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Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824.

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4.

Da im Gnomischen und Apophthegmatischen
das Bestreben eben nicht vorherrscht, den Sinn auf
eine leicht verständliche und schnellfaßliche Weise auszu-
drücken: so liegt das umgekehrte sehr nah, den Sinn
zu verhüllen: und so ist auch dies vorzugsweise den
Doriern eigen. Daher von diesem Volkstamme der
Griphus ausgegangen, und nebst dem Epigramm von
Kleobul dem Rhodier 1 und seiner Tochter Kleobuli-
na 2 besonders ausgebildet worden war. Auch die
Spartiaten liebten ihn 3; Epicharm nannte ihn logon
en logo 4; und in der ältern Griechischen Bildung,
die darin der orientalischen noch näher stand, war er
überhaupt ein beliebtes Mittel der Unterhaltung.

5.

Dies führt uns zunächst auf die symbolischen
Sprüche der Pythagoreer, die wir Räthsel nennen
könnten, wenn sie als solche aufgegeben, und nicht
blos der Bedeutsamkeit und Eindrücklichkeit wegen in
dieser Form mitgetheilt worden wären. Es scheint
aber, daß das Symbolische so tief in der Sinnesart
dieser Philosophen wurzelte, daß es nicht blos den
Ausdruck, sondern auch die Handlung bestimmte; galt
die sinnbildlich dargestellte für unsittlich oder unphilo-
sophisch, so vermied man auch die sinnbildlich darstel-
lende 5. Dieses Symbolische, wie die Brachylogie

alte Branchos, der Milesische Prophet, wird als Brachylog ge-
nannt. Diog. L. 1, 72.
1 S. Diog. L. 1, 89. vgl. Jakobs Comment. Anthol. T.
1. p. 194.
2 Athen. 10, 448 b. Arist. Rhet. 3, 2. Plut.
VII. Sap. Conv. 3. 10. Menag. hist. mul. philos. 4. Davon
Kratinos Kleoboulinai, über die besonders Schweigh. zu vgl. Ind.
Athen. p. 82.
3 Ath. 10, 452 a.
4 Eust. ad Od. 9,
1634, 15 R. -- Manche alte Griphen sind in Dorischem Dialekte,
doch nicht constant; die Stelle des Diphilos von den Samischen
Jungfrauen bei Ath. 10, 451. gehört schwerlich hieher.
5 Alte
4.

Da im Gnomiſchen und Apophthegmatiſchen
das Beſtreben eben nicht vorherrſcht, den Sinn auf
eine leicht verſtaͤndliche und ſchnellfaßliche Weiſe auszu-
druͤcken: ſo liegt das umgekehrte ſehr nah, den Sinn
zu verhuͤllen: und ſo iſt auch dies vorzugsweiſe den
Doriern eigen. Daher von dieſem Volkſtamme der
Griphus ausgegangen, und nebſt dem Epigramm von
Kleobul dem Rhodier 1 und ſeiner Tochter Kleobuli-
na 2 beſonders ausgebildet worden war. Auch die
Spartiaten liebten ihn 3; Epicharm nannte ihn λόγον
ἐν λόγῳ 4; und in der aͤltern Griechiſchen Bildung,
die darin der orientaliſchen noch naͤher ſtand, war er
uͤberhaupt ein beliebtes Mittel der Unterhaltung.

5.

Dies fuͤhrt uns zunaͤchſt auf die ſymboliſchen
Spruͤche der Pythagoreer, die wir Raͤthſel nennen
koͤnnten, wenn ſie als ſolche aufgegeben, und nicht
blos der Bedeutſamkeit und Eindruͤcklichkeit wegen in
dieſer Form mitgetheilt worden waͤren. Es ſcheint
aber, daß das Symboliſche ſo tief in der Sinnesart
dieſer Philoſophen wurzelte, daß es nicht blos den
Ausdruck, ſondern auch die Handlung beſtimmte; galt
die ſinnbildlich dargeſtellte fuͤr unſittlich oder unphilo-
ſophiſch, ſo vermied man auch die ſinnbildlich darſtel-
lende 5. Dieſes Symboliſche, wie die Brachylogie

alte Branchos, der Mileſiſche Prophet, wird als Brachylog ge-
nannt. Diog. L. 1, 72.
1 S. Diog. L. 1, 89. vgl. Jakobs Comment. Anthol. T.
1. p. 194.
2 Athen. 10, 448 b. Ariſt. Rhet. 3, 2. Plut.
VII. Sap. Conv. 3. 10. Menag. hist. mul. philos. 4. Davon
Kratinos Κλεοβουλῖναι, uͤber die beſonders Schweigh. zu vgl. Ind.
Athen. p. 82.
3 Ath. 10, 452 a.
4 Euſt. ad Od. 9,
1634, 15 R. — Manche alte Griphen ſind in Doriſchem Dialekte,
doch nicht conſtant; die Stelle des Diphilos von den Samiſchen
Jungfrauen bei Ath. 10, 451. gehoͤrt ſchwerlich hieher.
5 Alte
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[392/0398] 4. Da im Gnomiſchen und Apophthegmatiſchen das Beſtreben eben nicht vorherrſcht, den Sinn auf eine leicht verſtaͤndliche und ſchnellfaßliche Weiſe auszu- druͤcken: ſo liegt das umgekehrte ſehr nah, den Sinn zu verhuͤllen: und ſo iſt auch dies vorzugsweiſe den Doriern eigen. Daher von dieſem Volkſtamme der Griphus ausgegangen, und nebſt dem Epigramm von Kleobul dem Rhodier 1 und ſeiner Tochter Kleobuli- na 2 beſonders ausgebildet worden war. Auch die Spartiaten liebten ihn 3; Epicharm nannte ihn λόγον ἐν λόγῳ 4; und in der aͤltern Griechiſchen Bildung, die darin der orientaliſchen noch naͤher ſtand, war er uͤberhaupt ein beliebtes Mittel der Unterhaltung. 5. Dies fuͤhrt uns zunaͤchſt auf die ſymboliſchen Spruͤche der Pythagoreer, die wir Raͤthſel nennen koͤnnten, wenn ſie als ſolche aufgegeben, und nicht blos der Bedeutſamkeit und Eindruͤcklichkeit wegen in dieſer Form mitgetheilt worden waͤren. Es ſcheint aber, daß das Symboliſche ſo tief in der Sinnesart dieſer Philoſophen wurzelte, daß es nicht blos den Ausdruck, ſondern auch die Handlung beſtimmte; galt die ſinnbildlich dargeſtellte fuͤr unſittlich oder unphilo- ſophiſch, ſo vermied man auch die ſinnbildlich darſtel- lende 5. Dieſes Symboliſche, wie die Brachylogie 5 1 S. Diog. L. 1, 89. vgl. Jakobs Comment. Anthol. T. 1. p. 194. 2 Athen. 10, 448 b. Ariſt. Rhet. 3, 2. Plut. VII. Sap. Conv. 3. 10. Menag. hist. mul. philos. 4. Davon Kratinos Κλεοβουλῖναι, uͤber die beſonders Schweigh. zu vgl. Ind. Athen. p. 82. 3 Ath. 10, 452 a. 4 Euſt. ad Od. 9, 1634, 15 R. — Manche alte Griphen ſind in Doriſchem Dialekte, doch nicht conſtant; die Stelle des Diphilos von den Samiſchen Jungfrauen bei Ath. 10, 451. gehoͤrt ſchwerlich hieher. 5 Alte 5 alte Branchos, der Mileſiſche Prophet, wird als Brachylog ge- nannt. Diog. L. 1, 72.

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Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824, S. 392. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische03_1824/398>, abgerufen am 29.03.2024.