Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824.

Bild:
<< vorherige Seite

man sie auch eine Demokratie nennen könne, indem
die höchste Macht doch immer als im Volke ruhend be-
trachtet wurde, und in der Lebenssitte völlige Gleich-
heit herrschte; und eben so wohl eine Monarchie wegen
der Könige; ja es drängten sich auch in der Gewalt
der Ephoren Anfänge der Tyrannis ein: so daß in die-
ser einen, wie eigentlich in jeder ausgebildeten, alle
Verfassungsformen darin lagen 2. Aber die Seele
aller dieser Formen war der Dorische Geist der Scham
und Furcht vor den Gesetzen der Vorfahren, und dem
Urtheil Aelterer (das Ansehen des Geschlechts ist aber
gleichsam eine Fortsetzung des persönlichen Alters); der
der Geist des aufopfernden Gehorsams gegen den Staat
und die Vorgesetzten (peitharkhia) 3; die Erkenntniß
endlich, daß ein strenges Maaß und eine weise Be-
schränkung im Handeln sicherer zum Heile führe, als
eine ins Ungewisse hinausstrebende Fülle von Kraft und
Leben.

Wie sich nach diesen Dorischen Grundsätzen in
Sparta selbst der Niedere gegen den Höheren, der Pri-
vat gegen den Magistrat verhielt: so galten wieder
eine lange Zeit hindurch die Spartiaten im Verhält-
niß zum übrigen Griechenlande als Aristokraten, und

ca Laced. sei zwar mixta, aber nicht temperata gewesen; dage-
gen der angebl. Archytas bei Strab Serm. 41.
2 Auch die Kretische Verfassung war nach
Platon a. O. Alles zugleich.
3 Darauf, nicht auf Eroberun-
gen, geht Simonides Ausdruck: damasimbrotos Sparta, bei Plut-
Agesil. 1. vgl. Polyb. 4, 22, 4. Plut. Lyk. 30. reip. ger. praec.
20. 21. p.
181. 182. Lak. Apophth. p. 246., die Verse des Tra-
giker Ion bei Sext. Empir. adv. math. 69 a., u. eine Fourmont-
sche Inschr. von Sparta: e polis M. Aur. Aphrodeision -- tes
en tois patriois Lnkourgeiois ethesin eupsukhias kai peitharkhias
kharin.

man ſie auch eine Demokratie nennen koͤnne, indem
die hoͤchſte Macht doch immer als im Volke ruhend be-
trachtet wurde, und in der Lebensſitte voͤllige Gleich-
heit herrſchte; und eben ſo wohl eine Monarchie wegen
der Koͤnige; ja es draͤngten ſich auch in der Gewalt
der Ephoren Anfaͤnge der Tyrannis ein: ſo daß in die-
ſer einen, wie eigentlich in jeder ausgebildeten, alle
Verfaſſungsformen darin lagen 2. Aber die Seele
aller dieſer Formen war der Doriſche Geiſt der Scham
und Furcht vor den Geſetzen der Vorfahren, und dem
Urtheil Aelterer (das Anſehen des Geſchlechts iſt aber
gleichſam eine Fortſetzung des perſoͤnlichen Alters); der
der Geiſt des aufopfernden Gehorſams gegen den Staat
und die Vorgeſetzten (πειϑαρχία) 3; die Erkenntniß
endlich, daß ein ſtrenges Maaß und eine weiſe Be-
ſchraͤnkung im Handeln ſicherer zum Heile fuͤhre, als
eine ins Ungewiſſe hinausſtrebende Fuͤlle von Kraft und
Leben.

Wie ſich nach dieſen Doriſchen Grundſaͤtzen in
Sparta ſelbſt der Niedere gegen den Hoͤheren, der Pri-
vat gegen den Magiſtrat verhielt: ſo galten wieder
eine lange Zeit hindurch die Spartiaten im Verhaͤlt-
niß zum uͤbrigen Griechenlande als Ariſtokraten, und

ca Laced. ſei zwar mixta, aber nicht temperata geweſen; dage-
gen der angebl. Archytas bei Strab Serm. 41.
2 Auch die Kretiſche Verfaſſung war nach
Platon a. O. Alles zugleich.
3 Darauf, nicht auf Eroberun-
gen, geht Simonides Ausdruck: δαμασὶμβϱοτος Σπὰϱτα, bei Plut-
Ageſil. 1. vgl. Polyb. 4, 22, 4. Plut. Lyk. 30. reip. ger. praec.
20. 21. p.
181. 182. Lak. Apophth. p. 246., die Verſe des Tra-
giker Ion bei Sext. Empir. adv. math. 69 a., u. eine Fourmont-
ſche Inſchr. von Sparta: ἡ πολις Μ. Αυϱ. Αφϱοδεισιον — της
εν τοις πατϱιοις Λνϰουϱγειοις εϑεσιν ευψυχιας και πειϑαϱχιας
χαϱιν.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0190" n="184"/>
man &#x017F;ie auch eine Demokratie nennen ko&#x0364;nne, indem<lb/>
die ho&#x0364;ch&#x017F;te Macht doch immer als im Volke ruhend be-<lb/>
trachtet wurde, und in der Lebens&#x017F;itte vo&#x0364;llige Gleich-<lb/>
heit herr&#x017F;chte; und eben &#x017F;o wohl eine Monarchie wegen<lb/>
der Ko&#x0364;nige; ja es dra&#x0364;ngten &#x017F;ich auch in der Gewalt<lb/>
der Ephoren Anfa&#x0364;nge der Tyrannis ein: &#x017F;o daß in die-<lb/>
&#x017F;er einen, wie eigentlich in jeder ausgebildeten, alle<lb/>
Verfa&#x017F;&#x017F;ungsformen darin lagen <note place="foot" n="2">Auch die Kreti&#x017F;che Verfa&#x017F;&#x017F;ung war nach<lb/>
Platon a. O. Alles zugleich.</note>. Aber die <hi rendition="#g">Seele</hi><lb/>
aller die&#x017F;er Formen war der Dori&#x017F;che Gei&#x017F;t der Scham<lb/>
und Furcht vor den Ge&#x017F;etzen der Vorfahren, und dem<lb/>
Urtheil Aelterer (das An&#x017F;ehen des Ge&#x017F;chlechts i&#x017F;t aber<lb/>
gleich&#x017F;am eine Fort&#x017F;etzung des per&#x017F;o&#x0364;nlichen Alters); der<lb/>
der Gei&#x017F;t des aufopfernden Gehor&#x017F;ams gegen den Staat<lb/>
und die Vorge&#x017F;etzten (&#x03C0;&#x03B5;&#x03B9;&#x03D1;&#x03B1;&#x03C1;&#x03C7;&#x03AF;&#x03B1;) <note place="foot" n="3">Darauf, nicht auf Eroberun-<lb/>
gen, geht Simonides Ausdruck: &#x03B4;&#x03B1;&#x03BC;&#x03B1;&#x03C3;&#x1F76;&#x03BC;&#x03B2;&#x03F1;&#x03BF;&#x03C4;&#x03BF;&#x03C2; &#x03A3;&#x03C0;&#x1F70;&#x03F1;&#x03C4;&#x03B1;, bei Plut-<lb/>
Age&#x017F;il. 1. vgl. Polyb. 4, 22, 4. Plut. Lyk. 30. <hi rendition="#aq">reip. ger. praec.<lb/>
20. 21. p.</hi> 181. 182. Lak. Apophth. <hi rendition="#aq">p.</hi> 246., die Ver&#x017F;e des Tra-<lb/>
giker Ion bei Sext. Empir. <hi rendition="#aq">adv. math. 69 a.</hi>, u. eine Fourmont-<lb/>
&#x017F;che In&#x017F;chr. von Sparta: &#x1F21; &#x03C0;&#x03BF;&#x03BB;&#x03B9;&#x03C2; &#x039C;. &#x0391;&#x03C5;&#x03F1;. &#x0391;&#x03C6;&#x03F1;&#x03BF;&#x03B4;&#x03B5;&#x03B9;&#x03C3;&#x03B9;&#x03BF;&#x03BD; &#x2014; &#x03C4;&#x03B7;&#x03C2;<lb/>
&#x03B5;&#x03BD; &#x03C4;&#x03BF;&#x03B9;&#x03C2; &#x03C0;&#x03B1;&#x03C4;&#x03F1;&#x03B9;&#x03BF;&#x03B9;&#x03C2; &#x039B;&#x03BD;&#x03F0;&#x03BF;&#x03C5;&#x03F1;&#x03B3;&#x03B5;&#x03B9;&#x03BF;&#x03B9;&#x03C2; &#x03B5;&#x03D1;&#x03B5;&#x03C3;&#x03B9;&#x03BD; &#x03B5;&#x03C5;&#x03C8;&#x03C5;&#x03C7;&#x03B9;&#x03B1;&#x03C2; &#x03BA;&#x03B1;&#x03B9; &#x03C0;&#x03B5;&#x03B9;&#x03D1;&#x03B1;&#x03F1;&#x03C7;&#x03B9;&#x03B1;&#x03C2;<lb/>
&#x03C7;&#x03B1;&#x03F1;&#x03B9;&#x03BD;.</note>; die Erkenntniß<lb/>
endlich, daß ein &#x017F;trenges Maaß und eine wei&#x017F;e Be-<lb/>
&#x017F;chra&#x0364;nkung im Handeln &#x017F;icherer zum Heile fu&#x0364;hre, als<lb/>
eine ins Ungewi&#x017F;&#x017F;e hinaus&#x017F;trebende Fu&#x0364;lle von Kraft und<lb/>
Leben.</p><lb/>
            <p>Wie &#x017F;ich nach die&#x017F;en Dori&#x017F;chen Grund&#x017F;a&#x0364;tzen in<lb/>
Sparta &#x017F;elb&#x017F;t der Niedere gegen den Ho&#x0364;heren, der Pri-<lb/>
vat gegen den Magi&#x017F;trat verhielt: &#x017F;o galten wieder<lb/>
eine lange Zeit hindurch die Spartiaten im Verha&#x0364;lt-<lb/>
niß zum u&#x0364;brigen Griechenlande als Ari&#x017F;tokraten, und<lb/><note xml:id="seg2pn_21_2" prev="#seg2pn_21_1" place="foot" n="3"><hi rendition="#aq">ca Laced.</hi> &#x017F;ei zwar <hi rendition="#aq">mixta,</hi> aber nicht <hi rendition="#aq">temperata</hi> gewe&#x017F;en; dage-<lb/>
gen der angebl. Archytas bei Strab <hi rendition="#aq">Serm.</hi> 41.</note><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[184/0190] man ſie auch eine Demokratie nennen koͤnne, indem die hoͤchſte Macht doch immer als im Volke ruhend be- trachtet wurde, und in der Lebensſitte voͤllige Gleich- heit herrſchte; und eben ſo wohl eine Monarchie wegen der Koͤnige; ja es draͤngten ſich auch in der Gewalt der Ephoren Anfaͤnge der Tyrannis ein: ſo daß in die- ſer einen, wie eigentlich in jeder ausgebildeten, alle Verfaſſungsformen darin lagen 2. Aber die Seele aller dieſer Formen war der Doriſche Geiſt der Scham und Furcht vor den Geſetzen der Vorfahren, und dem Urtheil Aelterer (das Anſehen des Geſchlechts iſt aber gleichſam eine Fortſetzung des perſoͤnlichen Alters); der der Geiſt des aufopfernden Gehorſams gegen den Staat und die Vorgeſetzten (πειϑαρχία) 3; die Erkenntniß endlich, daß ein ſtrenges Maaß und eine weiſe Be- ſchraͤnkung im Handeln ſicherer zum Heile fuͤhre, als eine ins Ungewiſſe hinausſtrebende Fuͤlle von Kraft und Leben. Wie ſich nach dieſen Doriſchen Grundſaͤtzen in Sparta ſelbſt der Niedere gegen den Hoͤheren, der Pri- vat gegen den Magiſtrat verhielt: ſo galten wieder eine lange Zeit hindurch die Spartiaten im Verhaͤlt- niß zum uͤbrigen Griechenlande als Ariſtokraten, und 3 2 Auch die Kretiſche Verfaſſung war nach Platon a. O. Alles zugleich. 3 Darauf, nicht auf Eroberun- gen, geht Simonides Ausdruck: δαμασὶμβϱοτος Σπὰϱτα, bei Plut- Ageſil. 1. vgl. Polyb. 4, 22, 4. Plut. Lyk. 30. reip. ger. praec. 20. 21. p. 181. 182. Lak. Apophth. p. 246., die Verſe des Tra- giker Ion bei Sext. Empir. adv. math. 69 a., u. eine Fourmont- ſche Inſchr. von Sparta: ἡ πολις Μ. Αυϱ. Αφϱοδεισιον — της εν τοις πατϱιοις Λνϰουϱγειοις εϑεσιν ευψυχιας και πειϑαϱχιας χαϱιν. 3 ca Laced. ſei zwar mixta, aber nicht temperata geweſen; dage- gen der angebl. Archytas bei Strab Serm. 41.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische03_1824
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische03_1824/190
Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische03_1824/190>, abgerufen am 20.04.2024.