht mit ihnen verwechſelt werden ſollen. Oft gelingt es, die Irren von der Unwahrheit ihrer Geſichte zu uͤberzeugen; das dauert nicht lange, ſo gehen die phantaſtiſchen und objectiven Er- regungen der Sehſinnſubſtanz durcheinander. XI. Die Phantaſiebilder am hellen Tage durch Eigenleben der Phantaſie ohne Anerkennung ihrer Objectivitaͤt. 138. Wenn das Eigenleben der Phantaſie eine ſolche Macht auf die inneren Urſpruͤnge der Sehſinnſubſtanz hat, daß die Phantasmen nicht bloß im lichten und dunkeln Sehfeld als vorgeſtellte begrenzt, ſondern wirklich in der Energie der Sehſinnſubſtanz darin leuchtend werden, ſo ge- hoͤrt ſchon ein ſehr kraͤftiger Verſtand dazu, daß die Geſund- heit des Geiſtes ſich erhalte, und daß die Objectivitaͤt des Angeſchauten nicht anerkannt werde. 139. Dieſe Station iſt aber wohl feſtzuhalten und zu be- grenzen, ſie entſteht bei einer vollkommenen Geſundheit aller Geiſtesvermoͤgen und einem vollkommenen harmoniſchen Wirken aller durch Eigenleben des innern Sinnes, was aber bei der Geſundheit und Kraͤftigkeit der anderen Gei- ſtesvermoͤgen nur als ſolches Eigenleben anerkannt wird. Sie hat aber vor ſich als Abgrund das Unterwerfen des Verſtandes unter die Phantaſie, das Irrſeyn. In Hin-

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Zitationshilfe: Müller, Johannes: Über die phantastischen Gesichtserscheinungen. Koblenz, 1826, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_gesichtserscheinungen_1826/91>, abgerufen am 25.04.2024.