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Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824.

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dem Volke geringe und beschränkte Regierungsrechte
eingeräumt; leibeigene Ureinwohner besonders auf den
Aeckern des ersten Standes 1. Diese Verfassung muß
aber allmälig gemildert worden sein, Aristoteles nennt
sie so Politie im engern Sinne, die nach ihm bis über
den Mederkrieg hinaus bestand, und erst in Demokra-
tie überging, da in einer blutigen Schlacht gegen die
Japyger (Ol. 76, 3.) ein großer Theil des Adels ge-
fallen war 2. Der Uebergang wurde ohne heftige Be-
wegung durch einige Institute eingeleitet, in denen die
Aristokratie sich den Forderungen des Demos nachgiebig
erzeigte 3. Erstens gab sie nach Aristoteles dem Volke
freie Benutzung der Güter, worunter wohl nur ein
ager publicus verstanden werden kann; und dann wur-
den alle obrigkeitlichen Stellen zweimal besetzt, einmal
durch Wahl, zugleich aber durchs Loos, um auch den
gemeinen Mann dazu gelangen zu lassen. Diese De-
mokratie beförderte zuerst ungemein die Blüthe und
Macht des Staats 4, als noch Männer von Würde
und Ansehn, als namentlich einer der Edelsten der Zeit,
Archytas der Pythagoreer, ein Mann von ungemeiner
Seelenkraft und Weisheit, und dabei wie alle Anhänger
des Bundes, (dessen Theilnehmer er indeß nicht mehr
gewesen sein kann,) aristokratisch gesinnt 5, dem Staate
vorstand. Er war siebenmal Strateg, obgleich das

1 Ueber diese s. oben S. 54, 1. Aus diesen Pelasgischen
Leibeigenen gingen nach Platon Gesetze 6, 777. Räuberbanden, pe-
ridinoi genannt, hervor. vgl. Athen. 6, 267.
2 5, 2, 8.
vgl. Heyne Opusc. Acad. 2. p. 221.
3 Arist. 6, 3, 5. Man
kann diese Institute nur hieher setzen, da das Präsens paraskeua-
zousi deren Fortdauer beweist, epoieaan hernach geht blos auf die
Zeit der Einrichtung, ina metekhe beweist wieder den Bestand.
4 Str. 6, 280.
5 was auch das Fragment des Archytas
über die Lakonische Verfassung (Stobäos Serm. 41., Orelli Opp.
moral. 2. p.
254.) beweisen würde, wenn es ächt wäre.

dem Volke geringe und beſchraͤnkte Regierungsrechte
eingeraͤumt; leibeigene Ureinwohner beſonders auf den
Aeckern des erſten Standes 1. Dieſe Verfaſſung muß
aber allmaͤlig gemildert worden ſein, Ariſtoteles nennt
ſie ſo Politie im engern Sinne, die nach ihm bis uͤber
den Mederkrieg hinaus beſtand, und erſt in Demokra-
tie uͤberging, da in einer blutigen Schlacht gegen die
Japyger (Ol. 76, 3.) ein großer Theil des Adels ge-
fallen war 2. Der Uebergang wurde ohne heftige Be-
wegung durch einige Inſtitute eingeleitet, in denen die
Ariſtokratie ſich den Forderungen des Demos nachgiebig
erzeigte 3. Erſtens gab ſie nach Ariſtoteles dem Volke
freie Benutzung der Guͤter, worunter wohl nur ein
ager publicus verſtanden werden kann; und dann wur-
den alle obrigkeitlichen Stellen zweimal beſetzt, einmal
durch Wahl, zugleich aber durchs Loos, um auch den
gemeinen Mann dazu gelangen zu laſſen. Dieſe De-
mokratie befoͤrderte zuerſt ungemein die Bluͤthe und
Macht des Staats 4, als noch Maͤnner von Wuͤrde
und Anſehn, als namentlich einer der Edelſten der Zeit,
Archytas der Pythagoreer, ein Mann von ungemeiner
Seelenkraft und Weisheit, und dabei wie alle Anhaͤnger
des Bundes, (deſſen Theilnehmer er indeß nicht mehr
geweſen ſein kann,) ariſtokratiſch geſinnt 5, dem Staate
vorſtand. Er war ſiebenmal Strateg, obgleich das

1 Ueber dieſe ſ. oben S. 54, 1. Aus dieſen Pelasgiſchen
Leibeigenen gingen nach Platon Geſetze 6, 777. Raͤuberbanden, πε-
ϱίδινοι genannt, hervor. vgl. Athen. 6, 267.
2 5, 2, 8.
vgl. Heyne Opusc. Acad. 2. p. 221.
3 Ariſt. 6, 3, 5. Man
kann dieſe Inſtitute nur hieher ſetzen, da das Praͤſens παϱασκευά-
ζουσι deren Fortdauer beweist, ἐποίηααν hernach geht blos auf die
Zeit der Einrichtung, ἵνα μετέχῃ beweist wieder den Beſtand.
4 Str. 6, 280.
5 was auch das Fragment des Archytas
uͤber die Lakoniſche Verfaſſung (Stobaͤos Serm. 41., Orelli Opp.
moral. 2. p.
254.) beweiſen wuͤrde, wenn es aͤcht waͤre.
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[176/0182] dem Volke geringe und beſchraͤnkte Regierungsrechte eingeraͤumt; leibeigene Ureinwohner beſonders auf den Aeckern des erſten Standes 1. Dieſe Verfaſſung muß aber allmaͤlig gemildert worden ſein, Ariſtoteles nennt ſie ſo Politie im engern Sinne, die nach ihm bis uͤber den Mederkrieg hinaus beſtand, und erſt in Demokra- tie uͤberging, da in einer blutigen Schlacht gegen die Japyger (Ol. 76, 3.) ein großer Theil des Adels ge- fallen war 2. Der Uebergang wurde ohne heftige Be- wegung durch einige Inſtitute eingeleitet, in denen die Ariſtokratie ſich den Forderungen des Demos nachgiebig erzeigte 3. Erſtens gab ſie nach Ariſtoteles dem Volke freie Benutzung der Guͤter, worunter wohl nur ein ager publicus verſtanden werden kann; und dann wur- den alle obrigkeitlichen Stellen zweimal beſetzt, einmal durch Wahl, zugleich aber durchs Loos, um auch den gemeinen Mann dazu gelangen zu laſſen. Dieſe De- mokratie befoͤrderte zuerſt ungemein die Bluͤthe und Macht des Staats 4, als noch Maͤnner von Wuͤrde und Anſehn, als namentlich einer der Edelſten der Zeit, Archytas der Pythagoreer, ein Mann von ungemeiner Seelenkraft und Weisheit, und dabei wie alle Anhaͤnger des Bundes, (deſſen Theilnehmer er indeß nicht mehr geweſen ſein kann,) ariſtokratiſch geſinnt 5, dem Staate vorſtand. Er war ſiebenmal Strateg, obgleich das 1 Ueber dieſe ſ. oben S. 54, 1. Aus dieſen Pelasgiſchen Leibeigenen gingen nach Platon Geſetze 6, 777. Raͤuberbanden, πε- ϱίδινοι genannt, hervor. vgl. Athen. 6, 267. 2 5, 2, 8. vgl. Heyne Opusc. Acad. 2. p. 221. 3 Ariſt. 6, 3, 5. Man kann dieſe Inſtitute nur hieher ſetzen, da das Praͤſens παϱασκευά- ζουσι deren Fortdauer beweist, ἐποίηααν hernach geht blos auf die Zeit der Einrichtung, ἵνα μετέχῃ beweist wieder den Beſtand. 4 Str. 6, 280. 5 was auch das Fragment des Archytas uͤber die Lakoniſche Verfaſſung (Stobaͤos Serm. 41., Orelli Opp. moral. 2. p. 254.) beweiſen wuͤrde, wenn es aͤcht waͤre.

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Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische03_1824/182>, abgerufen am 29.03.2024.