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Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 1. Breslau, 1824.

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sischen Kriege wirklich erbebte 1. Alles dies be-
ruhte indeß keineswegs auf Naturbeobachtungen, son-
dern wurde durch religiöse Ideen als nothwendig po-
stulirt. Durch "das Gestirn der dunkeln Erde" aber
deutet Pindar trefflich auf die Ideenreihe, in welcher
Delos, (das selbst davon den Namen trägt,) die reine,
helle, strahlende Insel ist, die darum ja auch von
aller Befleckung gereinigt, und von allen Leichen frei-
gehalten werden muß, deren Anblick dem Gotte durch-
aus verhaßt ist. Dieser Gedanke brachte auch die
Sage hervor, daß Asteria, die Titanin, sich ins Meer
gestürzt habe und zur Insel versteinert sei.

4.

Die Geburt des Apollon war als der Wende-
punkt des idealen Mythenkreises ohne Zweifel schon in
alten Hymnen besungen, die durch ernste Einfachheit
sich von der heiteren Blume des Homeridischen Gesan-
ges sehr unterscheiden mochten. Ein solcher Hymnus,
den man dem Olen beischrieb, war an Eileithyia ge-
richtet, deren Verehrung sammt dem übrigen Cult,
als integrirender Theil desselben, von Knossos, wie
oben bemerkt, nach Delos und von da weiter nach
Athen herüberkam 2. Olen nannte sie die Wohlspin-
nende (eulinos), womit er wahrscheinlich, denn ein bloß

1 Frgm. Prosod. 1. Böckh. Dies Prosodion muß also vor
dem Erdbeben Ol. 72, 3. (Herod. 6, 98.) geschrieben sein: dadurch
bestätigt sich die Behauptung Dissens, daß es Isthm. 1, 4. nicht
gemeint sei, da dies Gedicht, wie derselbe Kritiker zeigt, nach Ol.
80, 3. geschrieben ist. Herodot aber hat wieder von dem Erdbeben
bei Ausbruch des Pelop. Krieges (Thuk. 2, 8.) keine Kunde mehr;
und Thuk. a. O. hatte von dem erstern, älteren als er selbst, nichts
gehört, und den Herodot nicht gelesen. Sonst vgl. Mucian bei
Plin. 4, 12. Aristid. Or. 6. p. 77, 78. Spanheim a. O. zu
V. 11. u. Aa.
2 Paus. 1, 18, 5. 8, 21, 2. 9, 27. 2. vgl.
Herod. 4, 2. Daß Olen die Eileithyia zur Pepromene machen, ist
nur Schluß des Paus.

ſiſchen Kriege wirklich erbebte 1. Alles dies be-
ruhte indeß keineswegs auf Naturbeobachtungen, ſon-
dern wurde durch religioͤſe Ideen als nothwendig po-
ſtulirt. Durch “das Geſtirn der dunkeln Erde” aber
deutet Pindar trefflich auf die Ideenreihe, in welcher
Delos, (das ſelbſt davon den Namen traͤgt,) die reine,
helle, ſtrahlende Inſel iſt, die darum ja auch von
aller Befleckung gereinigt, und von allen Leichen frei-
gehalten werden muß, deren Anblick dem Gotte durch-
aus verhaßt iſt. Dieſer Gedanke brachte auch die
Sage hervor, daß Aſteria, die Titanin, ſich ins Meer
geſtuͤrzt habe und zur Inſel verſteinert ſei.

4.

Die Geburt des Apollon war als der Wende-
punkt des idealen Mythenkreiſes ohne Zweifel ſchon in
alten Hymnen beſungen, die durch ernſte Einfachheit
ſich von der heiteren Blume des Homeridiſchen Geſan-
ges ſehr unterſcheiden mochten. Ein ſolcher Hymnus,
den man dem Olen beiſchrieb, war an Eileithyia ge-
richtet, deren Verehrung ſammt dem uͤbrigen Cult,
als integrirender Theil deſſelben, von Knoſſos, wie
oben bemerkt, nach Delos und von da weiter nach
Athen heruͤberkam 2. Olen nannte ſie die Wohlſpin-
nende (εὔλινος), womit er wahrſcheinlich, denn ein bloß

1 Frgm. Proſod. 1. Boͤckh. Dies Proſodion muß alſo vor
dem Erdbeben Ol. 72, 3. (Herod. 6, 98.) geſchrieben ſein: dadurch
beſtaͤtigt ſich die Behauptung Diſſens, daß es Iſthm. 1, 4. nicht
gemeint ſei, da dies Gedicht, wie derſelbe Kritiker zeigt, nach Ol.
80, 3. geſchrieben iſt. Herodot aber hat wieder von dem Erdbeben
bei Ausbruch des Pelop. Krieges (Thuk. 2, 8.) keine Kunde mehr;
und Thuk. a. O. hatte von dem erſtern, aͤlteren als er ſelbſt, nichts
gehoͤrt, und den Herodot nicht geleſen. Sonſt vgl. Mucian bei
Plin. 4, 12. Ariſtid. Or. 6. p. 77, 78. Spanheim a. O. zu
V. 11. u. Aa.
2 Pauſ. 1, 18, 5. 8, 21, 2. 9, 27. 2. vgl.
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nur Schluß des Pauſ.
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[312/0342] ſiſchen Kriege wirklich erbebte 1. Alles dies be- ruhte indeß keineswegs auf Naturbeobachtungen, ſon- dern wurde durch religioͤſe Ideen als nothwendig po- ſtulirt. Durch “das Geſtirn der dunkeln Erde” aber deutet Pindar trefflich auf die Ideenreihe, in welcher Delos, (das ſelbſt davon den Namen traͤgt,) die reine, helle, ſtrahlende Inſel iſt, die darum ja auch von aller Befleckung gereinigt, und von allen Leichen frei- gehalten werden muß, deren Anblick dem Gotte durch- aus verhaßt iſt. Dieſer Gedanke brachte auch die Sage hervor, daß Aſteria, die Titanin, ſich ins Meer geſtuͤrzt habe und zur Inſel verſteinert ſei. 4. Die Geburt des Apollon war als der Wende- punkt des idealen Mythenkreiſes ohne Zweifel ſchon in alten Hymnen beſungen, die durch ernſte Einfachheit ſich von der heiteren Blume des Homeridiſchen Geſan- ges ſehr unterſcheiden mochten. Ein ſolcher Hymnus, den man dem Olen beiſchrieb, war an Eileithyia ge- richtet, deren Verehrung ſammt dem uͤbrigen Cult, als integrirender Theil deſſelben, von Knoſſos, wie oben bemerkt, nach Delos und von da weiter nach Athen heruͤberkam 2. Olen nannte ſie die Wohlſpin- nende (εὔλινος), womit er wahrſcheinlich, denn ein bloß 1 Frgm. Proſod. 1. Boͤckh. Dies Proſodion muß alſo vor dem Erdbeben Ol. 72, 3. (Herod. 6, 98.) geſchrieben ſein: dadurch beſtaͤtigt ſich die Behauptung Diſſens, daß es Iſthm. 1, 4. nicht gemeint ſei, da dies Gedicht, wie derſelbe Kritiker zeigt, nach Ol. 80, 3. geſchrieben iſt. Herodot aber hat wieder von dem Erdbeben bei Ausbruch des Pelop. Krieges (Thuk. 2, 8.) keine Kunde mehr; und Thuk. a. O. hatte von dem erſtern, aͤlteren als er ſelbſt, nichts gehoͤrt, und den Herodot nicht geleſen. Sonſt vgl. Mucian bei Plin. 4, 12. Ariſtid. Or. 6. p. 77, 78. Spanheim a. O. zu V. 11. u. Aa. 2 Pauſ. 1, 18, 5. 8, 21, 2. 9, 27. 2. vgl. Herod. 4, 2. Daß Olen die Eileithyia zur Pepromene machen, iſt nur Schluß des Pauſ.

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Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 1. Breslau, 1824, S. 312. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische02_1824/342>, abgerufen am 25.04.2024.