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Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824.

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um der bittersten Armuth zu steuern, auf irgend eine
andere Weise ins Mittel treten. Dies wäre mit we-
nig Umständen geschehen, wenn es wahr wäre, was
Plutarch erzählt, daß jedem Spartiatischen Knaben
gleich nach der Geburt die Stammältesten, in einer
Lesche zusammensitzend, einen Kleros der Neuntausend
gegeben hätten 1. Dann müßte man aber annehmen, daß
der Staat oder die Phylen im Besitz von Kleren, etwa
solchen, deren Häuser ausgegangen, gewesen seien: wo-
gegen wir wissen, daß diese dann in ordentlicher Succes-
sion an andere Familien kamen 2, wodurch manche aus-
nehmend reich wurden. Jene angeblichen Phylenälte-
sten werden also wohl nur die Aeltesten des Geschlechts
gewesen sein, die etwa darüber wachen konnten, daß,
wenn in einer Familie mehrere Söhne, und auch zu-
gleich mehrere Kleren zusammengefallen waren, auch
die Jüngeren, so weit es thunlich, Landbesitzer wur-
den, ohne indeß die untheilbare Einheit eines Fundus
zu zerschlagen.

3.

Große Verwirrung brachte in alle diese Ver-
hältnisse erst das Gesetz des Ephoren Epitadeus, daß
ein Jeder während seines Lebens sowohl, als durch
Testament Haus und Kleros wem er wolle geben könne 3:
wodurch natürlich gar bald eine allgemeine Erbschlei-
cherei entstand, in der es die Reichen jedesmal über
die Armen gewannen. Dies, die Verfassung in der
tiefsten Wurzel zerstörende, Gesetz wurde nach Lysan-
dros, aber schon bedeutende Zeit vor Aristoteles ge-
geben, indem dieser Schriftsteller, den Zustand seiner
Tage ganz offenbar mit der alten Gesetzgebung ver-
wechselnd 4, es der Verfassung Sparta's als Inconse-

1 Lyk. 16.
2 wenn ein oikos ganz ausgestorben war,
vermuthlich an den in der triakas zunächst stehenden.
3 Plut.
Ag. 5.
4 Anders fassen die Sache Manso 1, 2. S. 133.
Tittmann S. 660.

um der bitterſten Armuth zu ſteuern, auf irgend eine
andere Weiſe ins Mittel treten. Dies waͤre mit we-
nig Umſtaͤnden geſchehen, wenn es wahr waͤre, was
Plutarch erzaͤhlt, daß jedem Spartiatiſchen Knaben
gleich nach der Geburt die Stammaͤlteſten, in einer
Leſche zuſammenſitzend, einen Kleros der Neuntauſend
gegeben haͤtten 1. Dann muͤßte man aber annehmen, daß
der Staat oder die Phylen im Beſitz von Kleren, etwa
ſolchen, deren Haͤuſer ausgegangen, geweſen ſeien: wo-
gegen wir wiſſen, daß dieſe dann in ordentlicher Succeſ-
ſion an andere Familien kamen 2, wodurch manche aus-
nehmend reich wurden. Jene angeblichen Phylenaͤlte-
ſten werden alſo wohl nur die Aelteſten des Geſchlechts
geweſen ſein, die etwa daruͤber wachen konnten, daß,
wenn in einer Familie mehrere Soͤhne, und auch zu-
gleich mehrere Kleren zuſammengefallen waren, auch
die Juͤngeren, ſo weit es thunlich, Landbeſitzer wur-
den, ohne indeß die untheilbare Einheit eines Fundus
zu zerſchlagen.

3.

Große Verwirrung brachte in alle dieſe Ver-
haͤltniſſe erſt das Geſetz des Ephoren Epitadeus, daß
ein Jeder waͤhrend ſeines Lebens ſowohl, als durch
Teſtament Haus und Kleros wem er wolle geben koͤnne 3:
wodurch natuͤrlich gar bald eine allgemeine Erbſchlei-
cherei entſtand, in der es die Reichen jedesmal uͤber
die Armen gewannen. Dies, die Verfaſſung in der
tiefſten Wurzel zerſtoͤrende, Geſetz wurde nach Lyſan-
dros, aber ſchon bedeutende Zeit vor Ariſtoteles ge-
geben, indem dieſer Schriftſteller, den Zuſtand ſeiner
Tage ganz offenbar mit der alten Geſetzgebung ver-
wechſelnd 4, es der Verfaſſung Sparta’s als Inconſe-

1 Lyk. 16.
2 wenn ein οἶκος ganz ausgeſtorben war,
vermuthlich an den in der τϱιακὰς zunaͤchſt ſtehenden.
3 Plut.
Ag. 5.
4 Anders faſſen die Sache Manſo 1, 2. S. 133.
Tittmann S. 660.
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[194/0200] um der bitterſten Armuth zu ſteuern, auf irgend eine andere Weiſe ins Mittel treten. Dies waͤre mit we- nig Umſtaͤnden geſchehen, wenn es wahr waͤre, was Plutarch erzaͤhlt, daß jedem Spartiatiſchen Knaben gleich nach der Geburt die Stammaͤlteſten, in einer Leſche zuſammenſitzend, einen Kleros der Neuntauſend gegeben haͤtten 1. Dann muͤßte man aber annehmen, daß der Staat oder die Phylen im Beſitz von Kleren, etwa ſolchen, deren Haͤuſer ausgegangen, geweſen ſeien: wo- gegen wir wiſſen, daß dieſe dann in ordentlicher Succeſ- ſion an andere Familien kamen 2, wodurch manche aus- nehmend reich wurden. Jene angeblichen Phylenaͤlte- ſten werden alſo wohl nur die Aelteſten des Geſchlechts geweſen ſein, die etwa daruͤber wachen konnten, daß, wenn in einer Familie mehrere Soͤhne, und auch zu- gleich mehrere Kleren zuſammengefallen waren, auch die Juͤngeren, ſo weit es thunlich, Landbeſitzer wur- den, ohne indeß die untheilbare Einheit eines Fundus zu zerſchlagen. 3. Große Verwirrung brachte in alle dieſe Ver- haͤltniſſe erſt das Geſetz des Ephoren Epitadeus, daß ein Jeder waͤhrend ſeines Lebens ſowohl, als durch Teſtament Haus und Kleros wem er wolle geben koͤnne 3: wodurch natuͤrlich gar bald eine allgemeine Erbſchlei- cherei entſtand, in der es die Reichen jedesmal uͤber die Armen gewannen. Dies, die Verfaſſung in der tiefſten Wurzel zerſtoͤrende, Geſetz wurde nach Lyſan- dros, aber ſchon bedeutende Zeit vor Ariſtoteles ge- geben, indem dieſer Schriftſteller, den Zuſtand ſeiner Tage ganz offenbar mit der alten Geſetzgebung ver- wechſelnd 4, es der Verfaſſung Sparta’s als Inconſe- 1 Lyk. 16. 2 wenn ein οἶκος ganz ausgeſtorben war, vermuthlich an den in der τϱιακὰς zunaͤchſt ſtehenden. 3 Plut. Ag. 5. 4 Anders faſſen die Sache Manſo 1, 2. S. 133. Tittmann S. 660.

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Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische03_1824/200>, abgerufen am 29.03.2024.