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Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824.

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4.
1.

Indem wir bei den folgenden Bemerkungen über
die Mundart des Dorischen Stammes nicht den Stand-
punkt, von dem aus man gewöhnlich die Griechischen
Dialekte zu betrachten pflegt, den der überkommenen
Litteratur, sondern einen davon ganz verschiednen, den
der Nationalgeschichte, fassen: muß sich uns manches
auf andre Weise darstellen, als es bisher den meisten
Forschern erschienen ist. Die alten Grammatiker schie-
den aus dem Ganzen Griechischer Sprache die Doris,
Jas und Atthis aus; die zurückbleibende Hauptmasse
nannten sie mit einem Namen Aeolis, weil daraus blos
ein Zweig, der Lesbische Dialekt, Schriftsprache einer
Dichtungsweise geworden war; und doch enthielt
dieselbe ohne Zweifel Gattungen, die unter sich sehr
unähnlich und weniger verwandt waren als mit einzel-
nen Zweigen jener ausgesonderten Dialekte. Darin
aber ist man wohl einig, daß in der Masse Aeolischer
Dialekte noch am meisten erhalten ist von der Griechi-
schen, oder wenn man will Pelasgischen Ursprache;
und daß zugleich viele Formen der letztern im Lateinischen
mit großer Treue bewahrt worden sind, zum Theil
deswegen weil die Italischen Ackerbauer dem altgrie-
chischen Leben näher blieben als die Griechen selbst,
und weil sie durch keine früh eingreifende Litteratur
und keinen eklen Sinn für Wohlklang und Rhythmus


4.
1.

Indem wir bei den folgenden Bemerkungen uͤber
die Mundart des Doriſchen Stammes nicht den Stand-
punkt, von dem aus man gewoͤhnlich die Griechiſchen
Dialekte zu betrachten pflegt, den der uͤberkommenen
Litteratur, ſondern einen davon ganz verſchiednen, den
der Nationalgeſchichte, faſſen: muß ſich uns manches
auf andre Weiſe darſtellen, als es bisher den meiſten
Forſchern erſchienen iſt. Die alten Grammatiker ſchie-
den aus dem Ganzen Griechiſcher Sprache die Doris,
Jas und Atthis aus; die zuruͤckbleibende Hauptmaſſe
nannten ſie mit einem Namen Aeolis, weil daraus blos
ein Zweig, der Lesbiſche Dialekt, Schriftſprache einer
Dichtungsweiſe geworden war; und doch enthielt
dieſelbe ohne Zweifel Gattungen, die unter ſich ſehr
unaͤhnlich und weniger verwandt waren als mit einzel-
nen Zweigen jener ausgeſonderten Dialekte. Darin
aber iſt man wohl einig, daß in der Maſſe Aeoliſcher
Dialekte noch am meiſten erhalten iſt von der Griechi-
ſchen, oder wenn man will Pelasgiſchen Urſprache;
und daß zugleich viele Formen der letztern im Lateiniſchen
mit großer Treue bewahrt worden ſind, zum Theil
deswegen weil die Italiſchen Ackerbauer dem altgrie-
chiſchen Leben naͤher blieben als die Griechen ſelbſt,
und weil ſie durch keine fruͤh eingreifende Litteratur
und keinen eklen Sinn fuͤr Wohlklang und Rhythmus

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[511/0517] 4. 1. Indem wir bei den folgenden Bemerkungen uͤber die Mundart des Doriſchen Stammes nicht den Stand- punkt, von dem aus man gewoͤhnlich die Griechiſchen Dialekte zu betrachten pflegt, den der uͤberkommenen Litteratur, ſondern einen davon ganz verſchiednen, den der Nationalgeſchichte, faſſen: muß ſich uns manches auf andre Weiſe darſtellen, als es bisher den meiſten Forſchern erſchienen iſt. Die alten Grammatiker ſchie- den aus dem Ganzen Griechiſcher Sprache die Doris, Jas und Atthis aus; die zuruͤckbleibende Hauptmaſſe nannten ſie mit einem Namen Aeolis, weil daraus blos ein Zweig, der Lesbiſche Dialekt, Schriftſprache einer Dichtungsweiſe geworden war; und doch enthielt dieſelbe ohne Zweifel Gattungen, die unter ſich ſehr unaͤhnlich und weniger verwandt waren als mit einzel- nen Zweigen jener ausgeſonderten Dialekte. Darin aber iſt man wohl einig, daß in der Maſſe Aeoliſcher Dialekte noch am meiſten erhalten iſt von der Griechi- ſchen, oder wenn man will Pelasgiſchen Urſprache; und daß zugleich viele Formen der letztern im Lateiniſchen mit großer Treue bewahrt worden ſind, zum Theil deswegen weil die Italiſchen Ackerbauer dem altgrie- chiſchen Leben naͤher blieben als die Griechen ſelbſt, und weil ſie durch keine fruͤh eingreifende Litteratur und keinen eklen Sinn fuͤr Wohlklang und Rhythmus

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Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824, S. 511. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische03_1824/517>, abgerufen am 25.04.2024.