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Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824.

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in ihren mannigfaltigen Formen stets mehr oder weni-
ger vom Dorischen Dialekt hat, wovon der Grund
doch nicht blos etwa in der Anerkenntniß liegen kann,
daß dieser Dialekt dazu der geeignetste -- denn wie
war diese Anerkenntniß möglich, wenn nicht schon das
Beispiel aufgestellt, Chorreigen in Dorischem Dialekt
gedichtet waren. So kann man also immerhin Dori-
sche und chorische Poesie als objektive Synonyma
brauchen, da im Ganzen wo Chorestanz auch Dori-
scher Dialekt, und wo Dorischer Dialekt in eigentlich
lyrischen Gesängen, in der Regel auch Chorestanz 1.
So dichtete z. B. Pindaros als Meister der Dorischen
Lyrik auch Skolien, aber diese Skolien wurden im Ge-
gensatze der über Tisch gesungnen chorisch dargestellt,
und hielten sich näher an den Dorischen Dialekt 2. So
war der Dithyramb, so lange er Gattung der Dori-
schen Lyrik blieb, durchaus antistrophisch d. h. cho-
risch; als er durch Krexos, Phrynis u. a. m. umgebildet
wurde, hörte er auf von kyklischen Chören dargestellt zu
werden, und zugleich wurde der Dialekt ganz verändert.
Mitten im Attischen Drama sangen die Chöre in Do-
rischem Dialekt: so innig verknüpft war Dorismus
mit chorischen Aufführungen 3. -- Hiedurch ist aber
schon Zweierlei zur Bestimmung des Charakters Dori-
scher Lyrik gegeben. Erstens: sie mußte das Gepräge
des Oeffentlichen tragen, denn um Chöre aufzustellen muß
auf irgend eine Weise das Gemeinwesen in Anspruch
genommen werden. Zweitens: sie mußte eine religiöse

1 Eine Ausnahme macht indeß die chorische Poesie der Ko-
rinna in Böotischem Dialekt.
2 Böckh ad Pind. Frgm. p.
607.
3 Im Prytaneion zu Elis sang man auch zu Paus.
Zeit (5, 15, 8.) Dorische Gesänge, und die an den Lernäen ge-
brauchten epe waren in demselben Dialekt. 2, 37, 3.
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in ihren mannigfaltigen Formen ſtets mehr oder weni-
ger vom Doriſchen Dialekt hat, wovon der Grund
doch nicht blos etwa in der Anerkenntniß liegen kann,
daß dieſer Dialekt dazu der geeignetſte — denn wie
war dieſe Anerkenntniß moͤglich, wenn nicht ſchon das
Beiſpiel aufgeſtellt, Chorreigen in Doriſchem Dialekt
gedichtet waren. So kann man alſo immerhin Dori-
ſche und choriſche Poëſie als objektive Synonyma
brauchen, da im Ganzen wo Chorestanz auch Dori-
ſcher Dialekt, und wo Doriſcher Dialekt in eigentlich
lyriſchen Geſaͤngen, in der Regel auch Chorestanz 1.
So dichtete z. B. Pindaros als Meiſter der Doriſchen
Lyrik auch Skolien, aber dieſe Skolien wurden im Ge-
genſatze der uͤber Tiſch geſungnen choriſch dargeſtellt,
und hielten ſich naͤher an den Doriſchen Dialekt 2. So
war der Dithyramb, ſo lange er Gattung der Dori-
ſchen Lyrik blieb, durchaus antiſtrophiſch d. h. cho-
riſch; als er durch Krexos, Phrynis u. a. m. umgebildet
wurde, hoͤrte er auf von kykliſchen Choͤren dargeſtellt zu
werden, und zugleich wurde der Dialekt ganz veraͤndert.
Mitten im Attiſchen Drama ſangen die Choͤre in Do-
riſchem Dialekt: ſo innig verknuͤpft war Dorismus
mit choriſchen Auffuͤhrungen 3. — Hiedurch iſt aber
ſchon Zweierlei zur Beſtimmung des Charakters Dori-
ſcher Lyrik gegeben. Erſtens: ſie mußte das Gepraͤge
des Oeffentlichen tragen, denn um Choͤre aufzuſtellen muß
auf irgend eine Weiſe das Gemeinweſen in Anſpruch
genommen werden. Zweitens: ſie mußte eine religioͤſe

1 Eine Ausnahme macht indeß die choriſche Poëſie der Ko-
rinna in Boͤotiſchem Dialekt.
2 Boͤckh ad Pind. Frgm. p.
607.
3 Im Prytaneion zu Elis ſang man auch zu Pauſ.
Zeit (5, 15, 8.) Doriſche Geſaͤnge, und die an den Lernaͤen ge-
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[371/0377] in ihren mannigfaltigen Formen ſtets mehr oder weni- ger vom Doriſchen Dialekt hat, wovon der Grund doch nicht blos etwa in der Anerkenntniß liegen kann, daß dieſer Dialekt dazu der geeignetſte — denn wie war dieſe Anerkenntniß moͤglich, wenn nicht ſchon das Beiſpiel aufgeſtellt, Chorreigen in Doriſchem Dialekt gedichtet waren. So kann man alſo immerhin Dori- ſche und choriſche Poëſie als objektive Synonyma brauchen, da im Ganzen wo Chorestanz auch Dori- ſcher Dialekt, und wo Doriſcher Dialekt in eigentlich lyriſchen Geſaͤngen, in der Regel auch Chorestanz 1. So dichtete z. B. Pindaros als Meiſter der Doriſchen Lyrik auch Skolien, aber dieſe Skolien wurden im Ge- genſatze der uͤber Tiſch geſungnen choriſch dargeſtellt, und hielten ſich naͤher an den Doriſchen Dialekt 2. So war der Dithyramb, ſo lange er Gattung der Dori- ſchen Lyrik blieb, durchaus antiſtrophiſch d. h. cho- riſch; als er durch Krexos, Phrynis u. a. m. umgebildet wurde, hoͤrte er auf von kykliſchen Choͤren dargeſtellt zu werden, und zugleich wurde der Dialekt ganz veraͤndert. Mitten im Attiſchen Drama ſangen die Choͤre in Do- riſchem Dialekt: ſo innig verknuͤpft war Dorismus mit choriſchen Auffuͤhrungen 3. — Hiedurch iſt aber ſchon Zweierlei zur Beſtimmung des Charakters Dori- ſcher Lyrik gegeben. Erſtens: ſie mußte das Gepraͤge des Oeffentlichen tragen, denn um Choͤre aufzuſtellen muß auf irgend eine Weiſe das Gemeinweſen in Anſpruch genommen werden. Zweitens: ſie mußte eine religioͤſe 1 Eine Ausnahme macht indeß die choriſche Poëſie der Ko- rinna in Boͤotiſchem Dialekt. 2 Boͤckh ad Pind. Frgm. p. 607. 3 Im Prytaneion zu Elis ſang man auch zu Pauſ. Zeit (5, 15, 8.) Doriſche Geſaͤnge, und die an den Lernaͤen ge- brauchten ἔπη waren in demſelben Dialekt. 2, 37, 3. 24 *

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Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824, S. 371. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische03_1824/377>, abgerufen am 25.04.2024.