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Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824.

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den müssen der Volkstamm der Mariandynen in der
Pontischen Herakleia, die ebenfalls Megarer nebst
Böotern gründeten. Er unterwarf sich unter der Be-
dingung, daß kein Mariandyne über die Gränze ver-
kauft werden durfte 1 -- dies ist Grundgesetz der
alten Leibeigenschaft -- und sie ein für allemal bestimmte
Abgaben -- mit einem milden Namen dora genannt --
zinsen sollten 2. Die große Anzahl dieser unterworfenen
Landeseinwohner, die es nie an Matrosen fehlen ließ,
war der Schifffahrt und Seemacht Herakleias sehr
günstig 3.

Die Ordnung der Stände in Kyrene folgte der-
selben Analogie. In der Mutterstadt Thera hatten
nur die Geschlechter der ursprünglichen Colonie aus La-
konika volles Bürgerrecht, und verwalteten die Staats-
ämter 4. So waren nun auch wieder in Kyrene zu-
erst nur die Theräischen Geschlechter im Genuß der
Herrschaftsrechte, und ließen die Nachwanderer nicht
zum völligen Mitbesitz derselben. Es war der natürliche
Gang der Dinge, daß diejenigen, welche dem Helleni-
schen Namen zuerst unter den Libyschen Horden Ansehn
verschafft hatten, ein größeres Anrecht auf Ehre und
Besitz zu haben glaubten, als die, welche in die schon
gegründete und befestigte Stadt zusammen strömten.
Aber als die Kyrenäer unter Battos II. eine neue Ver-
theilung der Aecker -- die man freilich erst den Libyern

1 Strabo 12, 542 c.
2 Euphorion (Frgm. 73 Mein.)
und Kallistratos o Aristophaneios bei Athen. 6, 263 d. e. Hesych
dorophoroi. Die Herren nennt Euphorion Homerisch anaktas.
3 Arist. Pol. 7, 5, 7., wo die zur See dienenden Periöken von
Herakleia wohl die Mariandynen sind. Hier ist von Her. Pontike
offenbar die Rede: 5, 4, 2. dagegen (meta ton apoikismon euthus)
gewiß von Her. Trachinia, vgl. Schlosser; und von diesem wohl
auch in den übrigen Stellen.
4 s. oben S. 61, 2.

den muͤſſen der Volkſtamm der Mariandynen in der
Pontiſchen Herakleia, die ebenfalls Megarer nebſt
Boͤotern gruͤndeten. Er unterwarf ſich unter der Be-
dingung, daß kein Mariandyne uͤber die Graͤnze ver-
kauft werden durfte 1 — dies iſt Grundgeſetz der
alten Leibeigenſchaft — und ſie ein fuͤr allemal beſtimmte
Abgaben — mit einem milden Namen δῶϱα genannt —
zinſen ſollten 2. Die große Anzahl dieſer unterworfenen
Landeseinwohner, die es nie an Matroſen fehlen ließ,
war der Schifffahrt und Seemacht Herakleias ſehr
guͤnſtig 3.

Die Ordnung der Staͤnde in Kyrene folgte der-
ſelben Analogie. In der Mutterſtadt Thera hatten
nur die Geſchlechter der urſpruͤnglichen Colonie aus La-
konika volles Buͤrgerrecht, und verwalteten die Staats-
aͤmter 4. So waren nun auch wieder in Kyrene zu-
erſt nur die Theraͤiſchen Geſchlechter im Genuß der
Herrſchaftsrechte, und ließen die Nachwanderer nicht
zum voͤlligen Mitbeſitz derſelben. Es war der natuͤrliche
Gang der Dinge, daß diejenigen, welche dem Helleni-
ſchen Namen zuerſt unter den Libyſchen Horden Anſehn
verſchafft hatten, ein groͤßeres Anrecht auf Ehre und
Beſitz zu haben glaubten, als die, welche in die ſchon
gegruͤndete und befeſtigte Stadt zuſammen ſtroͤmten.
Aber als die Kyrenaͤer unter Battos II. eine neue Ver-
theilung der Aecker — die man freilich erſt den Libyern

1 Strabo 12, 542 c.
2 Euphorion (Frgm. 73 Mein.)
und Kalliſtratos ὁ Ἀϱιστοφάνειος bei Athen. 6, 263 d. e. Heſych
δωϱοφόϱοι. Die Herren nennt Euphorion Homeriſch ἄνακτας.
3 Ariſt. Pol. 7, 5, 7., wo die zur See dienenden Perioͤken von
Herakleia wohl die Mariandynen ſind. Hier iſt von Her. Pontike
offenbar die Rede: 5, 4, 2. dagegen (μετὰ τὸν ἀποικισμὸν εὐθὺς)
gewiß von Her. Trachinia, vgl. Schloſſer; und von dieſem wohl
auch in den uͤbrigen Stellen.
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[63/0069] den muͤſſen der Volkſtamm der Mariandynen in der Pontiſchen Herakleia, die ebenfalls Megarer nebſt Boͤotern gruͤndeten. Er unterwarf ſich unter der Be- dingung, daß kein Mariandyne uͤber die Graͤnze ver- kauft werden durfte 1 — dies iſt Grundgeſetz der alten Leibeigenſchaft — und ſie ein fuͤr allemal beſtimmte Abgaben — mit einem milden Namen δῶϱα genannt — zinſen ſollten 2. Die große Anzahl dieſer unterworfenen Landeseinwohner, die es nie an Matroſen fehlen ließ, war der Schifffahrt und Seemacht Herakleias ſehr guͤnſtig 3. Die Ordnung der Staͤnde in Kyrene folgte der- ſelben Analogie. In der Mutterſtadt Thera hatten nur die Geſchlechter der urſpruͤnglichen Colonie aus La- konika volles Buͤrgerrecht, und verwalteten die Staats- aͤmter 4. So waren nun auch wieder in Kyrene zu- erſt nur die Theraͤiſchen Geſchlechter im Genuß der Herrſchaftsrechte, und ließen die Nachwanderer nicht zum voͤlligen Mitbeſitz derſelben. Es war der natuͤrliche Gang der Dinge, daß diejenigen, welche dem Helleni- ſchen Namen zuerſt unter den Libyſchen Horden Anſehn verſchafft hatten, ein groͤßeres Anrecht auf Ehre und Beſitz zu haben glaubten, als die, welche in die ſchon gegruͤndete und befeſtigte Stadt zuſammen ſtroͤmten. Aber als die Kyrenaͤer unter Battos II. eine neue Ver- theilung der Aecker — die man freilich erſt den Libyern 1 Strabo 12, 542 c. 2 Euphorion (Frgm. 73 Mein.) und Kalliſtratos ὁ Ἀϱιστοφάνειος bei Athen. 6, 263 d. e. Heſych δωϱοφόϱοι. Die Herren nennt Euphorion Homeriſch ἄνακτας. 3 Ariſt. Pol. 7, 5, 7., wo die zur See dienenden Perioͤken von Herakleia wohl die Mariandynen ſind. Hier iſt von Her. Pontike offenbar die Rede: 5, 4, 2. dagegen (μετὰ τὸν ἀποικισμὸν εὐθὺς) gewiß von Her. Trachinia, vgl. Schloſſer; und von dieſem wohl auch in den uͤbrigen Stellen. 4 ſ. oben S. 61, 2.

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Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische03_1824/69>, abgerufen am 18.04.2024.