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Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824.

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sam griffen doch die Athener die hartbedrängten und
erschöpften Spartiaten auf Sphakteria an; die Gefan-
genen betrachteten sie fast mit der Empfindung, wie
die Achäer bei Homer den Leichnam Hektors. -- So
consequente Ansichten mußten freilich mannigfache Mo-
dificationen zulassen, als Sparta in auswärtigen Krie-
gen aus seiner Sphäre heraus auf einen fremdartigen
Boden versetzt wurde; namentlich durch den Seekrieg,
der, wenn auch früh von Korinth, Aegina, Korkyra
geübt, doch dem Dorischen Naturel nie zusagte: daher
Sparta, obgleich es nach manchen unglücklichen Versu-
chen auch dafür bedeutende Talente, wie Kallikratidas
und Lysandros, erzeugte, und eine zeitlang die Flotte
sehr bedeutend, ihr Commando ein anderes König-
thum 1 war, doch nie eine vorzügliche Neigung dafür
und Virtuosität darin erlangte. Eine eben so große
und ähnlich begründete Abneigung zeigen die Spartia-
ten vor dem purgomakhein, dem Belagern fester Orte 2
-- daher sie auch selbst früher keine anlegten -- und vor
dem Gebrauche von Maschinen, wodurch dem Archi-
dam, Agesilaos Sohn, "des Mannes Kraft vernichtet"
schien.

10.

Wir schließen mit der Behauptung, mit der
wir dieses Kapitel begannen, aber in anderer Bezie-
hung: daß kein Volk den Krieg in dem Sinne und
Maaße als Kunst angesehn, wie die Dorischen Spar-
tiaten. Es war ihnen die Kriegführung fast weniger
ein wirkendes, auf Verderb Anderer gerichtetes Han-
deln, als ein darstellendes; das den schönsten Theil des
Volkes in einstimmender und gelenker Bewegung, wie

1 Arist. Pol. 2, 6, 22. Daß ein König, wie Leotychidas,
die Flotte führte, war Ausnahme. vgl. Plut. Ages. 10.
2 Meh-
rere Apophth. nennen sie witzig Gynaekoniten.

ſam griffen doch die Athener die hartbedraͤngten und
erſchoͤpften Spartiaten auf Sphakteria an; die Gefan-
genen betrachteten ſie faſt mit der Empfindung, wie
die Achaͤer bei Homer den Leichnam Hektors. — So
conſequente Anſichten mußten freilich mannigfache Mo-
dificationen zulaſſen, als Sparta in auswaͤrtigen Krie-
gen aus ſeiner Sphaͤre heraus auf einen fremdartigen
Boden verſetzt wurde; namentlich durch den Seekrieg,
der, wenn auch fruͤh von Korinth, Aegina, Korkyra
geuͤbt, doch dem Doriſchen Naturel nie zuſagte: daher
Sparta, obgleich es nach manchen ungluͤcklichen Verſu-
chen auch dafuͤr bedeutende Talente, wie Kallikratidas
und Lyſandros, erzeugte, und eine zeitlang die Flotte
ſehr bedeutend, ihr Commando ein anderes Koͤnig-
thum 1 war, doch nie eine vorzuͤgliche Neigung dafuͤr
und Virtuoſitaͤt darin erlangte. Eine eben ſo große
und aͤhnlich begruͤndete Abneigung zeigen die Spartia-
ten vor dem πυργομαχεῖν, dem Belagern feſter Orte 2
— daher ſie auch ſelbſt fruͤher keine anlegten — und vor
dem Gebrauche von Maſchinen, wodurch dem Archi-
dam, Ageſilaos Sohn, “des Mannes Kraft vernichtet”
ſchien.

10.

Wir ſchließen mit der Behauptung, mit der
wir dieſes Kapitel begannen, aber in anderer Bezie-
hung: daß kein Volk den Krieg in dem Sinne und
Maaße als Kunſt angeſehn, wie die Doriſchen Spar-
tiaten. Es war ihnen die Kriegfuͤhrung faſt weniger
ein wirkendes, auf Verderb Anderer gerichtetes Han-
deln, als ein darſtellendes; das den ſchoͤnſten Theil des
Volkes in einſtimmender und gelenker Bewegung, wie

1 Ariſt. Pol. 2, 6, 22. Daß ein Koͤnig, wie Leotychidas,
die Flotte fuͤhrte, war Ausnahme. vgl. Plut. Ageſ. 10.
2 Meh-
rere Apophth. nennen ſie witzig Gynaekoniten.
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[249/0255] ſam griffen doch die Athener die hartbedraͤngten und erſchoͤpften Spartiaten auf Sphakteria an; die Gefan- genen betrachteten ſie faſt mit der Empfindung, wie die Achaͤer bei Homer den Leichnam Hektors. — So conſequente Anſichten mußten freilich mannigfache Mo- dificationen zulaſſen, als Sparta in auswaͤrtigen Krie- gen aus ſeiner Sphaͤre heraus auf einen fremdartigen Boden verſetzt wurde; namentlich durch den Seekrieg, der, wenn auch fruͤh von Korinth, Aegina, Korkyra geuͤbt, doch dem Doriſchen Naturel nie zuſagte: daher Sparta, obgleich es nach manchen ungluͤcklichen Verſu- chen auch dafuͤr bedeutende Talente, wie Kallikratidas und Lyſandros, erzeugte, und eine zeitlang die Flotte ſehr bedeutend, ihr Commando ein anderes Koͤnig- thum 1 war, doch nie eine vorzuͤgliche Neigung dafuͤr und Virtuoſitaͤt darin erlangte. Eine eben ſo große und aͤhnlich begruͤndete Abneigung zeigen die Spartia- ten vor dem πυργομαχεῖν, dem Belagern feſter Orte 2 — daher ſie auch ſelbſt fruͤher keine anlegten — und vor dem Gebrauche von Maſchinen, wodurch dem Archi- dam, Ageſilaos Sohn, “des Mannes Kraft vernichtet” ſchien. 10. Wir ſchließen mit der Behauptung, mit der wir dieſes Kapitel begannen, aber in anderer Bezie- hung: daß kein Volk den Krieg in dem Sinne und Maaße als Kunſt angeſehn, wie die Doriſchen Spar- tiaten. Es war ihnen die Kriegfuͤhrung faſt weniger ein wirkendes, auf Verderb Anderer gerichtetes Han- deln, als ein darſtellendes; das den ſchoͤnſten Theil des Volkes in einſtimmender und gelenker Bewegung, wie 1 Ariſt. Pol. 2, 6, 22. Daß ein Koͤnig, wie Leotychidas, die Flotte fuͤhrte, war Ausnahme. vgl. Plut. Ageſ. 10. 2 Meh- rere Apophth. nennen ſie witzig Gynaekoniten.

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Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824, S. 249. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische03_1824/255>, abgerufen am 25.04.2024.