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Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824.

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mente (Chishull Antt. As. p. 104.); auch die Einwoh-
ner des alten eigentlichen Epeiros redeten (nach dem
Grammat. Meermannianus bei Greg. Kor. p. 642.)
dorisch; und so mag sich vielleicht dieser Dialekt über-
haupt in den nördlichen und gebirgigen Theilen Grie-
chenlands, den Gegenden des Pindos namentlich, ge-
bildet haben, aus denen ihn alsdann die Dorier durch
ihren Eroberungszug nach den südlicheren Regionen des
Landes hinüberbrachten, in denen sie darum allgemein
als die Inhaber dieser Mundart angesehn wurden.

3.

Wie zur Bildung dieses Dialekts Klima und
Landesnatur beigetragen, ist ungemein schwierig auf
eine bestimmte Weise nachzuweisen; obgleich allerdings
die Vergleichung entsprechender Mundarten verschiedner
Sprachen mit ihren lokalen Bedingungen manche inter-
essante Bemerkungen herbeiführen kann. Daß das
Leben in den Gebirgen der Bildung reiner, breiter,
langer Vocale wie A und O günstig ist, ist kein Zwei-
fel; wie daß der Aufenthalt im Flachlande und an der
Küste mehr Umlaute und kurze Silben erzeugt. Dabei
muß man aber erwägen, daß solche Bedingungen auf
die Sprache nur in einem Zeitalter mit voller Kraft
wirkten, da die Organe ihnen weit mehr nachgaben,
und überhaupt mehr Akkomodation gegen die Natur
statt fand: später wurde Dorisch auch in Küstenstädten
gesprochen, wie jetzt Plattdeutsch in Gebirgen. Auch
dürfen wir dabei nicht vergessen, daß nicht blos das
Land, sondern auch das Volk von jeher eine bestimmte
Natur hatte, die auf die Sprache doch wohl nicht in
geringerm Maaße einwirken mußte als die erstre. Auf
eine ethische Betrachtungsweise der alten Dialekte macht
besonders die Stelle des Jamblichos (Pythag. 34) auf-
merksam, der sie vielleicht aus den Schulen älterer
Pythagoreer hat; er erklärt die Dorische Mundart für
die älteste und beste, und vergleicht, wie die Jas und
Aeolis mit dem chromatischen Tongeschlecht, so diese
mit dem enharmonischen, weil sie aus den tönenden
Vokalen bestehe. Wir können uns darunter wohl nichts
anders denken, als daß die langen Vocale A und O
eben so markirt und hell in ihr hervortraten, besonders

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mente (Chiſhull Antt. As. p. 104.); auch die Einwoh-
ner des alten eigentlichen Epeiros redeten (nach dem
Grammat. Meermannianus bei Greg. Kor. p. 642.)
doriſch; und ſo mag ſich vielleicht dieſer Dialekt uͤber-
haupt in den noͤrdlichen und gebirgigen Theilen Grie-
chenlands, den Gegenden des Pindos namentlich, ge-
bildet haben, aus denen ihn alsdann die Dorier durch
ihren Eroberungszug nach den ſuͤdlicheren Regionen des
Landes hinuͤberbrachten, in denen ſie darum allgemein
als die Inhaber dieſer Mundart angeſehn wurden.

3.

Wie zur Bildung dieſes Dialekts Klima und
Landesnatur beigetragen, iſt ungemein ſchwierig auf
eine beſtimmte Weiſe nachzuweiſen; obgleich allerdings
die Vergleichung entſprechender Mundarten verſchiedner
Sprachen mit ihren lokalen Bedingungen manche inter-
eſſante Bemerkungen herbeifuͤhren kann. Daß das
Leben in den Gebirgen der Bildung reiner, breiter,
langer Vocale wie Α und Ω guͤnſtig iſt, iſt kein Zwei-
fel; wie daß der Aufenthalt im Flachlande und an der
Kuͤſte mehr Umlaute und kurze Silben erzeugt. Dabei
muß man aber erwaͤgen, daß ſolche Bedingungen auf
die Sprache nur in einem Zeitalter mit voller Kraft
wirkten, da die Organe ihnen weit mehr nachgaben,
und uͤberhaupt mehr Akkomodation gegen die Natur
ſtatt fand: ſpaͤter wurde Doriſch auch in Kuͤſtenſtaͤdten
geſprochen, wie jetzt Plattdeutſch in Gebirgen. Auch
duͤrfen wir dabei nicht vergeſſen, daß nicht blos das
Land, ſondern auch das Volk von jeher eine beſtimmte
Natur hatte, die auf die Sprache doch wohl nicht in
geringerm Maaße einwirken mußte als die erſtre. Auf
eine ethiſche Betrachtungsweiſe der alten Dialekte macht
beſonders die Stelle des Jamblichos (Pythag. 34) auf-
merkſam, der ſie vielleicht aus den Schulen aͤlterer
Pythagoreer hat; er erklaͤrt die Doriſche Mundart fuͤr
die aͤlteſte und beſte, und vergleicht, wie die Jas und
Aeolis mit dem chromatiſchen Tongeſchlecht, ſo dieſe
mit dem enharmoniſchen, weil ſie aus den toͤnenden
Vokalen beſtehe. Wir koͤnnen uns darunter wohl nichts
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eben ſo markirt und hell in ihr hervortraten, beſonders

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[515/0521] mente (Chiſhull Antt. As. p. 104.); auch die Einwoh- ner des alten eigentlichen Epeiros redeten (nach dem Grammat. Meermannianus bei Greg. Kor. p. 642.) doriſch; und ſo mag ſich vielleicht dieſer Dialekt uͤber- haupt in den noͤrdlichen und gebirgigen Theilen Grie- chenlands, den Gegenden des Pindos namentlich, ge- bildet haben, aus denen ihn alsdann die Dorier durch ihren Eroberungszug nach den ſuͤdlicheren Regionen des Landes hinuͤberbrachten, in denen ſie darum allgemein als die Inhaber dieſer Mundart angeſehn wurden. 3. Wie zur Bildung dieſes Dialekts Klima und Landesnatur beigetragen, iſt ungemein ſchwierig auf eine beſtimmte Weiſe nachzuweiſen; obgleich allerdings die Vergleichung entſprechender Mundarten verſchiedner Sprachen mit ihren lokalen Bedingungen manche inter- eſſante Bemerkungen herbeifuͤhren kann. Daß das Leben in den Gebirgen der Bildung reiner, breiter, langer Vocale wie Α und Ω guͤnſtig iſt, iſt kein Zwei- fel; wie daß der Aufenthalt im Flachlande und an der Kuͤſte mehr Umlaute und kurze Silben erzeugt. Dabei muß man aber erwaͤgen, daß ſolche Bedingungen auf die Sprache nur in einem Zeitalter mit voller Kraft wirkten, da die Organe ihnen weit mehr nachgaben, und uͤberhaupt mehr Akkomodation gegen die Natur ſtatt fand: ſpaͤter wurde Doriſch auch in Kuͤſtenſtaͤdten geſprochen, wie jetzt Plattdeutſch in Gebirgen. Auch duͤrfen wir dabei nicht vergeſſen, daß nicht blos das Land, ſondern auch das Volk von jeher eine beſtimmte Natur hatte, die auf die Sprache doch wohl nicht in geringerm Maaße einwirken mußte als die erſtre. Auf eine ethiſche Betrachtungsweiſe der alten Dialekte macht beſonders die Stelle des Jamblichos (Pythag. 34) auf- merkſam, der ſie vielleicht aus den Schulen aͤlterer Pythagoreer hat; er erklaͤrt die Doriſche Mundart fuͤr die aͤlteſte und beſte, und vergleicht, wie die Jas und Aeolis mit dem chromatiſchen Tongeſchlecht, ſo dieſe mit dem enharmoniſchen, weil ſie aus den toͤnenden Vokalen beſtehe. Wir koͤnnen uns darunter wohl nichts anders denken, als daß die langen Vocale Α und Ω eben ſo markirt und hell in ihr hervortraten, beſonders 33 *

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Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824, S. 515. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische03_1824/521>, abgerufen am 16.04.2024.