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Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 1. Breslau, 1824.

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5.

Diese Ereignisse, deren Zusammenhang den Ge-
danken von Erdichtung ausschließt, geben einen Begriff
von der ausgedehnten und völkergebietenden Gewalt des
Delphischen Instituts, welche Macht wahrscheinlich
schon im Zeitalter der auf die Dorische folgenden Wan-
derungen ihren höchsten Grad erreicht hatte. In der-
selben Zeit war daher auch die Thätigkeit der Pyläi-
schen Amphiktyonie am regsten und bedeutendsten 1),
welche Verbindung Thessalischer und aus Thessalien ab-
stammender Völker die Sorge um das Dorische Heilig-
thum von Pytho mit der Pflege des Demetertempels
in den Thermopylen verband, so daß zu einem rein-
hellenischen Heiligthum ein altpelasgisches 2 gefügt war --
wahrscheinlich nicht ohne die Absicht innigerer Verknü-
pfung der verschiedenen Griechenstämme. Die Früh-
lingsversammlung in Delphi hatte vielleicht ein Vor-
bild an den Zusammenkünften der umwohnenden Städte
bei dem Frühlingsfeste in Tempe; auch an diese knüpf-
ten sich bisweilen Berathschlagungen politischer Art 3.
Politisch im eigentlichen Sinne war indeß die Thätig-
keit der Pyläischen Amphiktyonen zu keiner Zeit; alle
ihre Anordnungen und Unternehmungen, mit wenigen
Ausnahmen, bezogen sich auf den Schutz der beiden
Heiligthümer in ihren Rechten und Besitzungen, auch
auf die Verhältnisse anderer Tempel in Griechenland,
und auf die Aufrechthaltung einiger aus religiösen Ideen
hervorgegangenen völkerrechtlichen Grundsätze (nomoi
Amphiktuonikoi).

6.

Unter den Colonien erkor erstens die Dori-
sche
nach Kleinasien den Stammgott Apollon zum

1) S. besonders Tac. Ann. 4, 44.
2 Nach Kallim.
Epigr. 41, 2. gegründet von Akrisios dem Pelasger, von dem darum
auch die Amphiktyonie selbst abgeleitet wird.
3 Aelian V. G.
3, 1. Liv. 39, 24. vgl. Plut. def. orac. 14.
5.

Dieſe Ereigniſſe, deren Zuſammenhang den Ge-
danken von Erdichtung ausſchließt, geben einen Begriff
von der ausgedehnten und voͤlkergebietenden Gewalt des
Delphiſchen Inſtituts, welche Macht wahrſcheinlich
ſchon im Zeitalter der auf die Doriſche folgenden Wan-
derungen ihren hoͤchſten Grad erreicht hatte. In der-
ſelben Zeit war daher auch die Thaͤtigkeit der Pylaͤi-
ſchen Amphiktyonie am regſten und bedeutendſten 1),
welche Verbindung Theſſaliſcher und aus Theſſalien ab-
ſtammender Voͤlker die Sorge um das Doriſche Heilig-
thum von Pytho mit der Pflege des Demetertempels
in den Thermopylen verband, ſo daß zu einem rein-
helleniſchen Heiligthum ein altpelasgiſches 2 gefuͤgt war —
wahrſcheinlich nicht ohne die Abſicht innigerer Verknuͤ-
pfung der verſchiedenen Griechenſtaͤmme. Die Fruͤh-
lingsverſammlung in Delphi hatte vielleicht ein Vor-
bild an den Zuſammenkuͤnften der umwohnenden Staͤdte
bei dem Fruͤhlingsfeſte in Tempe; auch an dieſe knuͤpf-
ten ſich bisweilen Berathſchlagungen politiſcher Art 3.
Politiſch im eigentlichen Sinne war indeß die Thaͤtig-
keit der Pylaͤiſchen Amphiktyonen zu keiner Zeit; alle
ihre Anordnungen und Unternehmungen, mit wenigen
Ausnahmen, bezogen ſich auf den Schutz der beiden
Heiligthuͤmer in ihren Rechten und Beſitzungen, auch
auf die Verhaͤltniſſe anderer Tempel in Griechenland,
und auf die Aufrechthaltung einiger aus religioͤſen Ideen
hervorgegangenen voͤlkerrechtlichen Grundſaͤtze (νόμοι
Ἀμφικτυονικοί).

6.

Unter den Colonien erkor erſtens die Dori-
ſche
nach Kleinaſien den Stammgott Apollon zum

1) S. beſonders Tac. Ann. 4, 44.
2 Nach Kallim.
Epigr. 41, 2. gegruͤndet von Akriſios dem Pelasger, von dem darum
auch die Amphiktyonie ſelbſt abgeleitet wird.
3 Aelian V. G.
3, 1. Liv. 39, 24. vgl. Plut. def. orac. 14.
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[261/0291] 5. Dieſe Ereigniſſe, deren Zuſammenhang den Ge- danken von Erdichtung ausſchließt, geben einen Begriff von der ausgedehnten und voͤlkergebietenden Gewalt des Delphiſchen Inſtituts, welche Macht wahrſcheinlich ſchon im Zeitalter der auf die Doriſche folgenden Wan- derungen ihren hoͤchſten Grad erreicht hatte. In der- ſelben Zeit war daher auch die Thaͤtigkeit der Pylaͤi- ſchen Amphiktyonie am regſten und bedeutendſten 1), welche Verbindung Theſſaliſcher und aus Theſſalien ab- ſtammender Voͤlker die Sorge um das Doriſche Heilig- thum von Pytho mit der Pflege des Demetertempels in den Thermopylen verband, ſo daß zu einem rein- helleniſchen Heiligthum ein altpelasgiſches 2 gefuͤgt war — wahrſcheinlich nicht ohne die Abſicht innigerer Verknuͤ- pfung der verſchiedenen Griechenſtaͤmme. Die Fruͤh- lingsverſammlung in Delphi hatte vielleicht ein Vor- bild an den Zuſammenkuͤnften der umwohnenden Staͤdte bei dem Fruͤhlingsfeſte in Tempe; auch an dieſe knuͤpf- ten ſich bisweilen Berathſchlagungen politiſcher Art 3. Politiſch im eigentlichen Sinne war indeß die Thaͤtig- keit der Pylaͤiſchen Amphiktyonen zu keiner Zeit; alle ihre Anordnungen und Unternehmungen, mit wenigen Ausnahmen, bezogen ſich auf den Schutz der beiden Heiligthuͤmer in ihren Rechten und Beſitzungen, auch auf die Verhaͤltniſſe anderer Tempel in Griechenland, und auf die Aufrechthaltung einiger aus religioͤſen Ideen hervorgegangenen voͤlkerrechtlichen Grundſaͤtze (νόμοι Ἀμφικτυονικοί). 6. Unter den Colonien erkor erſtens die Dori- ſche nach Kleinaſien den Stammgott Apollon zum 1) S. beſonders Tac. Ann. 4, 44. 2 Nach Kallim. Epigr. 41, 2. gegruͤndet von Akriſios dem Pelasger, von dem darum auch die Amphiktyonie ſelbſt abgeleitet wird. 3 Aelian V. G. 3, 1. Liv. 39, 24. vgl. Plut. def. orac. 14.

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Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 1. Breslau, 1824, S. 261. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische02_1824/291>, abgerufen am 18.04.2024.