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Müller, Johannes: Über die phantastischen Gesichtserscheinungen. Koblenz, 1826.

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sicht des Genetischen ist die Hallucination am hellen Tage
nur durch die Entschiedenheit und Energie des Phaeno-
mens von dem phantastischen Hellsehen vor dem Einschla-
fen, worüber wir auch noch als über Gebilde des innern
Sinnes reflectiren, verschieden.

Es ist aus dem Vorhergehenden klar, daß das Phae-
nomen unter diesen geselligen Verhältnissen, von dem Ver-
stande trotz seiner Lebendigkeit beherrscht, nur sehr selten ist
und auch nicht leicht in seiner Reinheit in der Sphäre der
Gesundheit sich erhalten kann.

140.

Hieher gehört das bekannte Beispiel, welches Bonnet
erzählt. Analytische Versuche über die Seelenkräfte. Bremen
1780. 2 T. S. 59. Bonnet kannte einen angesehenen
Mann, der eine vollkommene Gesundheit, Aufrichtigkeit,
Beurtheilungskraft und Gedächtniß besaß, der mitten im
wachenden Zustande ohne den geringsten äußerlichen Ein-
druck, von Zeit zu Zeit Figuren von Männern und Frauen
von Vögeln, Wägen, Gebäuden u. dergl. vor sich sah.
Er sah diese Figuren Bewegungen machen, er sah sie sich
nähern, entfernen, verschwinden, größer und kleiner werden,
erscheinen und wieder erscheinen. Gebäude erhoben sich vor
seinen Augen, und er erblickte alle Theile, die zu ihrer äu-
ßerlichen Anlage gehören. Bisweilen veränderten sich dem
Scheine nach auf einmal die Tapeten in seinen Zimmern,
und es war nicht anders, als ob sie mit Schildereien über-
zogen würden, welche verschiedene Landschaften vorstellten.
Ein andermal erschienen statt der Tapeten und Mobilien
nichts als bloße Mauern, welche ihm bloß einen Haufen
roher Materialien darstellten, wieder ein andermal waren
es Gerüste. Alle diese Gegenstände erschienen ihm in der
genauesten Vollkommenheit, sie machten auf ihn einen
eben so lebhaften Eindruck, als wenn die Objecte selbst ge-

ſicht des Genetiſchen iſt die Hallucination am hellen Tage
nur durch die Entſchiedenheit und Energie des Phaeno-
mens von dem phantaſtiſchen Hellſehen vor dem Einſchla-
fen, woruͤber wir auch noch als uͤber Gebilde des innern
Sinnes reflectiren, verſchieden.

Es iſt aus dem Vorhergehenden klar, daß das Phae-
nomen unter dieſen geſelligen Verhaͤltniſſen, von dem Ver-
ſtande trotz ſeiner Lebendigkeit beherrſcht, nur ſehr ſelten iſt
und auch nicht leicht in ſeiner Reinheit in der Sphaͤre der
Geſundheit ſich erhalten kann.

140.

Hieher gehoͤrt das bekannte Beiſpiel, welches Bonnet
erzaͤhlt. Analytiſche Verſuche uͤber die Seelenkraͤfte. Bremen
1780. 2 T. S. 59. Bonnet kannte einen angeſehenen
Mann, der eine vollkommene Geſundheit, Aufrichtigkeit,
Beurtheilungskraft und Gedaͤchtniß beſaß, der mitten im
wachenden Zuſtande ohne den geringſten aͤußerlichen Ein-
druck, von Zeit zu Zeit Figuren von Maͤnnern und Frauen
von Voͤgeln, Waͤgen, Gebaͤuden u. dergl. vor ſich ſah.
Er ſah dieſe Figuren Bewegungen machen, er ſah ſie ſich
naͤhern, entfernen, verſchwinden, groͤßer und kleiner werden,
erſcheinen und wieder erſcheinen. Gebaͤude erhoben ſich vor
ſeinen Augen, und er erblickte alle Theile, die zu ihrer aͤu-
ßerlichen Anlage gehoͤren. Bisweilen veraͤnderten ſich dem
Scheine nach auf einmal die Tapeten in ſeinen Zimmern,
und es war nicht anders, als ob ſie mit Schildereien uͤber-
zogen wuͤrden, welche verſchiedene Landſchaften vorſtellten.
Ein andermal erſchienen ſtatt der Tapeten und Mobilien
nichts als bloße Mauern, welche ihm bloß einen Haufen
roher Materialien darſtellten, wieder ein andermal waren
es Geruͤſte. Alle dieſe Gegenſtaͤnde erſchienen ihm in der
genaueſten Vollkommenheit, ſie machten auf ihn einen
eben ſo lebhaften Eindruck, als wenn die Objecte ſelbſt ge-

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[76/0092] ſicht des Genetiſchen iſt die Hallucination am hellen Tage nur durch die Entſchiedenheit und Energie des Phaeno- mens von dem phantaſtiſchen Hellſehen vor dem Einſchla- fen, woruͤber wir auch noch als uͤber Gebilde des innern Sinnes reflectiren, verſchieden. Es iſt aus dem Vorhergehenden klar, daß das Phae- nomen unter dieſen geſelligen Verhaͤltniſſen, von dem Ver- ſtande trotz ſeiner Lebendigkeit beherrſcht, nur ſehr ſelten iſt und auch nicht leicht in ſeiner Reinheit in der Sphaͤre der Geſundheit ſich erhalten kann. 140. Hieher gehoͤrt das bekannte Beiſpiel, welches Bonnet erzaͤhlt. Analytiſche Verſuche uͤber die Seelenkraͤfte. Bremen 1780. 2 T. S. 59. Bonnet kannte einen angeſehenen Mann, der eine vollkommene Geſundheit, Aufrichtigkeit, Beurtheilungskraft und Gedaͤchtniß beſaß, der mitten im wachenden Zuſtande ohne den geringſten aͤußerlichen Ein- druck, von Zeit zu Zeit Figuren von Maͤnnern und Frauen von Voͤgeln, Waͤgen, Gebaͤuden u. dergl. vor ſich ſah. Er ſah dieſe Figuren Bewegungen machen, er ſah ſie ſich naͤhern, entfernen, verſchwinden, groͤßer und kleiner werden, erſcheinen und wieder erſcheinen. Gebaͤude erhoben ſich vor ſeinen Augen, und er erblickte alle Theile, die zu ihrer aͤu- ßerlichen Anlage gehoͤren. Bisweilen veraͤnderten ſich dem Scheine nach auf einmal die Tapeten in ſeinen Zimmern, und es war nicht anders, als ob ſie mit Schildereien uͤber- zogen wuͤrden, welche verſchiedene Landſchaften vorſtellten. Ein andermal erſchienen ſtatt der Tapeten und Mobilien nichts als bloße Mauern, welche ihm bloß einen Haufen roher Materialien darſtellten, wieder ein andermal waren es Geruͤſte. Alle dieſe Gegenſtaͤnde erſchienen ihm in der genaueſten Vollkommenheit, ſie machten auf ihn einen eben ſo lebhaften Eindruck, als wenn die Objecte ſelbſt ge-

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Zitationshilfe: Müller, Johannes: Über die phantastischen Gesichtserscheinungen. Koblenz, 1826, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_gesichtserscheinungen_1826/92>, abgerufen am 28.03.2024.