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Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824.

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seiner Thätigkeit erstens als eine Anlage seines Fami-
liengottes Apollon 1, zweitens als "die Stadt der
Gesunden", was es durch Klima, Gymnastik und rei-
nere Sitten war, als wenigstens die Nachbarstädte,
Tarent und Sybaris, damals kannten. Die Regie-
rung der Stadt war, als der Philosoph auftrat, in
den Händen eines Rathes von Tausend, welcher ein
Synedrion bildete 2; diesem vorzustehn, als Prytanis
wahrscheinlich 3, sollen die Krotoniaten selbst den Py-
thagoras gebeten haben 4. Einen solchen Rath von
Tausend fanden wir schon oben in Akragas zur Zeit
des Empedokles; dieselbe Zahl verwaltete, nach dem
Census gewählt
, in Rhegion den ganzen Staat 5.
Hiernach können wir annehmen, daß auch die Tausend
von Kroton die Reichsten waren: was indeß in Städ-
ten, deren Macht auf Landbesitz beruht, ehe Revolu-
tionen die Verhältnisse verwirrt, im Ganzen zugleich
die adligen Familien zu sein pflegen. Sie konnten zu
Kroton in den meisten Angelegenheiten ohne Volksver-
sammlung entscheiden 6, und besaßen auch richterliche
Gewalt 7. Der von Pythagoras gegründete Rath da-
gegen, der nicht timokratischer, sondern rein aristokra-
tischer Art gewesen zu sein scheint, enthielt nur drei-
hundert Mitglieder 8, eine in ähnlichen Verhältnissen
öfter vorkommende Zahl 9; an seiner Spitze stand Py-
thagoras selbst. Es ist eine der größten Erscheinungen
in der Geschichte des öffentlichen Lebens der Hellenen,

1 Bd. 2. S. 263.
2 Jambl. Pyth. 9, 45. und Di-
käarch bei Porphyr. 18. der die Mitglieder gerontas nennt. Vie-
leicht ist die sugkhletos bei Diod. 12, 9. dasselbe.
3 S. oben
S. 137, 1.
4 Valer. Max. 8, 15. ext. 1.
5 Herakl.
Pont. 25.
6 Jamblich 35, 260.
7 S. 27, 126.
8 Diog. L. 8, 3. vgl. Apollon. bei Jamblich. 35, 254. 261. Ju-
stin 20, 4.
9 oben S. 80.
13 *

ſeiner Thaͤtigkeit erſtens als eine Anlage ſeines Fami-
liengottes Apollon 1, zweitens als “die Stadt der
Geſunden”, was es durch Klima, Gymnaſtik und rei-
nere Sitten war, als wenigſtens die Nachbarſtaͤdte,
Tarent und Sybaris, damals kannten. Die Regie-
rung der Stadt war, als der Philoſoph auftrat, in
den Haͤnden eines Rathes von Tauſend, welcher ein
Synedrion bildete 2; dieſem vorzuſtehn, als Prytanis
wahrſcheinlich 3, ſollen die Krotoniaten ſelbſt den Py-
thagoras gebeten haben 4. Einen ſolchen Rath von
Tauſend fanden wir ſchon oben in Akragas zur Zeit
des Empedokles; dieſelbe Zahl verwaltete, nach dem
Cenſus gewaͤhlt
, in Rhegion den ganzen Staat 5.
Hiernach koͤnnen wir annehmen, daß auch die Tauſend
von Kroton die Reichſten waren: was indeß in Staͤd-
ten, deren Macht auf Landbeſitz beruht, ehe Revolu-
tionen die Verhaͤltniſſe verwirrt, im Ganzen zugleich
die adligen Familien zu ſein pflegen. Sie konnten zu
Kroton in den meiſten Angelegenheiten ohne Volksver-
ſammlung entſcheiden 6, und beſaßen auch richterliche
Gewalt 7. Der von Pythagoras gegruͤndete Rath da-
gegen, der nicht timokratiſcher, ſondern rein ariſtokra-
tiſcher Art geweſen zu ſein ſcheint, enthielt nur drei-
hundert Mitglieder 8, eine in aͤhnlichen Verhaͤltniſſen
oͤfter vorkommende Zahl 9; an ſeiner Spitze ſtand Py-
thagoras ſelbſt. Es iſt eine der groͤßten Erſcheinungen
in der Geſchichte des oͤffentlichen Lebens der Hellenen,

1 Bd. 2. S. 263.
2 Jambl. Pyth. 9, 45. und Di-
kaͤarch bei Porphyr. 18. der die Mitglieder γέϱοντας nennt. Vie-
leicht iſt die σὐγχλητος bei Diod. 12, 9. daſſelbe.
3 S. oben
S. 137, 1.
4 Valer. Max. 8, 15. ext. 1.
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Pont. 25.
6 Jamblich 35, 260.
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8 Diog. L. 8, 3. vgl. Apollon. bei Jamblich. 35, 254. 261. Ju-
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[179/0185] ſeiner Thaͤtigkeit erſtens als eine Anlage ſeines Fami- liengottes Apollon 1, zweitens als “die Stadt der Geſunden”, was es durch Klima, Gymnaſtik und rei- nere Sitten war, als wenigſtens die Nachbarſtaͤdte, Tarent und Sybaris, damals kannten. Die Regie- rung der Stadt war, als der Philoſoph auftrat, in den Haͤnden eines Rathes von Tauſend, welcher ein Synedrion bildete 2; dieſem vorzuſtehn, als Prytanis wahrſcheinlich 3, ſollen die Krotoniaten ſelbſt den Py- thagoras gebeten haben 4. Einen ſolchen Rath von Tauſend fanden wir ſchon oben in Akragas zur Zeit des Empedokles; dieſelbe Zahl verwaltete, nach dem Cenſus gewaͤhlt, in Rhegion den ganzen Staat 5. Hiernach koͤnnen wir annehmen, daß auch die Tauſend von Kroton die Reichſten waren: was indeß in Staͤd- ten, deren Macht auf Landbeſitz beruht, ehe Revolu- tionen die Verhaͤltniſſe verwirrt, im Ganzen zugleich die adligen Familien zu ſein pflegen. Sie konnten zu Kroton in den meiſten Angelegenheiten ohne Volksver- ſammlung entſcheiden 6, und beſaßen auch richterliche Gewalt 7. Der von Pythagoras gegruͤndete Rath da- gegen, der nicht timokratiſcher, ſondern rein ariſtokra- tiſcher Art geweſen zu ſein ſcheint, enthielt nur drei- hundert Mitglieder 8, eine in aͤhnlichen Verhaͤltniſſen oͤfter vorkommende Zahl 9; an ſeiner Spitze ſtand Py- thagoras ſelbſt. Es iſt eine der groͤßten Erſcheinungen in der Geſchichte des oͤffentlichen Lebens der Hellenen, 1 Bd. 2. S. 263. 2 Jambl. Pyth. 9, 45. und Di- kaͤarch bei Porphyr. 18. der die Mitglieder γέϱοντας nennt. Vie- leicht iſt die σὐγχλητος bei Diod. 12, 9. daſſelbe. 3 S. oben S. 137, 1. 4 Valer. Max. 8, 15. ext. 1. 5 Herakl. Pont. 25. 6 Jamblich 35, 260. 7 S. 27, 126. 8 Diog. L. 8, 3. vgl. Apollon. bei Jamblich. 35, 254. 261. Ju- ſtin 20, 4. 9 oben S. 80. 13 *

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Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische03_1824/185>, abgerufen am 23.04.2024.