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Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824.

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nem bessern Zustande kaum eine Ahndung hat; denn
denen ihn die partheiliche Gunst des Schicksals ge-
währt, suchen entweder die Arbeit freiwillig oder sin-
ken in leblose Trägheit; von einem wahren Leben um
sein selbst willen, haben Wenige den Begriff und die
schmerzliche Sehnsucht darnach. Unter den Alten war
diese allgemein, und der Haß der Arbeit herrschend;
aber fast nur den Doriern gelang es, sich davon los-
zumachen; ihnen galt blos ein solcher Zustand als
Freiheit 1. Was nun aber das Leben vom Morgen
bis Abend ausfüllte? 2 Die gymnastischen, kriegeri-
schen, musischen Uebungen; dann besonders die Jagd,
die vornehmlich für die Aeltern an die Stelle andrer
Körperbewegung trat 3; ferner die wenn auch nicht
äußerlich, doch innerlich aktive Theilnahme an allem,
was den Staat betraf; weiter die religiösen Gebräu-
che, Opfer, Chöre; besonders aber das gesellige Zu-
sammenleben in den Leschen. Jede kleine Gemeinde
hatte ihre Lesche 4; hier saßen besonders die ältern
Leute beisammen, zur Winterszeit um den wärmenden
Heerd, in behaglicher Ruhe und gemüthlicher Stim-
mung; der Respekt vor dem Alter gab der Unter-
haltung einen angemessnen Gang. Auch in Athen wa-
ren die Leschen ehemals sehr beliebt gewesen, aber die
Demokratie liebt die ungesonderte Masse und haßt alle
Abtheilungen; so wurde später das Herumziehn in öf-

1 Plut. Lyk. 24. Lak. Ap. p. 207.
2 Manso 1, 2. S. 201.
3 Xen. vom Lak. Staat 4, 7. (daher die Trefflichkeit Lakonischer
Jagdhunde, Pind. Hyporch. Frgm. 3. p. 599 Bh. Simonides
Hyp. bei Plut. Symp. 9, 15, 2. sonst Meurs. Misc. Lac. 3, 1.
Die Jagdliebe der Kreter ist bekannt.
4 Oben S. 56. 299.
vgl. Plut. Lyk. 25. Im Kleom. 30. ziehe ich auch tais leakhais
der andern Lesart tais skholais vor.

nem beſſern Zuſtande kaum eine Ahndung hat; denn
denen ihn die partheiliche Gunſt des Schickſals ge-
waͤhrt, ſuchen entweder die Arbeit freiwillig oder ſin-
ken in lebloſe Traͤgheit; von einem wahren Leben um
ſein ſelbſt willen, haben Wenige den Begriff und die
ſchmerzliche Sehnſucht darnach. Unter den Alten war
dieſe allgemein, und der Haß der Arbeit herrſchend;
aber faſt nur den Doriern gelang es, ſich davon los-
zumachen; ihnen galt blos ein ſolcher Zuſtand als
Freiheit 1. Was nun aber das Leben vom Morgen
bis Abend ausfuͤllte? 2 Die gymnaſtiſchen, kriegeri-
ſchen, muſiſchen Uebungen; dann beſonders die Jagd,
die vornehmlich fuͤr die Aeltern an die Stelle andrer
Koͤrperbewegung trat 3; ferner die wenn auch nicht
aͤußerlich, doch innerlich aktive Theilnahme an allem,
was den Staat betraf; weiter die religioͤſen Gebraͤu-
che, Opfer, Choͤre; beſonders aber das geſellige Zu-
ſammenleben in den Leſchen. Jede kleine Gemeinde
hatte ihre Leſche 4; hier ſaßen beſonders die aͤltern
Leute beiſammen, zur Winterszeit um den waͤrmenden
Heerd, in behaglicher Ruhe und gemuͤthlicher Stim-
mung; der Reſpekt vor dem Alter gab der Unter-
haltung einen angemeſſnen Gang. Auch in Athen wa-
ren die Leſchen ehemals ſehr beliebt geweſen, aber die
Demokratie liebt die ungeſonderte Maſſe und haßt alle
Abtheilungen; ſo wurde ſpaͤter das Herumziehn in oͤf-

1 Plut. Lyk. 24. Lak. Ap. p. 207.
2 Manſo 1, 2. S. 201.
3 Xen. vom Lak. Staat 4, 7. (daher die Trefflichkeit Lakoniſcher
Jagdhunde, Pind. Hyporch. Frgm. 3. p. 599 Bh. Simonides
Hyp. bei Plut. Symp. 9, 15, 2. ſonſt Meurſ. Misc. Lac. 3, 1.
Die Jagdliebe der Kreter iſt bekannt.
4 Oben S. 56. 299.
vgl. Plut. Lyk. 25. Im Kleom. 30. ziehe ich auch ταῖς λέαχαις
der andern Lesart ταῖς σχολαῖς vor.
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[398/0404] nem beſſern Zuſtande kaum eine Ahndung hat; denn denen ihn die partheiliche Gunſt des Schickſals ge- waͤhrt, ſuchen entweder die Arbeit freiwillig oder ſin- ken in lebloſe Traͤgheit; von einem wahren Leben um ſein ſelbſt willen, haben Wenige den Begriff und die ſchmerzliche Sehnſucht darnach. Unter den Alten war dieſe allgemein, und der Haß der Arbeit herrſchend; aber faſt nur den Doriern gelang es, ſich davon los- zumachen; ihnen galt blos ein ſolcher Zuſtand als Freiheit 1. Was nun aber das Leben vom Morgen bis Abend ausfuͤllte? 2 Die gymnaſtiſchen, kriegeri- ſchen, muſiſchen Uebungen; dann beſonders die Jagd, die vornehmlich fuͤr die Aeltern an die Stelle andrer Koͤrperbewegung trat 3; ferner die wenn auch nicht aͤußerlich, doch innerlich aktive Theilnahme an allem, was den Staat betraf; weiter die religioͤſen Gebraͤu- che, Opfer, Choͤre; beſonders aber das geſellige Zu- ſammenleben in den Leſchen. Jede kleine Gemeinde hatte ihre Leſche 4; hier ſaßen beſonders die aͤltern Leute beiſammen, zur Winterszeit um den waͤrmenden Heerd, in behaglicher Ruhe und gemuͤthlicher Stim- mung; der Reſpekt vor dem Alter gab der Unter- haltung einen angemeſſnen Gang. Auch in Athen wa- ren die Leſchen ehemals ſehr beliebt geweſen, aber die Demokratie liebt die ungeſonderte Maſſe und haßt alle Abtheilungen; ſo wurde ſpaͤter das Herumziehn in oͤf- 1 Plut. Lyk. 24. Lak. Ap. p. 207. 2 Manſo 1, 2. S. 201. 3 Xen. vom Lak. Staat 4, 7. (daher die Trefflichkeit Lakoniſcher Jagdhunde, Pind. Hyporch. Frgm. 3. p. 599 Bh. Simonides Hyp. bei Plut. Symp. 9, 15, 2. ſonſt Meurſ. Misc. Lac. 3, 1. Die Jagdliebe der Kreter iſt bekannt. 4 Oben S. 56. 299. vgl. Plut. Lyk. 25. Im Kleom. 30. ziehe ich auch ταῖς λέαχαις der andern Lesart ταῖς σχολαῖς vor.

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Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824, S. 398. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische03_1824/404>, abgerufen am 24.04.2024.