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Müller, Johannes: Über die phantastischen Gesichtserscheinungen. Koblenz, 1826.

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eine Zeitlang einzelne Stücke zu sehen, die nach und nach
auch vergiengen. Ungefähr um 8 Uhr war nichts mehr von
den Gestalten zu sehen und sie erscheinen nachher nie wie-
der." Aus der Berliner Monatsschrift May 1799 in
Reils Fieberlehre IV. B. S. 285.

Nicolai fügt seinem Bericht einige andere Fälle bei.
"Justus Möser glaubte öfter Blumen zu sehen; ein
anderer mir wohlbekannter Mann sieht ebenso zuweilen
mathematische Figuren, als Zirkellinien, Vierecke u. a. in
verschiedenen Farben." Berl. Monatsschrift. 1799. S. 346.
Vergl. S. 348. 1800. S. 247. Reil. a. a. O.

143.

Aus der Selbsterfahrung eines durchaus vorurtheils-
freien Mannes, dessen Name für die Wichtigkeit dieser Er-
fahrung bürgen könnte, theile ich folgenden Fall mit.
Prof. * kam nach einer sehr lebhaften Unterhaltung über
wissenschaftliche Gegenstände nüchtern und sehr hungrig
nach Hause. Der Weg führte vom Lande über ein baum-
reiche Wiese nach der Stadt. Plötzlich sieht er in einiger Ent-
fernung sich selbst in 12--15 Exemplaren, auf der Wiese um-
herwandeln. Die Figuren waren aus verschiedenem Alter
des Beobachters und trugen die sonst fast vergessenen Klei-
der verschiedener Zeiten in mancherlei Farben. Die Ge-
stalten einer und derselben Person giengen gleichgültig
durcheinander auf der Wiese. Es bedurfte nur der An-
strengung des Gesichtssinnes, der Aufmerksamkeit und der
Erinnerung, daß die Selbsterscheinung eine Hallucation
sei, um die ganze Gruppe sogleich zu verscheuchen. Licht-
flecke blieben nicht übrig. Das ist mehr als ein Doppel-
gänger und doch kein selbstbetrogener Wundermann.

144.

Hieher mögen denn auch diejenigen Fälle von Halluci-
nationen in fieberkraften Krankheiten gehören, wo kein ei-

eine Zeitlang einzelne Stuͤcke zu ſehen, die nach und nach
auch vergiengen. Ungefaͤhr um 8 Uhr war nichts mehr von
den Geſtalten zu ſehen und ſie erſcheinen nachher nie wie-
der.« Aus der Berliner Monatsſchrift May 1799 in
Reils Fieberlehre IV. B. S. 285.

Nicolai fuͤgt ſeinem Bericht einige andere Faͤlle bei.
»Juſtus Moͤſer glaubte oͤfter Blumen zu ſehen; ein
anderer mir wohlbekannter Mann ſieht ebenſo zuweilen
mathematiſche Figuren, als Zirkellinien, Vierecke u. a. in
verſchiedenen Farben.« Berl. Monatsſchrift. 1799. S. 346.
Vergl. S. 348. 1800. S. 247. Reil. a. a. O.

143.

Aus der Selbſterfahrung eines durchaus vorurtheils-
freien Mannes, deſſen Name fuͤr die Wichtigkeit dieſer Er-
fahrung buͤrgen koͤnnte, theile ich folgenden Fall mit.
Prof. * kam nach einer ſehr lebhaften Unterhaltung uͤber
wiſſenſchaftliche Gegenſtaͤnde nuͤchtern und ſehr hungrig
nach Hauſe. Der Weg fuͤhrte vom Lande uͤber ein baum-
reiche Wieſe nach der Stadt. Ploͤtzlich ſieht er in einiger Ent-
fernung ſich ſelbſt in 12—15 Exemplaren, auf der Wieſe um-
herwandeln. Die Figuren waren aus verſchiedenem Alter
des Beobachters und trugen die ſonſt faſt vergeſſenen Klei-
der verſchiedener Zeiten in mancherlei Farben. Die Ge-
ſtalten einer und derſelben Perſon giengen gleichguͤltig
durcheinander auf der Wieſe. Es bedurfte nur der An-
ſtrengung des Geſichtsſinnes, der Aufmerkſamkeit und der
Erinnerung, daß die Selbſterſcheinung eine Hallucation
ſei, um die ganze Gruppe ſogleich zu verſcheuchen. Licht-
flecke blieben nicht uͤbrig. Das iſt mehr als ein Doppel-
gaͤnger und doch kein ſelbſtbetrogener Wundermann.

144.

Hieher moͤgen denn auch diejenigen Faͤlle von Halluci-
nationen in fieberkraften Krankheiten gehoͤren, wo kein ei-

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[79/0095] eine Zeitlang einzelne Stuͤcke zu ſehen, die nach und nach auch vergiengen. Ungefaͤhr um 8 Uhr war nichts mehr von den Geſtalten zu ſehen und ſie erſcheinen nachher nie wie- der.« Aus der Berliner Monatsſchrift May 1799 in Reils Fieberlehre IV. B. S. 285. Nicolai fuͤgt ſeinem Bericht einige andere Faͤlle bei. »Juſtus Moͤſer glaubte oͤfter Blumen zu ſehen; ein anderer mir wohlbekannter Mann ſieht ebenſo zuweilen mathematiſche Figuren, als Zirkellinien, Vierecke u. a. in verſchiedenen Farben.« Berl. Monatsſchrift. 1799. S. 346. Vergl. S. 348. 1800. S. 247. Reil. a. a. O. 143. Aus der Selbſterfahrung eines durchaus vorurtheils- freien Mannes, deſſen Name fuͤr die Wichtigkeit dieſer Er- fahrung buͤrgen koͤnnte, theile ich folgenden Fall mit. Prof. * kam nach einer ſehr lebhaften Unterhaltung uͤber wiſſenſchaftliche Gegenſtaͤnde nuͤchtern und ſehr hungrig nach Hauſe. Der Weg fuͤhrte vom Lande uͤber ein baum- reiche Wieſe nach der Stadt. Ploͤtzlich ſieht er in einiger Ent- fernung ſich ſelbſt in 12—15 Exemplaren, auf der Wieſe um- herwandeln. Die Figuren waren aus verſchiedenem Alter des Beobachters und trugen die ſonſt faſt vergeſſenen Klei- der verſchiedener Zeiten in mancherlei Farben. Die Ge- ſtalten einer und derſelben Perſon giengen gleichguͤltig durcheinander auf der Wieſe. Es bedurfte nur der An- ſtrengung des Geſichtsſinnes, der Aufmerkſamkeit und der Erinnerung, daß die Selbſterſcheinung eine Hallucation ſei, um die ganze Gruppe ſogleich zu verſcheuchen. Licht- flecke blieben nicht uͤbrig. Das iſt mehr als ein Doppel- gaͤnger und doch kein ſelbſtbetrogener Wundermann. 144. Hieher moͤgen denn auch diejenigen Faͤlle von Halluci- nationen in fieberkraften Krankheiten gehoͤren, wo kein ei-

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Zitationshilfe: Müller, Johannes: Über die phantastischen Gesichtserscheinungen. Koblenz, 1826, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_gesichtserscheinungen_1826/95>, abgerufen am 19.04.2024.