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Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 1. Breslau, 1824.

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damit er es für alle sein könne, nothwendig ein weib-
liches Wesen dazu gehörte. Daß diese aber so ganz
männerartig neben ihn tritt: davon mag der Grund
in dem Verhältnisse Dorischer Frauen liegen, die weit
mehr als unabhängige und für sich bestehende Wesen
gedacht wurden, die zu allem, was den Mann ziert,
ebenfalls Ausbildungsfähigkeit besäßen.

3.

Nun bleibt uns der schwerere Theil der Auf-
gabe zu lösen übrig: zu zeigen, welcher Artemisdienst
nicht von gleichem Ursprung und gleicher Natur mit
dem Apollinischen gewesen. Wir bezeichnen als solchen
zuvörderst den Arkadischen. Nirgends hat die Göt-
tin so viele Heiligthümer als in Arkadien besessen. Sie
ist hier Nationalgottheit, die besonders unter dem Na-
men Hymnia, Hochzeitliche, seit alter Zeit von allen
Stämmen des Volks geehrt 1, und als Kallisto selbst den
Stammgenealogieen eingetragen und Tochter des Ly-
kaon 2, d. h. des Lykäischen Jupiters, und Mutter des
Arkas, d. h. des Volkes, genannt wurde. Denn daß
Kallisto nur der wenig umgewandelte Name der Arte-
mis Kalliste ist, geht daraus hervor, daß der Heroine
Grab im Tempel der Göttin gezeigt wurde 3, und
daraus daß Kallisto in eine Bärin verwandelt sein sollte,
die Symbol der Arkadischen Artemis war 4. Es ist
leicht zu begreifen, daß, wie man Apollon Lykeios zu

1 Paus. 8, 5, 8. vgl. 13, 1. 4, der T. auf den Gränzen von
Mantineia und Orchomenos, 12, 3. Aus Polyän 8, 34. sieht man,
daß die Tegeaten zur Artemis von Pheneos Festzüge sandten.
2 Eumelos bei Apolld. 3, 8, 2. Asios und Pherekydes weichen
ab.
3 Pauf. 8, 35, 7. vgl. Sappho bei Paus. 1, 29, 2.
Aeginet. p. 31. Art. heißt, kat exokhen, a kala. Feder in Aga-
memn. Aeschyl. p.
9.
4 Als das Gestirn der Bärin kannte
die Kallisto schon Hesiod, Hygin Poet. Astr. 1. S. 356. M.
Lactant. 6.

damit er es fuͤr alle ſein koͤnne, nothwendig ein weib-
liches Weſen dazu gehoͤrte. Daß dieſe aber ſo ganz
maͤnnerartig neben ihn tritt: davon mag der Grund
in dem Verhaͤltniſſe Doriſcher Frauen liegen, die weit
mehr als unabhaͤngige und fuͤr ſich beſtehende Weſen
gedacht wurden, die zu allem, was den Mann ziert,
ebenfalls Ausbildungsfaͤhigkeit beſaͤßen.

3.

Nun bleibt uns der ſchwerere Theil der Auf-
gabe zu loͤſen uͤbrig: zu zeigen, welcher Artemisdienſt
nicht von gleichem Urſprung und gleicher Natur mit
dem Apolliniſchen geweſen. Wir bezeichnen als ſolchen
zuvoͤrderſt den Arkadiſchen. Nirgends hat die Goͤt-
tin ſo viele Heiligthuͤmer als in Arkadien beſeſſen. Sie
iſt hier Nationalgottheit, die beſonders unter dem Na-
men Hymnia, Hochzeitliche, ſeit alter Zeit von allen
Staͤmmen des Volks geehrt 1, und als Kalliſto ſelbſt den
Stammgenealogieen eingetragen und Tochter des Ly-
kaon 2, d. h. des Lykaͤiſchen Jupiters, und Mutter des
Arkas, d. h. des Volkes, genannt wurde. Denn daß
Kalliſto nur der wenig umgewandelte Name der Arte-
mis Kalliſte iſt, geht daraus hervor, daß der Heroine
Grab im Tempel der Goͤttin gezeigt wurde 3, und
daraus daß Kalliſto in eine Baͤrin verwandelt ſein ſollte,
die Symbol der Arkadiſchen Artemis war 4. Es iſt
leicht zu begreifen, daß, wie man Apollon Lykeios zu

1 Pauſ. 8, 5, 8. vgl. 13, 1. 4, der T. auf den Graͤnzen von
Mantineia und Orchomenos, 12, 3. Aus Polyaͤn 8, 34. ſieht man,
daß die Tegeaten zur Artemis von Pheneos Feſtzuͤge ſandten.
2 Eumelos bei Apolld. 3, 8, 2. Aſios und Pherekydes weichen
ab.
3 Pauf. 8, 35, 7. vgl. Sappho bei Pauſ. 1, 29, 2.
Aeginet. p. 31. Art. heißt, κατ̕ ἐξοχὴν, ἁ καλά. Feder in Aga-
memn. Aeschyl. p.
9.
4 Als das Geſtirn der Baͤrin kannte
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Lactant. 6.
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[372/0402] damit er es fuͤr alle ſein koͤnne, nothwendig ein weib- liches Weſen dazu gehoͤrte. Daß dieſe aber ſo ganz maͤnnerartig neben ihn tritt: davon mag der Grund in dem Verhaͤltniſſe Doriſcher Frauen liegen, die weit mehr als unabhaͤngige und fuͤr ſich beſtehende Weſen gedacht wurden, die zu allem, was den Mann ziert, ebenfalls Ausbildungsfaͤhigkeit beſaͤßen. 3. Nun bleibt uns der ſchwerere Theil der Auf- gabe zu loͤſen uͤbrig: zu zeigen, welcher Artemisdienſt nicht von gleichem Urſprung und gleicher Natur mit dem Apolliniſchen geweſen. Wir bezeichnen als ſolchen zuvoͤrderſt den Arkadiſchen. Nirgends hat die Goͤt- tin ſo viele Heiligthuͤmer als in Arkadien beſeſſen. Sie iſt hier Nationalgottheit, die beſonders unter dem Na- men Hymnia, Hochzeitliche, ſeit alter Zeit von allen Staͤmmen des Volks geehrt 1, und als Kalliſto ſelbſt den Stammgenealogieen eingetragen und Tochter des Ly- kaon 2, d. h. des Lykaͤiſchen Jupiters, und Mutter des Arkas, d. h. des Volkes, genannt wurde. Denn daß Kalliſto nur der wenig umgewandelte Name der Arte- mis Kalliſte iſt, geht daraus hervor, daß der Heroine Grab im Tempel der Goͤttin gezeigt wurde 3, und daraus daß Kalliſto in eine Baͤrin verwandelt ſein ſollte, die Symbol der Arkadiſchen Artemis war 4. Es iſt leicht zu begreifen, daß, wie man Apollon Lykeios zu 1 Pauſ. 8, 5, 8. vgl. 13, 1. 4, der T. auf den Graͤnzen von Mantineia und Orchomenos, 12, 3. Aus Polyaͤn 8, 34. ſieht man, daß die Tegeaten zur Artemis von Pheneos Feſtzuͤge ſandten. 2 Eumelos bei Apolld. 3, 8, 2. Aſios und Pherekydes weichen ab. 3 Pauf. 8, 35, 7. vgl. Sappho bei Pauſ. 1, 29, 2. Aeginet. p. 31. Art. heißt, κατ̕ ἐξοχὴν, ἁ καλά. Feder in Aga- memn. Aeschyl. p. 9. 4 Als das Geſtirn der Baͤrin kannte die Kalliſto ſchon Heſiod, Hygin Poët. Astr. 1. S. 356. M. Lactant. 6.

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Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 1. Breslau, 1824, S. 372. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische02_1824/402>, abgerufen am 19.04.2024.