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Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 1. Breslau, 1824.

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überwunden. Doch wollen wir darum nicht die Athe-
nische Sage für völlig leer und absichtlich ersonnen hal-
ten; auch sie gründete sich vielmehr auf ein reales Ver-
hältniß, und bildete sich daran aus. Der Anknüpfungs-
punkt waren unstreitig die Heraklestempel in Attika, es
war natürlich daß wenn die Athener den Heros verehr-
ten, sie sich auch um seine Nachkommen Verdienste er-
worben haben wollten. Daher kommt es auch, daß zu
Marathon in der Tetrapolis die Söhne Herakles ge-
wohnt haben sollten, wo das angesehenste Herakleion im
Lande war; in dessen Nähe die Quelle Makaria fließt,
welche als Tochter des Helden mitspielt. Die ganze
Tetrapolis wurde deswegen, sagt man, von den Lake-
dämoniern im Kriege geschont. Mehrere unten darzu-
legenden Umstände lassen wahrnehmen, daß zwischen
den Doriern des Peloponnes und einigen nördlichen Ort-
schaften Attika's eine Verwandtschaft und ein Verkehr
bestand, dessen Grund in den Zeiten der Wanderung
gelegt zu sein scheint. Allein dieser Grund ist wahr-
scheinlich ganz verloren, und die Fabeln, die wir haben,
sind in entgegengesetzter Richtung aus den bestehenden
Verbindungen heraus entwickelt.

6.

Nach dieser mit Hülfe der Athener gewonnenen
Schlacht sollen denn die Herakliden -- und wie sollten
sie nicht, da ihnen ja die Athener beistanden -- den ge-
sammten Peloponnes eingenommen und ein Jahr -- oder
eine Periode -- ungestört beherrscht haben, nach Ver-
lauf deren eine Pest -- als tragisches Hilfsmittel -- sie
wieder nach Attika zurück treibt. -- Die Mythogra-
phen benutzen diese Zeit, um Tlepolemos den Herakli-
den nach Rhodos gehn zu lassen, damit er noch in vor-
trojanischer Zeit ankomme. Von alle dem konnte aber
Pherekydes noch nichts wissen, der den Hyllos nach
Ueberwindung des Eurystheus, ohne den Peloponnes

uͤberwunden. Doch wollen wir darum nicht die Athe-
niſche Sage fuͤr voͤllig leer und abſichtlich erſonnen hal-
ten; auch ſie gruͤndete ſich vielmehr auf ein reales Ver-
haͤltniß, und bildete ſich daran aus. Der Anknuͤpfungs-
punkt waren unſtreitig die Heraklestempel in Attika, es
war natuͤrlich daß wenn die Athener den Heros verehr-
ten, ſie ſich auch um ſeine Nachkommen Verdienſte er-
worben haben wollten. Daher kommt es auch, daß zu
Marathon in der Tetrapolis die Soͤhne Herakles ge-
wohnt haben ſollten, wo das angeſehenſte Herakleion im
Lande war; in deſſen Naͤhe die Quelle Makaria fließt,
welche als Tochter des Helden mitſpielt. Die ganze
Tetrapolis wurde deswegen, ſagt man, von den Lake-
daͤmoniern im Kriege geſchont. Mehrere unten darzu-
legenden Umſtaͤnde laſſen wahrnehmen, daß zwiſchen
den Doriern des Peloponnes und einigen noͤrdlichen Ort-
ſchaften Attika’s eine Verwandtſchaft und ein Verkehr
beſtand, deſſen Grund in den Zeiten der Wanderung
gelegt zu ſein ſcheint. Allein dieſer Grund iſt wahr-
ſcheinlich ganz verloren, und die Fabeln, die wir haben,
ſind in entgegengeſetzter Richtung aus den beſtehenden
Verbindungen heraus entwickelt.

6.

Nach dieſer mit Huͤlfe der Athener gewonnenen
Schlacht ſollen denn die Herakliden — und wie ſollten
ſie nicht, da ihnen ja die Athener beiſtanden — den ge-
ſammten Peloponnes eingenommen und ein Jahr — oder
eine Periode — ungeſtoͤrt beherrſcht haben, nach Ver-
lauf deren eine Peſt — als tragiſches Hilfsmittel — ſie
wieder nach Attika zuruͤck treibt. — Die Mythogra-
phen benutzen dieſe Zeit, um Tlepolemos den Herakli-
den nach Rhodos gehn zu laſſen, damit er noch in vor-
trojaniſcher Zeit ankomme. Von alle dem konnte aber
Pherekydes noch nichts wiſſen, der den Hyllos nach
Ueberwindung des Euryſtheus, ohne den Peloponnes

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[56/0086] uͤberwunden. Doch wollen wir darum nicht die Athe- niſche Sage fuͤr voͤllig leer und abſichtlich erſonnen hal- ten; auch ſie gruͤndete ſich vielmehr auf ein reales Ver- haͤltniß, und bildete ſich daran aus. Der Anknuͤpfungs- punkt waren unſtreitig die Heraklestempel in Attika, es war natuͤrlich daß wenn die Athener den Heros verehr- ten, ſie ſich auch um ſeine Nachkommen Verdienſte er- worben haben wollten. Daher kommt es auch, daß zu Marathon in der Tetrapolis die Soͤhne Herakles ge- wohnt haben ſollten, wo das angeſehenſte Herakleion im Lande war; in deſſen Naͤhe die Quelle Makaria fließt, welche als Tochter des Helden mitſpielt. Die ganze Tetrapolis wurde deswegen, ſagt man, von den Lake- daͤmoniern im Kriege geſchont. Mehrere unten darzu- legenden Umſtaͤnde laſſen wahrnehmen, daß zwiſchen den Doriern des Peloponnes und einigen noͤrdlichen Ort- ſchaften Attika’s eine Verwandtſchaft und ein Verkehr beſtand, deſſen Grund in den Zeiten der Wanderung gelegt zu ſein ſcheint. Allein dieſer Grund iſt wahr- ſcheinlich ganz verloren, und die Fabeln, die wir haben, ſind in entgegengeſetzter Richtung aus den beſtehenden Verbindungen heraus entwickelt. 6. Nach dieſer mit Huͤlfe der Athener gewonnenen Schlacht ſollen denn die Herakliden — und wie ſollten ſie nicht, da ihnen ja die Athener beiſtanden — den ge- ſammten Peloponnes eingenommen und ein Jahr — oder eine Periode — ungeſtoͤrt beherrſcht haben, nach Ver- lauf deren eine Peſt — als tragiſches Hilfsmittel — ſie wieder nach Attika zuruͤck treibt. — Die Mythogra- phen benutzen dieſe Zeit, um Tlepolemos den Herakli- den nach Rhodos gehn zu laſſen, damit er noch in vor- trojaniſcher Zeit ankomme. Von alle dem konnte aber Pherekydes noch nichts wiſſen, der den Hyllos nach Ueberwindung des Euryſtheus, ohne den Peloponnes

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Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 1. Breslau, 1824, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische02_1824/86>, abgerufen am 25.04.2024.