Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824.

Bild:
<< vorherige Seite

aner 1, und später klagt Theognis der Megarer, daß
das Streben nach Reichthum niederes und höheres Ge-
schlecht vermische, und die Achtung der Menschen da-
von abhange 2. Griechenlands alte Gesetzgeber achte-
ten die Gewalt des Geldes -- das bewegliche Mo-
ment in dem Staatshaushalte, wie der Grundbesitz das
feste ist -- höchst gefährlich für die Ordnung der Staa-
ten, und suchten mannigfach, durch Unterdrückung des
Handelsstandes wie durch gebotene Unveräußerlichkeit des
Grundbesitzes, der Gefahr zu steuern, der sie doch
nicht ganz ausweichen konnten. Nur Sparta blieb
durch die eherne Consequenz seiner Einrichtungen von
diesen Veränderungen unberührt. Dagegen wollte So-
lons Gesetzgebung einen Moment fixiren, der an sich
vorübergehend war, indem sie die Reste der Aristokra-
tie, namentlich den politischen Verband der Geschlech-
ter, stehen ließ, aber die Timokratie, in der das Maaß
des Vermögens den Antheil an der Regierung bestimmt,
zum Princip setzte, und zugleich in dem geringen An-
satz des dazu erforderlichen Vermögens einen demokra-
tischen Sinn bewies. Denn Solon preist auch als
Dichter den Mittelstand vor allen, wie Phokylides,
und suchte ihn ebenso politisch zu heben 3. Aber die
gewählte Temperatur war zu fein, um zu dauern, und
die Solonische Verfassung hat in der Hauptsache nur
wenige Jahre bestanden. Auch in andern Jonischen
Städten waren ähnliche Ausgleichungen versucht ohne
Festigkeit zu gewinnen 4. Die Zeit wollte unverkennbar
auf Demokratie hinaus, und wenn in Athen Solon als
Mann des Volks einen allmäligen Uebergang eingelei-

1 Pindar J. 2, 11. vgl. Dissen Expl. p. 493. Alkäos bei
den Schol. und Zenob. Prov.
2 V. 190.
3 bei Aristot.
Pol. 4, 8, 7. 10.
4 vgl. Hüllmann Staatsrecht S. 103.

ἀνὴρ 1, und ſpaͤter klagt Theognis der Megarer, daß
das Streben nach Reichthum niederes und hoͤheres Ge-
ſchlecht vermiſche, und die Achtung der Menſchen da-
von abhange 2. Griechenlands alte Geſetzgeber achte-
ten die Gewalt des Geldes — das bewegliche Mo-
ment in dem Staatshaushalte, wie der Grundbeſitz das
feſte iſt — hoͤchſt gefaͤhrlich fuͤr die Ordnung der Staa-
ten, und ſuchten mannigfach, durch Unterdruͤckung des
Handelsſtandes wie durch gebotene Unveraͤußerlichkeit des
Grundbeſitzes, der Gefahr zu ſteuern, der ſie doch
nicht ganz ausweichen konnten. Nur Sparta blieb
durch die eherne Conſequenz ſeiner Einrichtungen von
dieſen Veraͤnderungen unberuͤhrt. Dagegen wollte So-
lons Geſetzgebung einen Moment fixiren, der an ſich
voruͤbergehend war, indem ſie die Reſte der Ariſtokra-
tie, namentlich den politiſchen Verband der Geſchlech-
ter, ſtehen ließ, aber die Timokratie, in der das Maaß
des Vermoͤgens den Antheil an der Regierung beſtimmt,
zum Princip ſetzte, und zugleich in dem geringen An-
ſatz des dazu erforderlichen Vermoͤgens einen demokra-
tiſchen Sinn bewies. Denn Solon preist auch als
Dichter den Mittelſtand vor allen, wie Phokylides,
und ſuchte ihn ebenſo politiſch zu heben 3. Aber die
gewaͤhlte Temperatur war zu fein, um zu dauern, und
die Soloniſche Verfaſſung hat in der Hauptſache nur
wenige Jahre beſtanden. Auch in andern Joniſchen
Staͤdten waren aͤhnliche Ausgleichungen verſucht ohne
Feſtigkeit zu gewinnen 4. Die Zeit wollte unverkennbar
auf Demokratie hinaus, und wenn in Athen Solon als
Mann des Volks einen allmaͤligen Uebergang eingelei-

1 Pindar J. 2, 11. vgl. Diſſen Expl. p. 493. Alkaͤos bei
den Schol. und Zenob. Prov.
2 V. 190.
3 bei Ariſtot.
Pol. 4, 8, 7. 10.
4 vgl. Huͤllmann Staatsrecht S. 103.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0017" n="11"/>
&#x1F00;&#x03BD;&#x1F74;&#x03C1; <note place="foot" n="1">Pindar J. 2, 11. vgl. Di&#x017F;&#x017F;en <hi rendition="#aq">Expl. p.</hi> 493. Alka&#x0364;os bei<lb/>
den Schol. und Zenob. <hi rendition="#aq">Prov.</hi></note>, und &#x017F;pa&#x0364;ter klagt Theognis der Megarer, daß<lb/>
das Streben nach Reichthum niederes und ho&#x0364;heres Ge-<lb/>
&#x017F;chlecht vermi&#x017F;che, und die Achtung der Men&#x017F;chen da-<lb/>
von abhange <note place="foot" n="2">V. 190.</note>. Griechenlands alte Ge&#x017F;etzgeber achte-<lb/>
ten die Gewalt des Geldes &#x2014; das bewegliche Mo-<lb/>
ment in dem Staatshaushalte, wie der Grundbe&#x017F;itz das<lb/>
fe&#x017F;te i&#x017F;t &#x2014; ho&#x0364;ch&#x017F;t gefa&#x0364;hrlich fu&#x0364;r die Ordnung der Staa-<lb/>
ten, und &#x017F;uchten mannigfach, durch Unterdru&#x0364;ckung des<lb/>
Handels&#x017F;tandes wie durch gebotene Unvera&#x0364;ußerlichkeit des<lb/>
Grundbe&#x017F;itzes, der Gefahr zu &#x017F;teuern, der &#x017F;ie doch<lb/>
nicht ganz ausweichen konnten. Nur Sparta blieb<lb/>
durch die eherne Con&#x017F;equenz &#x017F;einer Einrichtungen von<lb/>
die&#x017F;en Vera&#x0364;nderungen unberu&#x0364;hrt. Dagegen wollte So-<lb/>
lons Ge&#x017F;etzgebung einen Moment fixiren, der an &#x017F;ich<lb/>
voru&#x0364;bergehend war, indem &#x017F;ie die Re&#x017F;te der Ari&#x017F;tokra-<lb/>
tie, namentlich den politi&#x017F;chen Verband der Ge&#x017F;chlech-<lb/>
ter, &#x017F;tehen ließ, aber die Timokratie, in der das Maaß<lb/>
des Vermo&#x0364;gens den Antheil an der Regierung be&#x017F;timmt,<lb/>
zum Princip &#x017F;etzte, und zugleich in dem geringen An-<lb/>
&#x017F;atz des dazu erforderlichen Vermo&#x0364;gens einen demokra-<lb/>
ti&#x017F;chen Sinn bewies. Denn Solon preist auch als<lb/>
Dichter den Mittel&#x017F;tand vor allen, wie Phokylides,<lb/>
und &#x017F;uchte ihn eben&#x017F;o politi&#x017F;ch zu heben <note place="foot" n="3">bei Ari&#x017F;tot.<lb/>
Pol. 4, 8, 7. 10.</note>. Aber die<lb/>
gewa&#x0364;hlte Temperatur war zu fein, um zu dauern, und<lb/>
die Soloni&#x017F;che Verfa&#x017F;&#x017F;ung hat in der Haupt&#x017F;ache nur<lb/>
wenige Jahre be&#x017F;tanden. Auch in andern Joni&#x017F;chen<lb/>
Sta&#x0364;dten waren a&#x0364;hnliche Ausgleichungen ver&#x017F;ucht ohne<lb/>
Fe&#x017F;tigkeit zu gewinnen <note place="foot" n="4">vgl. Hu&#x0364;llmann Staatsrecht S. 103.</note>. Die Zeit wollte unverkennbar<lb/>
auf Demokratie hinaus, und wenn in Athen Solon als<lb/>
Mann des Volks einen allma&#x0364;ligen Uebergang eingelei-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[11/0017] ἀνὴρ 1, und ſpaͤter klagt Theognis der Megarer, daß das Streben nach Reichthum niederes und hoͤheres Ge- ſchlecht vermiſche, und die Achtung der Menſchen da- von abhange 2. Griechenlands alte Geſetzgeber achte- ten die Gewalt des Geldes — das bewegliche Mo- ment in dem Staatshaushalte, wie der Grundbeſitz das feſte iſt — hoͤchſt gefaͤhrlich fuͤr die Ordnung der Staa- ten, und ſuchten mannigfach, durch Unterdruͤckung des Handelsſtandes wie durch gebotene Unveraͤußerlichkeit des Grundbeſitzes, der Gefahr zu ſteuern, der ſie doch nicht ganz ausweichen konnten. Nur Sparta blieb durch die eherne Conſequenz ſeiner Einrichtungen von dieſen Veraͤnderungen unberuͤhrt. Dagegen wollte So- lons Geſetzgebung einen Moment fixiren, der an ſich voruͤbergehend war, indem ſie die Reſte der Ariſtokra- tie, namentlich den politiſchen Verband der Geſchlech- ter, ſtehen ließ, aber die Timokratie, in der das Maaß des Vermoͤgens den Antheil an der Regierung beſtimmt, zum Princip ſetzte, und zugleich in dem geringen An- ſatz des dazu erforderlichen Vermoͤgens einen demokra- tiſchen Sinn bewies. Denn Solon preist auch als Dichter den Mittelſtand vor allen, wie Phokylides, und ſuchte ihn ebenſo politiſch zu heben 3. Aber die gewaͤhlte Temperatur war zu fein, um zu dauern, und die Soloniſche Verfaſſung hat in der Hauptſache nur wenige Jahre beſtanden. Auch in andern Joniſchen Staͤdten waren aͤhnliche Ausgleichungen verſucht ohne Feſtigkeit zu gewinnen 4. Die Zeit wollte unverkennbar auf Demokratie hinaus, und wenn in Athen Solon als Mann des Volks einen allmaͤligen Uebergang eingelei- 1 Pindar J. 2, 11. vgl. Diſſen Expl. p. 493. Alkaͤos bei den Schol. und Zenob. Prov. 2 V. 190. 3 bei Ariſtot. Pol. 4, 8, 7. 10. 4 vgl. Huͤllmann Staatsrecht S. 103.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische03_1824
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische03_1824/17
Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische03_1824/17>, abgerufen am 28.03.2024.