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Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824.

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Namen und Auftrage einer Macht, die in das Colle-
gium der Ephoren zu setzen gegen alle Grundsätze freier
Verfassungen gewesen wäre.

6.

Obgleich völlig klar hindurch zu sehen, und
namentlich alle Collisionen der Macht der Ephoren mit
anderen Behörden zu heben, die für den Außenste-
henden versteckte Natur der Spartiatischen Verfassung
(to krtpton tes politeias) verhindert: so nehmen
wir doch so viel ab, daß die Macht der Ephorie sich
im Wesen auf die höchste Gewalt der Volksversamm-
lung gründete, deren Geschäftsträger und Bevollmäch-
tigte sie waren. Jede Volksversammlung ist eigentlich
eine ungeschickte und zugleich mit Nachdruck und Mä-
ßigung zu handeln wenig fähige Masse; am wenigsten
war die Spartiatische vermögend, verwickelte Geschäfte
zu handhaben und durchzuführen. Darum verlieh sie
den aus ihrer Mitte demokratisch gewählten Ephoren
eine derjenigen ähnliche Macht, die die Volksvorsteher
oder Demagogen auf prekäre Meise zu Athen behaup-
teten. Vergleichen Platon und Aristoteles deren Ge-
walt mit der tyrannischen 1: so ist zu beachten, daß
in Griechenland die Tyrannis aus der Demagogie zu
entstehen pflegte. Sonach muß die Ephorie die Haupt-
stufe ihrer Macht erstiegen haben, als sie die Volks-
versammlung zu leiten anfing; es ist wahrscheinlich,
daß dies Asteropos der Ephor that, dem vor andern die
Erweiterung der Gewalt dieses Amts beigeschrieben
wird 2, ich glaube nicht lange vor Cheilons Zeit. Bald
trug auch die weiter ausgedehnte politische Macht La-
kedämons bei, der Ephorie größere Wichtigkeit zu
geben. In der für einfache Verhältnisse angeordneten
Lykurgischen Verfassung entstanden Lücken, die der Ehr-

1 Gesetze 4, 712 d. Polit. 2, 6, 14.
2 Plut. Kleom. 10.

Namen und Auftrage einer Macht, die in das Colle-
gium der Ephoren zu ſetzen gegen alle Grundſaͤtze freier
Verfaſſungen geweſen waͤre.

6.

Obgleich voͤllig klar hindurch zu ſehen, und
namentlich alle Colliſionen der Macht der Ephoren mit
anderen Behoͤrden zu heben, die fuͤr den Außenſte-
henden verſteckte Natur der Spartiatiſchen Verfaſſung
(τὸ κϱτπτὸν τῆς πολιτείας) verhindert: ſo nehmen
wir doch ſo viel ab, daß die Macht der Ephorie ſich
im Weſen auf die hoͤchſte Gewalt der Volksverſamm-
lung gruͤndete, deren Geſchaͤftstraͤger und Bevollmaͤch-
tigte ſie waren. Jede Volksverſammlung iſt eigentlich
eine ungeſchickte und zugleich mit Nachdruck und Maͤ-
ßigung zu handeln wenig faͤhige Maſſe; am wenigſten
war die Spartiatiſche vermoͤgend, verwickelte Geſchaͤfte
zu handhaben und durchzufuͤhren. Darum verlieh ſie
den aus ihrer Mitte demokratiſch gewaͤhlten Ephoren
eine derjenigen aͤhnliche Macht, die die Volksvorſteher
oder Demagogen auf prekaͤre Meiſe zu Athen behaup-
teten. Vergleichen Platon und Ariſtoteles deren Ge-
walt mit der tyranniſchen 1: ſo iſt zu beachten, daß
in Griechenland die Tyrannis aus der Demagogie zu
entſtehen pflegte. Sonach muß die Ephorie die Haupt-
ſtufe ihrer Macht erſtiegen haben, als ſie die Volks-
verſammlung zu leiten anfing; es iſt wahrſcheinlich,
daß dies Aſteropos der Ephor that, dem vor andern die
Erweiterung der Gewalt dieſes Amts beigeſchrieben
wird 2, ich glaube nicht lange vor Cheilons Zeit. Bald
trug auch die weiter ausgedehnte politiſche Macht La-
kedaͤmons bei, der Ephorie groͤßere Wichtigkeit zu
geben. In der fuͤr einfache Verhaͤltniſſe angeordneten
Lykurgiſchen Verfaſſung entſtanden Luͤcken, die der Ehr-

1 Geſetze 4, 712 d. Polit. 2, 6, 14.
2 Plut. Kleom. 10.
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[124/0130] Namen und Auftrage einer Macht, die in das Colle- gium der Ephoren zu ſetzen gegen alle Grundſaͤtze freier Verfaſſungen geweſen waͤre. 6. Obgleich voͤllig klar hindurch zu ſehen, und namentlich alle Colliſionen der Macht der Ephoren mit anderen Behoͤrden zu heben, die fuͤr den Außenſte- henden verſteckte Natur der Spartiatiſchen Verfaſſung (τὸ κϱτπτὸν τῆς πολιτείας) verhindert: ſo nehmen wir doch ſo viel ab, daß die Macht der Ephorie ſich im Weſen auf die hoͤchſte Gewalt der Volksverſamm- lung gruͤndete, deren Geſchaͤftstraͤger und Bevollmaͤch- tigte ſie waren. Jede Volksverſammlung iſt eigentlich eine ungeſchickte und zugleich mit Nachdruck und Maͤ- ßigung zu handeln wenig faͤhige Maſſe; am wenigſten war die Spartiatiſche vermoͤgend, verwickelte Geſchaͤfte zu handhaben und durchzufuͤhren. Darum verlieh ſie den aus ihrer Mitte demokratiſch gewaͤhlten Ephoren eine derjenigen aͤhnliche Macht, die die Volksvorſteher oder Demagogen auf prekaͤre Meiſe zu Athen behaup- teten. Vergleichen Platon und Ariſtoteles deren Ge- walt mit der tyranniſchen 1: ſo iſt zu beachten, daß in Griechenland die Tyrannis aus der Demagogie zu entſtehen pflegte. Sonach muß die Ephorie die Haupt- ſtufe ihrer Macht erſtiegen haben, als ſie die Volks- verſammlung zu leiten anfing; es iſt wahrſcheinlich, daß dies Aſteropos der Ephor that, dem vor andern die Erweiterung der Gewalt dieſes Amts beigeſchrieben wird 2, ich glaube nicht lange vor Cheilons Zeit. Bald trug auch die weiter ausgedehnte politiſche Macht La- kedaͤmons bei, der Ephorie groͤßere Wichtigkeit zu geben. In der fuͤr einfache Verhaͤltniſſe angeordneten Lykurgiſchen Verfaſſung entſtanden Luͤcken, die der Ehr- 1 Geſetze 4, 712 d. Polit. 2, 6, 14. 2 Plut. Kleom. 10.

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Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische03_1824/130>, abgerufen am 24.04.2024.