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Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 1. Breslau, 1824.

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fließt das Flüßchen Anauros ins Meer 1, welches den
Grabhügel des erschlagenen Marssohnes Kyknos von
Regengüssen überströmend aufwühlt und zerstört, "denn
so wollte es Apollon der Letoide, weil Kyknos die
ruhmvollen Hekatomben, die die Völker nach Pytho
führten, raubte." Hieraus ist deutlich, daß das Paga-
säische Heiligthum an jener durch die Theorieen von
und nach Delphi geweihten Straße lag, und wir ha-
ben zugleich in diesen Worten die Andeutung eines in
ältern Gesängen wahrscheinlich ausgeführteren Mythus,
nach welchem die Entheiligung des Tempels die Ursache
von Kyknos Untergang war 2.

4.

So gelangen wir nach Delphi, zum zweiten
Mittelpunkt des Apollinischen Dienstes, und so zu sa-
gen, einem Hauptknoten, in dem viele Fäden des Gewe-
bes seiner Colonisirung zusammen und davon auslau-
fen. Mag hier auch vielleicht seit uralten Zeiten die
eigenthümliche Natur der Klüfte und Thäler -- Erde,
Wasser und Nacht als die alten Inhaber des Orakels --
das Gefühl exstasirt und im Schauer dunkle Ahnung
erzeugt haben; so hängt doch die Gründung eines fe-
sten Instituts mit seinen heiligen Ordnungen und Rech-
ten mit der Einführung des Apollodienstes zusammen.

1 Schild 477. Eurip. Herc. fur. 389. vgl. Band 1. S. 251.
-- En parodo tes thalassias wohnt Kyknos nach Stesichoros
Schol. Pind. O. 10, 19. (p. 36. Suchf.) -- Schol. Il. ps, 346.
aus den Kyklikern: en to tou Pagasaiou Apollonos iero, o
esti pros Troizeni (corr. mit Heinrich Trakhini, vgl. Schild
469.) Pausanias versetzt den Kampf an den Peneios, 1, 27, 7.
Vgl. sonst Schellenb. Antim. p. 67.
2 Es mag der freiern
Dichtung des Stesichoros gestattet werden, den Mythus so zu ver-
ändern, das Kyknos dem Apollon einen Tempel von Leichenschädeln
baut, und es ist nicht nöthig, mit Heyne a. O. to Arei für
to Apolloni zu schreiben. -- Vgl. noch Sturz zu Hellanik.
121. S. 137.

fließt das Fluͤßchen Anauros ins Meer 1, welches den
Grabhuͤgel des erſchlagenen Marsſohnes Kyknos von
Regenguͤſſen uͤberſtroͤmend aufwuͤhlt und zerſtoͤrt, “denn
ſo wollte es Apollon der Letoide, weil Kyknos die
ruhmvollen Hekatomben, die die Voͤlker nach Pytho
fuͤhrten, raubte.” Hieraus iſt deutlich, daß das Paga-
ſaͤiſche Heiligthum an jener durch die Theorieen von
und nach Delphi geweihten Straße lag, und wir ha-
ben zugleich in dieſen Worten die Andeutung eines in
aͤltern Geſaͤngen wahrſcheinlich ausgefuͤhrteren Mythus,
nach welchem die Entheiligung des Tempels die Urſache
von Kyknos Untergang war 2.

4.

So gelangen wir nach Delphi, zum zweiten
Mittelpunkt des Apolliniſchen Dienſtes, und ſo zu ſa-
gen, einem Hauptknoten, in dem viele Faͤden des Gewe-
bes ſeiner Coloniſirung zuſammen und davon auslau-
fen. Mag hier auch vielleicht ſeit uralten Zeiten die
eigenthuͤmliche Natur der Kluͤfte und Thaͤler — Erde,
Waſſer und Nacht als die alten Inhaber des Orakels —
das Gefuͤhl exſtaſirt und im Schauer dunkle Ahnung
erzeugt haben; ſo haͤngt doch die Gruͤndung eines fe-
ſten Inſtituts mit ſeinen heiligen Ordnungen und Rech-
ten mit der Einfuͤhrung des Apollodienſtes zuſammen.

1 Schild 477. Eurip. Herc. fur. 389. vgl. Band 1. S. 251.
— ̓Εν παϱόδῳ τῆς ϑαλασσίας wohnt Kyknos nach Steſichoros
Schol. Pind. O. 10, 19. (p. 36. Suchf.) — Schol. Il. ψ, 346.
aus den Kyklikern: ἐν τῷ τοῦ Παγασαίου Ἀπόλλωνος ἱεϱῷ, ὅ
ἐστι πϱὸς Τϱοιζῆνι (corr. mit Heinrich Τϱαχῖνι, vgl. Schild
469.) Pauſanias verſetzt den Kampf an den Peneios, 1, 27, 7.
Vgl. ſonſt Schellenb. Antim. p. 67.
2 Es mag der freiern
Dichtung des Steſichoros geſtattet werden, den Mythus ſo zu ver-
aͤndern, das Kyknos dem Apollon einen Tempel von Leichenſchaͤdeln
baut, und es iſt nicht noͤthig, mit Heyne a. O. τῷ Ἄϱει fuͤr
τῷ Ἀπόλλωνι zu ſchreiben. — Vgl. noch Sturz zu Hellanik.
121. S. 137.
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[205/0235] fließt das Fluͤßchen Anauros ins Meer 1, welches den Grabhuͤgel des erſchlagenen Marsſohnes Kyknos von Regenguͤſſen uͤberſtroͤmend aufwuͤhlt und zerſtoͤrt, “denn ſo wollte es Apollon der Letoide, weil Kyknos die ruhmvollen Hekatomben, die die Voͤlker nach Pytho fuͤhrten, raubte.” Hieraus iſt deutlich, daß das Paga- ſaͤiſche Heiligthum an jener durch die Theorieen von und nach Delphi geweihten Straße lag, und wir ha- ben zugleich in dieſen Worten die Andeutung eines in aͤltern Geſaͤngen wahrſcheinlich ausgefuͤhrteren Mythus, nach welchem die Entheiligung des Tempels die Urſache von Kyknos Untergang war 2. 4. So gelangen wir nach Delphi, zum zweiten Mittelpunkt des Apolliniſchen Dienſtes, und ſo zu ſa- gen, einem Hauptknoten, in dem viele Faͤden des Gewe- bes ſeiner Coloniſirung zuſammen und davon auslau- fen. Mag hier auch vielleicht ſeit uralten Zeiten die eigenthuͤmliche Natur der Kluͤfte und Thaͤler — Erde, Waſſer und Nacht als die alten Inhaber des Orakels — das Gefuͤhl exſtaſirt und im Schauer dunkle Ahnung erzeugt haben; ſo haͤngt doch die Gruͤndung eines fe- ſten Inſtituts mit ſeinen heiligen Ordnungen und Rech- ten mit der Einfuͤhrung des Apollodienſtes zuſammen. 1 Schild 477. Eurip. Herc. fur. 389. vgl. Band 1. S. 251. — ̓Εν παϱόδῳ τῆς ϑαλασσίας wohnt Kyknos nach Steſichoros Schol. Pind. O. 10, 19. (p. 36. Suchf.) — Schol. Il. ψ, 346. aus den Kyklikern: ἐν τῷ τοῦ Παγασαίου Ἀπόλλωνος ἱεϱῷ, ὅ ἐστι πϱὸς Τϱοιζῆνι (corr. mit Heinrich Τϱαχῖνι, vgl. Schild 469.) Pauſanias verſetzt den Kampf an den Peneios, 1, 27, 7. Vgl. ſonſt Schellenb. Antim. p. 67. 2 Es mag der freiern Dichtung des Steſichoros geſtattet werden, den Mythus ſo zu ver- aͤndern, das Kyknos dem Apollon einen Tempel von Leichenſchaͤdeln baut, und es iſt nicht noͤthig, mit Heyne a. O. τῷ Ἄϱει fuͤr τῷ Ἀπόλλωνι zu ſchreiben. — Vgl. noch Sturz zu Hellanik. 121. S. 137.

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Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 1. Breslau, 1824, S. 205. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische02_1824/235>, abgerufen am 28.03.2024.