Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 1. Breslau, 1824.

Bild:
<< vorherige Seite

keit wegen einem Hyperboreer, einem Vertrauten des
Gottes, der zuerst ihre Wunderkraft dargethan, zu-
schrieb 1; doch löst sich so keineswegs der ganze My-
thus auf.

20.

Endlich steht der Apollodienst auch mit einem
Zweige Griechischer Philosophie in einem solchen Ver-
hältniß, daß diese in mancher Hinsicht wissenschaftlich
begründet und ausführt, was jener nur für das
Gefühl andeutete, nämlich mit dem Pythagoreis-
mus
. Pythagoras hatte erbliche Sacra des Apollon;
er zog nach Kroton, wo dieser Gott so vielfach verehrt
wurde 2; er lebte meist unter Doriern, die diesem
Dienste überall anhingen; unter seinen Anhängern wird
selbst eine Delphische Priesterin, Aristokleia, genannt 3.
Man hat die Pythagorische Philosophie in neuern Zei-
ten mit Recht als die Dorische zu betrachten angefan-
gen: so folgte sie auch in der Politik Dorischen Grund-
sätzen, so knüpfte sie sich äußerlich wie innerlich an
Dorische Religion an: und eben das Bestreben, na-
tionale Ideen und Prinzipe zu verwirklichen und herr-
schend zu machen, erklärt vielleicht das wunderbare
Phänomen der so schnell anwachsenden Macht des
Pythagorischen Bundes. Im Innern dieser Philoso-
phie ruht immer die Grundansicht: das Wesen der Dinge
liege in dem Maaße, dem Verhältnisse, der geregelten
Form; alles bestehe einzig durch Harmonie und Sym-
metrie; die Welt selbst sei eine Einheit aller dieser
Verhältnisse, ein kosmos; dabei beachtet sie das die
Form erfüllende, Stoffartige eigentlich wenig, das

1 Platon Charmid. 158 b. Lykurg g. Menesächmos bei Eu-
dokia Viol. p. 20. u. Nonnus ad Gregor. in Creuzer Meletem.
P. 1. p.
76.
2 S. 264.
3 Fabric. Bibl. 1. S. 881.
Harl. vgl. Apostol. 17, 86. -- Manches dahin einschlagende in
Zinserlings seltsamem aber interessanten Pythagoras-Apollon.

keit wegen einem Hyperboreer, einem Vertrauten des
Gottes, der zuerſt ihre Wunderkraft dargethan, zu-
ſchrieb 1; doch loͤst ſich ſo keineswegs der ganze My-
thus auf.

20.

Endlich ſteht der Apollodienſt auch mit einem
Zweige Griechiſcher Philoſophie in einem ſolchen Ver-
haͤltniß, daß dieſe in mancher Hinſicht wiſſenſchaftlich
begruͤndet und ausfuͤhrt, was jener nur fuͤr das
Gefuͤhl andeutete, naͤmlich mit dem Pythagoreis-
mus
. Pythagoras hatte erbliche Sacra des Apollon;
er zog nach Kroton, wo dieſer Gott ſo vielfach verehrt
wurde 2; er lebte meiſt unter Doriern, die dieſem
Dienſte uͤberall anhingen; unter ſeinen Anhaͤngern wird
ſelbſt eine Delphiſche Prieſterin, Ariſtokleia, genannt 3.
Man hat die Pythagoriſche Philoſophie in neuern Zei-
ten mit Recht als die Doriſche zu betrachten angefan-
gen: ſo folgte ſie auch in der Politik Doriſchen Grund-
ſaͤtzen, ſo knuͤpfte ſie ſich aͤußerlich wie innerlich an
Doriſche Religion an: und eben das Beſtreben, na-
tionale Ideen und Prinzipe zu verwirklichen und herr-
ſchend zu machen, erklaͤrt vielleicht das wunderbare
Phaͤnomen der ſo ſchnell anwachſenden Macht des
Pythagoriſchen Bundes. Im Innern dieſer Philoſo-
phie ruht immer die Grundanſicht: das Weſen der Dinge
liege in dem Maaße, dem Verhaͤltniſſe, der geregelten
Form; alles beſtehe einzig durch Harmonie und Sym-
metrie; die Welt ſelbſt ſei eine Einheit aller dieſer
Verhaͤltniſſe, ein κόσμος; dabei beachtet ſie das die
Form erfuͤllende, Stoffartige eigentlich wenig, das

1 Platon Charmid. 158 b. Lykurg g. Meneſaͤchmos bei Eu-
dokia Viol. p. 20. u. Nonnus ad Gregor. in Creuzer Meletem.
P. 1. p.
76.
2 S. 264.
3 Fabric. Bibl. 1. S. 881.
Harl. vgl. Apoſtol. 17, 86. — Manches dahin einſchlagende in
Zinſerlings ſeltſamem aber intereſſanten Pythagoras-Apollon.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0395" n="365"/>
keit wegen einem Hyperboreer, einem Vertrauten des<lb/>
Gottes, der zuer&#x017F;t ihre Wunderkraft dargethan, zu-<lb/>
&#x017F;chrieb <note place="foot" n="1">Platon Charmid. 158 <hi rendition="#aq">b.</hi> Lykurg g. Mene&#x017F;a&#x0364;chmos bei Eu-<lb/>
dokia <hi rendition="#aq">Viol. p.</hi> 20. u. Nonnus <hi rendition="#aq">ad Gregor.</hi> in Creuzer <hi rendition="#aq">Meletem.<lb/>
P. 1. p.</hi> 76.</note>; doch lo&#x0364;st &#x017F;ich &#x017F;o keineswegs der ganze My-<lb/>
thus auf.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>20.</head><lb/>
              <p>Endlich &#x017F;teht der Apollodien&#x017F;t auch mit einem<lb/>
Zweige Griechi&#x017F;cher Philo&#x017F;ophie in einem &#x017F;olchen Ver-<lb/>
ha&#x0364;ltniß, daß die&#x017F;e in mancher Hin&#x017F;icht wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftlich<lb/>
begru&#x0364;ndet und ausfu&#x0364;hrt, was jener nur fu&#x0364;r das<lb/>
Gefu&#x0364;hl andeutete, na&#x0364;mlich mit dem <hi rendition="#g">Pythagoreis-<lb/>
mus</hi>. Pythagoras hatte erbliche Sacra des Apollon;<lb/>
er zog nach Kroton, wo die&#x017F;er Gott &#x017F;o vielfach verehrt<lb/>
wurde <note place="foot" n="2">S. 264.</note>; er lebte mei&#x017F;t unter Doriern, die die&#x017F;em<lb/>
Dien&#x017F;te u&#x0364;berall anhingen; unter &#x017F;einen Anha&#x0364;ngern wird<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t eine Delphi&#x017F;che Prie&#x017F;terin, Ari&#x017F;tokleia, genannt <note place="foot" n="3">Fabric. <hi rendition="#aq">Bibl.</hi> 1. S. 881.<lb/>
Harl. vgl. Apo&#x017F;tol. 17, 86. &#x2014; Manches dahin ein&#x017F;chlagende in<lb/>
Zin&#x017F;erlings &#x017F;elt&#x017F;amem aber intere&#x017F;&#x017F;anten Pythagoras-Apollon.</note>.<lb/>
Man hat die Pythagori&#x017F;che Philo&#x017F;ophie in neuern Zei-<lb/>
ten mit Recht als die Dori&#x017F;che zu betrachten angefan-<lb/>
gen: &#x017F;o folgte &#x017F;ie auch in der Politik Dori&#x017F;chen Grund-<lb/>
&#x017F;a&#x0364;tzen, &#x017F;o knu&#x0364;pfte &#x017F;ie &#x017F;ich a&#x0364;ußerlich wie innerlich an<lb/>
Dori&#x017F;che Religion an: und eben das Be&#x017F;treben, na-<lb/>
tionale Ideen und Prinzipe zu verwirklichen und herr-<lb/>
&#x017F;chend zu machen, erkla&#x0364;rt vielleicht das wunderbare<lb/>
Pha&#x0364;nomen der &#x017F;o &#x017F;chnell anwach&#x017F;enden Macht des<lb/>
Pythagori&#x017F;chen Bundes. Im Innern die&#x017F;er Philo&#x017F;o-<lb/>
phie ruht immer die Grundan&#x017F;icht: das We&#x017F;en der Dinge<lb/>
liege in dem Maaße, dem Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e, der geregelten<lb/>
Form; alles be&#x017F;tehe einzig durch Harmonie und Sym-<lb/>
metrie; die Welt &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;ei eine Einheit aller die&#x017F;er<lb/>
Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e, ein &#x03BA;&#x03CC;&#x03C3;&#x03BC;&#x03BF;&#x03C2;; dabei beachtet &#x017F;ie das die<lb/>
Form erfu&#x0364;llende, Stoffartige eigentlich wenig, das<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[365/0395] keit wegen einem Hyperboreer, einem Vertrauten des Gottes, der zuerſt ihre Wunderkraft dargethan, zu- ſchrieb 1; doch loͤst ſich ſo keineswegs der ganze My- thus auf. 20. Endlich ſteht der Apollodienſt auch mit einem Zweige Griechiſcher Philoſophie in einem ſolchen Ver- haͤltniß, daß dieſe in mancher Hinſicht wiſſenſchaftlich begruͤndet und ausfuͤhrt, was jener nur fuͤr das Gefuͤhl andeutete, naͤmlich mit dem Pythagoreis- mus. Pythagoras hatte erbliche Sacra des Apollon; er zog nach Kroton, wo dieſer Gott ſo vielfach verehrt wurde 2; er lebte meiſt unter Doriern, die dieſem Dienſte uͤberall anhingen; unter ſeinen Anhaͤngern wird ſelbſt eine Delphiſche Prieſterin, Ariſtokleia, genannt 3. Man hat die Pythagoriſche Philoſophie in neuern Zei- ten mit Recht als die Doriſche zu betrachten angefan- gen: ſo folgte ſie auch in der Politik Doriſchen Grund- ſaͤtzen, ſo knuͤpfte ſie ſich aͤußerlich wie innerlich an Doriſche Religion an: und eben das Beſtreben, na- tionale Ideen und Prinzipe zu verwirklichen und herr- ſchend zu machen, erklaͤrt vielleicht das wunderbare Phaͤnomen der ſo ſchnell anwachſenden Macht des Pythagoriſchen Bundes. Im Innern dieſer Philoſo- phie ruht immer die Grundanſicht: das Weſen der Dinge liege in dem Maaße, dem Verhaͤltniſſe, der geregelten Form; alles beſtehe einzig durch Harmonie und Sym- metrie; die Welt ſelbſt ſei eine Einheit aller dieſer Verhaͤltniſſe, ein κόσμος; dabei beachtet ſie das die Form erfuͤllende, Stoffartige eigentlich wenig, das 1 Platon Charmid. 158 b. Lykurg g. Meneſaͤchmos bei Eu- dokia Viol. p. 20. u. Nonnus ad Gregor. in Creuzer Meletem. P. 1. p. 76. 2 S. 264. 3 Fabric. Bibl. 1. S. 881. Harl. vgl. Apoſtol. 17, 86. — Manches dahin einſchlagende in Zinſerlings ſeltſamem aber intereſſanten Pythagoras-Apollon.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische02_1824
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische02_1824/395
Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 1. Breslau, 1824, S. 365. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische02_1824/395>, abgerufen am 29.03.2024.