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Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824.

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selben entließ er ihn, und gab ihm zum Abschiede,
nach dem Herkommen, ein Rind, ein Kriegskleid, einen
ehernen Becher, und Andres mehr freiwillig: oft tru-
gen alle Freunde des Raubenden zu diesen Geschenken
bei 1. Der Knabe opferte sodann den Stier dem
Zeus, und gab den Begleitern ein Mahl: darauf that
er kund, wie ihm die Begegnung des Philetor gefal-
len; jede Schmach oder Unbill hatte er gerichtlich zu
rächen völlige Freiheit. Je nachdem er sich bestimmt,
dauert das Verhältniß zu Jenem fort oder nicht. In
jenem Falle trägt dann der Waffenfreund (parasta-
theis), denn so heißt er alsdann, das geschenkte Kriegs-
kleid; und kämpft in der Schlacht neben dem Lieben-
den, von Ares und Eros mit doppeltem Kampfmuthe
entzündet, wie die Kreter meinten 2: der erste Platz
und Rang im Laufe und gewisse Abzeichen der Tracht
bezeichnen ihn noch im Mannesalter als Kleinos.

So feste Institute, wie diese, hatten sich zwar nir-
gends anders ausgebildet, aber die zum Grunde lie-
gende. Gefühlsrichtung war allen Doriern gemein. Die
Liebe des Korinthischen Bakchiaden und Gesetzgebers
von Theben, Philolaos, und des Olympioniken Diokles
dauerte bis zum Tode, und noch ihre Gräber waren
einander freundlich zugekehrt 3: ein andrer Diokles
war es, der in Megara als edles Beispiel der Selbst-
aufopferung für den Geliebten geehrt wurde; die schön-
sten Knaben küßten auf seinem Grabe -- der ursprüng-
lichen Idee nach gewiß den treuen Liebhaber 4; wie

1 Aus Ephor. und Herakl. Pont. Waffen waren in Kr.
die ansehnlichsten Geschenke nach Nikol. Dam. Vom Becher vgl.
Hermonax bei Ath. 11. p. 366. Schw.
2 Aelian V. G. 3, 9.
vgl. N. A. 4, 1.
3 Arist. Pol. 2, 9, 6, 7.
4 Aristoph.
Ach. 774. Theokr. 12, 28. Schol. Darüber, daß er ursprünglich

ſelben entließ er ihn, und gab ihm zum Abſchiede,
nach dem Herkommen, ein Rind, ein Kriegskleid, einen
ehernen Becher, und Andres mehr freiwillig: oft tru-
gen alle Freunde des Raubenden zu dieſen Geſchenken
bei 1. Der Knabe opferte ſodann den Stier dem
Zeus, und gab den Begleitern ein Mahl: darauf that
er kund, wie ihm die Begegnung des Philetor gefal-
len; jede Schmach oder Unbill hatte er gerichtlich zu
raͤchen voͤllige Freiheit. Je nachdem er ſich beſtimmt,
dauert das Verhaͤltniß zu Jenem fort oder nicht. In
jenem Falle traͤgt dann der Waffenfreund (παραστα-
ϑεὶς), denn ſo heißt er alsdann, das geſchenkte Kriegs-
kleid; und kaͤmpft in der Schlacht neben dem Lieben-
den, von Ares und Eros mit doppeltem Kampfmuthe
entzuͤndet, wie die Kreter meinten 2: der erſte Platz
und Rang im Laufe und gewiſſe Abzeichen der Tracht
bezeichnen ihn noch im Mannesalter als Kleinos.

So feſte Inſtitute, wie dieſe, hatten ſich zwar nir-
gends anders ausgebildet, aber die zum Grunde lie-
gende. Gefuͤhlsrichtung war allen Doriern gemein. Die
Liebe des Korinthiſchen Bakchiaden und Geſetzgebers
von Theben, Philolaos, und des Olympioniken Diokles
dauerte bis zum Tode, und noch ihre Graͤber waren
einander freundlich zugekehrt 3: ein andrer Diokles
war es, der in Megara als edles Beiſpiel der Selbſt-
aufopferung fuͤr den Geliebten geehrt wurde; die ſchoͤn-
ſten Knaben kuͤßten auf ſeinem Grabe — der urſpruͤng-
lichen Idee nach gewiß den treuen Liebhaber 4; wie

1 Aus Ephor. und Herakl. Pont. Waffen waren in Kr.
die anſehnlichſten Geſchenke nach Nikol. Dam. Vom Becher vgl.
Hermonax bei Ath. 11. p. 366. Schw.
2 Aelian V. G. 3, 9.
vgl. N. A. 4, 1.
3 Ariſt. Pol. 2, 9, 6, 7.
4 Ariſtoph.
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[293/0299] ſelben entließ er ihn, und gab ihm zum Abſchiede, nach dem Herkommen, ein Rind, ein Kriegskleid, einen ehernen Becher, und Andres mehr freiwillig: oft tru- gen alle Freunde des Raubenden zu dieſen Geſchenken bei 1. Der Knabe opferte ſodann den Stier dem Zeus, und gab den Begleitern ein Mahl: darauf that er kund, wie ihm die Begegnung des Philetor gefal- len; jede Schmach oder Unbill hatte er gerichtlich zu raͤchen voͤllige Freiheit. Je nachdem er ſich beſtimmt, dauert das Verhaͤltniß zu Jenem fort oder nicht. In jenem Falle traͤgt dann der Waffenfreund (παραστα- ϑεὶς), denn ſo heißt er alsdann, das geſchenkte Kriegs- kleid; und kaͤmpft in der Schlacht neben dem Lieben- den, von Ares und Eros mit doppeltem Kampfmuthe entzuͤndet, wie die Kreter meinten 2: der erſte Platz und Rang im Laufe und gewiſſe Abzeichen der Tracht bezeichnen ihn noch im Mannesalter als Kleinos. So feſte Inſtitute, wie dieſe, hatten ſich zwar nir- gends anders ausgebildet, aber die zum Grunde lie- gende. Gefuͤhlsrichtung war allen Doriern gemein. Die Liebe des Korinthiſchen Bakchiaden und Geſetzgebers von Theben, Philolaos, und des Olympioniken Diokles dauerte bis zum Tode, und noch ihre Graͤber waren einander freundlich zugekehrt 3: ein andrer Diokles war es, der in Megara als edles Beiſpiel der Selbſt- aufopferung fuͤr den Geliebten geehrt wurde; die ſchoͤn- ſten Knaben kuͤßten auf ſeinem Grabe — der urſpruͤng- lichen Idee nach gewiß den treuen Liebhaber 4; wie 1 Aus Ephor. und Herakl. Pont. Waffen waren in Kr. die anſehnlichſten Geſchenke nach Nikol. Dam. Vom Becher vgl. Hermonax bei Ath. 11. p. 366. Schw. 2 Aelian V. G. 3, 9. vgl. N. A. 4, 1. 3 Ariſt. Pol. 2, 9, 6, 7. 4 Ariſtoph. Ach. 774. Theokr. 12, 28. Schol. Daruͤber, daß er urſpruͤnglich

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Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824, S. 293. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische03_1824/299>, abgerufen am 29.03.2024.