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Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 1. Breslau, 1824.

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5.

Die Lokalitäten dieser Geburt waren in Delos
sehr genau bestimmt, da man von einem so wichtigen
Ereigniß gern die kleinsten Umstände wissen mochte.
Man muß sie an der Stelle suchen, wo das im Som-
mer anschwellende Flüßchen Inopos aus dem Berge
Kynthos hervorströmt 1. Hier lag ein kreisförmiger
bassinartiger Teich (die limne trokhoessa), dessen Ge-
stalt oft mit Bedeutsamkeit erwähnt wird 2. Dabei
wuchsen zwei heilige Bäume, die Palme und die Olive,
welche sonst eben nicht zu den heiligen Bäumen Apol-
lons gezählt werden, da die erstere fast gar nicht, und
die zweite nur durch Pflege im eigentlichen Griechen-
lande gedeiht. Es konnte sich auch nur das Delische
Heiligthum der Palme rühmen, und die Tegyräer in
Böotien mußten, um ein ähnliches Andenken bei sich
zu haben, sehr willkührlich eine Quelle Phönix nennen:
dagegen von Delos der Gebrauch des Palmzweiges bei
Agonen ausging 3.

Durch des Gottes Geburt sah sich das Eiland für
so geheiligt an, daß auch ferner kein lebendes Wesen
daselbst so wenig geboren werden als sterben durfte 4.
Jede schwangere Mutter mußte nach dem nahen Rhe-
neia hinübergeschafft werden. So zeigt der Gott seine
Abneigung vor der gebärenden Fülle der Natur, die
mit gleicher Lust am Produciren Wüstes und Unreines,
wie Reines und Schönes schafft, und wendet sich vor

1 Hymn. Hom. Anf. Kallim. auf Del. 206. vgl. die Karte
der Insel bei Choiseul Gouff. Voy. pittor. T. 1. pl. 31.
2 S.
Aeschylos Eum. 9. vgl. Schütz. Theognis V. 7. Herod. 2, 170.
Eurip. Jon. 169. Iphig. T. 1105. Kallim. auf Ap. 59. auf
Delos 261.
3 Paus. 8, 48, 2. - vgl. Odyssee 6, 167. Schol.
Eurip. Jon 932. Aelian V. H. 5, 4. Hygin. f. 53. 140. Ca-
tull 34, 8. Die Palme zur Bezeichnung des Lokals von Delos auf
Vasengemälden. S. Tischbein 1, 24. 2, 12.
4 Str. 10, 486 u. Aa.
5.

Die Lokalitaͤten dieſer Geburt waren in Delos
ſehr genau beſtimmt, da man von einem ſo wichtigen
Ereigniß gern die kleinſten Umſtaͤnde wiſſen mochte.
Man muß ſie an der Stelle ſuchen, wo das im Som-
mer anſchwellende Fluͤßchen Inopos aus dem Berge
Kynthos hervorſtroͤmt 1. Hier lag ein kreisfoͤrmiger
baſſinartiger Teich (die λίμνη τροχόεσσα), deſſen Ge-
ſtalt oft mit Bedeutſamkeit erwaͤhnt wird 2. Dabei
wuchſen zwei heilige Baͤume, die Palme und die Olive,
welche ſonſt eben nicht zu den heiligen Baͤumen Apol-
lons gezaͤhlt werden, da die erſtere faſt gar nicht, und
die zweite nur durch Pflege im eigentlichen Griechen-
lande gedeiht. Es konnte ſich auch nur das Deliſche
Heiligthum der Palme ruͤhmen, und die Tegyraͤer in
Boͤotien mußten, um ein aͤhnliches Andenken bei ſich
zu haben, ſehr willkuͤhrlich eine Quelle Phoͤnix nennen:
dagegen von Delos der Gebrauch des Palmzweiges bei
Agonen ausging 3.

Durch des Gottes Geburt ſah ſich das Eiland fuͤr
ſo geheiligt an, daß auch ferner kein lebendes Weſen
daſelbſt ſo wenig geboren werden als ſterben durfte 4.
Jede ſchwangere Mutter mußte nach dem nahen Rhe-
neia hinuͤbergeſchafft werden. So zeigt der Gott ſeine
Abneigung vor der gebaͤrenden Fuͤlle der Natur, die
mit gleicher Luſt am Produciren Wuͤſtes und Unreines,
wie Reines und Schoͤnes ſchafft, und wendet ſich vor

1 Hymn. Hom. Anf. Kallim. auf Del. 206. vgl. die Karte
der Inſel bei Choiſeul Gouff. Voy. pittor. T. 1. pl. 31.
2 S.
Aeſchylos Eum. 9. vgl. Schuͤtz. Theognis V. 7. Herod. 2, 170.
Eurip. Jon. 169. Iphig. T. 1105. Kallim. auf Ap. 59. auf
Delos 261.
3 Pauſ. 8, 48, 2. ‒ vgl. Odyſſee 6, 167. Schol.
Eurip. Jon 932. Aelian V. H. 5, 4. Hygin. f. 53. 140. Ca-
tull 34, 8. Die Palme zur Bezeichnung des Lokals von Delos auf
Vaſengemaͤlden. S. Tiſchbein 1, 24. 2, 12.
4 Str. 10, 486 u. Aa.
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[314/0344] 5. Die Lokalitaͤten dieſer Geburt waren in Delos ſehr genau beſtimmt, da man von einem ſo wichtigen Ereigniß gern die kleinſten Umſtaͤnde wiſſen mochte. Man muß ſie an der Stelle ſuchen, wo das im Som- mer anſchwellende Fluͤßchen Inopos aus dem Berge Kynthos hervorſtroͤmt 1. Hier lag ein kreisfoͤrmiger baſſinartiger Teich (die λίμνη τροχόεσσα), deſſen Ge- ſtalt oft mit Bedeutſamkeit erwaͤhnt wird 2. Dabei wuchſen zwei heilige Baͤume, die Palme und die Olive, welche ſonſt eben nicht zu den heiligen Baͤumen Apol- lons gezaͤhlt werden, da die erſtere faſt gar nicht, und die zweite nur durch Pflege im eigentlichen Griechen- lande gedeiht. Es konnte ſich auch nur das Deliſche Heiligthum der Palme ruͤhmen, und die Tegyraͤer in Boͤotien mußten, um ein aͤhnliches Andenken bei ſich zu haben, ſehr willkuͤhrlich eine Quelle Phoͤnix nennen: dagegen von Delos der Gebrauch des Palmzweiges bei Agonen ausging 3. Durch des Gottes Geburt ſah ſich das Eiland fuͤr ſo geheiligt an, daß auch ferner kein lebendes Weſen daſelbſt ſo wenig geboren werden als ſterben durfte 4. Jede ſchwangere Mutter mußte nach dem nahen Rhe- neia hinuͤbergeſchafft werden. So zeigt der Gott ſeine Abneigung vor der gebaͤrenden Fuͤlle der Natur, die mit gleicher Luſt am Produciren Wuͤſtes und Unreines, wie Reines und Schoͤnes ſchafft, und wendet ſich vor 1 Hymn. Hom. Anf. Kallim. auf Del. 206. vgl. die Karte der Inſel bei Choiſeul Gouff. Voy. pittor. T. 1. pl. 31. 2 S. Aeſchylos Eum. 9. vgl. Schuͤtz. Theognis V. 7. Herod. 2, 170. Eurip. Jon. 169. Iphig. T. 1105. Kallim. auf Ap. 59. auf Delos 261. 3 Pauſ. 8, 48, 2. ‒ vgl. Odyſſee 6, 167. Schol. Eurip. Jon 932. Aelian V. H. 5, 4. Hygin. f. 53. 140. Ca- tull 34, 8. Die Palme zur Bezeichnung des Lokals von Delos auf Vaſengemaͤlden. S. Tiſchbein 1, 24. 2, 12. 4 Str. 10, 486 u. Aa.

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Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 1. Breslau, 1824, S. 314. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische02_1824/344>, abgerufen am 25.04.2024.