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Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 1. Breslau, 1824.

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Als aber Athen den Peloponnesischen Bund nun
wieder hergestellt sah, und des Friedens wegen nicht
gradezu angreifen konnte, mußte das schwankende mehr
auf angeerbtem Gefühl als Satzung beruhende Coloni-
alrecht ihm Gelegenheit zu indirektem Angriffe geben.
Ein solcher lag offenbar in dem Schutzbündnisse (epi-
makhia) mit Korkyra, welche Stadt mit der Mutter-
stadt Korinth in einem nach altgriechischen Grundsätzen
durchaus ungerechten Kriege lag. Aber auch abgese-
hen davon war es immer ein Bruch des dreißigjähri-
gen Friedens 1. Und dieselben Grundsätze sprachen
sich aus in der Forderung, daß Potidäa um der Athe-
nischen Symmachie willen das ursprüngliche Colonial-
verhältniß mit Korinth aufgeben solle. So ward in
beidem der direkte Gegensatz offenbar, in welchem sich
die Maximen der Politik Athens mit dem allgemeinen
Rechtsgefühle der Hellenen, insonderheit mit der Ehr-
furcht vor alten Pietätsverhältnissen befand, und die-
ser innerliche Gegensatz ist die wahre Quelle des Pelo-
ponnesischen Kriegs.

13.

Da uns hier nicht erlaubt ist, die geschicht-
liche Bedeutung dieses Krieges für das bürgerliche und
sittliche Leben Griechenlands in voller Breite zu ent-
wickeln: so müssen wir uns begnügen, auf sie durch
folgende leicht aufgefaßte Gegensätze hinzudeuten. Es
stehen gegenüber Dorier gegen Jonier, daher das
Orakel den Krieg auch den Dorischen nannte 2. Die

1 Der Sinn der Klausel der spondai triakontouteis, Th.
1, 35. kann nur der sein: Städte außerhalb der Symmachieen
können sich anschließen, wo sie wollen, dadurch treten sie den
spondais bei, und die Symmachie garantirt für sie. Aber wenn
eine Stadt, die schon gegen eine enspondos im Kriege ist, auf-
genommen wird, so gilt ein solcher Krieg einem gleich, den die
aufnehmende Symmachie unternommen.
2 Th. 2, 54.

Als aber Athen den Peloponneſiſchen Bund nun
wieder hergeſtellt ſah, und des Friedens wegen nicht
gradezu angreifen konnte, mußte das ſchwankende mehr
auf angeerbtem Gefuͤhl als Satzung beruhende Coloni-
alrecht ihm Gelegenheit zu indirektem Angriffe geben.
Ein ſolcher lag offenbar in dem Schutzbuͤndniſſe (ἐπι-
μαχία) mit Korkyra, welche Stadt mit der Mutter-
ſtadt Korinth in einem nach altgriechiſchen Grundſaͤtzen
durchaus ungerechten Kriege lag. Aber auch abgeſe-
hen davon war es immer ein Bruch des dreißigjaͤhri-
gen Friedens 1. Und dieſelben Grundſaͤtze ſprachen
ſich aus in der Forderung, daß Potidaͤa um der Athe-
niſchen Symmachie willen das urſpruͤngliche Colonial-
verhaͤltniß mit Korinth aufgeben ſolle. So ward in
beidem der direkte Gegenſatz offenbar, in welchem ſich
die Maximen der Politik Athens mit dem allgemeinen
Rechtsgefuͤhle der Hellenen, inſonderheit mit der Ehr-
furcht vor alten Pietaͤtsverhaͤltniſſen befand, und die-
ſer innerliche Gegenſatz iſt die wahre Quelle des Pelo-
ponneſiſchen Kriegs.

13.

Da uns hier nicht erlaubt iſt, die geſchicht-
liche Bedeutung dieſes Krieges fuͤr das buͤrgerliche und
ſittliche Leben Griechenlands in voller Breite zu ent-
wickeln: ſo muͤſſen wir uns begnuͤgen, auf ſie durch
folgende leicht aufgefaßte Gegenſaͤtze hinzudeuten. Es
ſtehen gegenuͤber Dorier gegen Jonier, daher das
Orakel den Krieg auch den Doriſchen nannte 2. Die

1 Der Sinn der Klauſel der σπονδαὶ τϱιακοντούτεις, Th.
1, 35. kann nur der ſein: Staͤdte außerhalb der Symmachieen
koͤnnen ſich anſchließen, wo ſie wollen, dadurch treten ſie den
σπονδαῖς bei, und die Symmachie garantirt fuͤr ſie. Aber wenn
eine Stadt, die ſchon gegen eine ἔνσπονδος im Kriege iſt, auf-
genommen wird, ſo gilt ein ſolcher Krieg einem gleich, den die
aufnehmende Symmachie unternommen.
2 Th. 2, 54.
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[194/0224] Als aber Athen den Peloponneſiſchen Bund nun wieder hergeſtellt ſah, und des Friedens wegen nicht gradezu angreifen konnte, mußte das ſchwankende mehr auf angeerbtem Gefuͤhl als Satzung beruhende Coloni- alrecht ihm Gelegenheit zu indirektem Angriffe geben. Ein ſolcher lag offenbar in dem Schutzbuͤndniſſe (ἐπι- μαχία) mit Korkyra, welche Stadt mit der Mutter- ſtadt Korinth in einem nach altgriechiſchen Grundſaͤtzen durchaus ungerechten Kriege lag. Aber auch abgeſe- hen davon war es immer ein Bruch des dreißigjaͤhri- gen Friedens 1. Und dieſelben Grundſaͤtze ſprachen ſich aus in der Forderung, daß Potidaͤa um der Athe- niſchen Symmachie willen das urſpruͤngliche Colonial- verhaͤltniß mit Korinth aufgeben ſolle. So ward in beidem der direkte Gegenſatz offenbar, in welchem ſich die Maximen der Politik Athens mit dem allgemeinen Rechtsgefuͤhle der Hellenen, inſonderheit mit der Ehr- furcht vor alten Pietaͤtsverhaͤltniſſen befand, und die- ſer innerliche Gegenſatz iſt die wahre Quelle des Pelo- ponneſiſchen Kriegs. 13. Da uns hier nicht erlaubt iſt, die geſchicht- liche Bedeutung dieſes Krieges fuͤr das buͤrgerliche und ſittliche Leben Griechenlands in voller Breite zu ent- wickeln: ſo muͤſſen wir uns begnuͤgen, auf ſie durch folgende leicht aufgefaßte Gegenſaͤtze hinzudeuten. Es ſtehen gegenuͤber Dorier gegen Jonier, daher das Orakel den Krieg auch den Doriſchen nannte 2. Die 1 Der Sinn der Klauſel der σπονδαὶ τϱιακοντούτεις, Th. 1, 35. kann nur der ſein: Staͤdte außerhalb der Symmachieen koͤnnen ſich anſchließen, wo ſie wollen, dadurch treten ſie den σπονδαῖς bei, und die Symmachie garantirt fuͤr ſie. Aber wenn eine Stadt, die ſchon gegen eine ἔνσπονδος im Kriege iſt, auf- genommen wird, ſo gilt ein ſolcher Krieg einem gleich, den die aufnehmende Symmachie unternommen. 2 Th. 2, 54.

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Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 1. Breslau, 1824, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische02_1824/224>, abgerufen am 29.03.2024.