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Müller, Karl Otfried: Handbuch der Archäologie der Kunst. Breslau, 1830.

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Systematischer Theil.

7. S. besonders Winck. W. iv. S. 219.


3. Behandlung des übrigen Körpers.

1331. Von dem Kopf abwärts sind Hals, Nacken
und Schultern besonders geeignet, kräftige Bildungen
und gymnastisch ausgearbeitete Gestalten von weichlichern
2zu unterscheiden; bei jenen sind der sternocleidoma-
stoides, trapezius
und deltoides musculus von be-
deutendem Umfang und einer schwellenden Form, wie
ganz besonders bei dem stiernackigen Herakles; bei den
letztern dagegen ist der Hals länger, schmächtiger und
3von einer gewissen schlaffen Beweglichkeit. Die männliche
Brust ist an den alten Statuen nicht besonders breit;
in der Bildung der weiblichen unterscheidet man, abge-
sehn von den Formen verschiedner Alter und Charaktere,
die mehr aus einer ebnen Fläche nach oben und einer
runden nach unten zusammengesetzte Form der frühern
Kunst von der runderen und mehr geblähten, die später
4allgemein wurde. Die drei Einschnitte des musculus
rectus
am Bauche sind, so wie die Hüftlinie, unter-
halb des rectus ventris und der magni obliqui, gern
5mit einer besondern Schärfe bezeichnet. Bei der aus-
nehmenden Größe der musculi glutei in altgriechischen Re-
liefs und Vasengemählden wird man an Aristophanes
Darstellung der Jünglinge von altem Schrot und Korn er-
6innert. Wie überall die großen Hauptmuskeln besonders
hervorgehoben und in ihrer Mächtigkeit dargestellt sind:
so zeigt sich dies auch an dem magnus internus (epi-
gounis) der Schenkel, dessen hervortretende Form für
7männliche Bildungen charakteristisch ist. In den Knieen
zeiget sich besonders das Vermögen, zwischen zu scharfer
Bezeichnung der einzelnen Knochen und Theile und einer
oberflächlichen und unkundigen Behandlung derselben die
rechte Mitte zu finden.

1. Vortreffliche Bemerkungen für die Diagnose der Kunst,
welche den Charakter aus den einzelnen Muskeln herausliest, geben

Syſtematiſcher Theil.

7. S. beſonders Winck. W. iv. S. 219.


3. Behandlung des uͤbrigen Koͤrpers.

1331. Von dem Kopf abwaͤrts ſind Hals, Nacken
und Schultern beſonders geeignet, kraͤftige Bildungen
und gymnaſtiſch ausgearbeitete Geſtalten von weichlichern
2zu unterſcheiden; bei jenen ſind der sternocleidoma-
stoides, trapezius
und deltoides musculus von be-
deutendem Umfang und einer ſchwellenden Form, wie
ganz beſonders bei dem ſtiernackigen Herakles; bei den
letztern dagegen iſt der Hals laͤnger, ſchmaͤchtiger und
3von einer gewiſſen ſchlaffen Beweglichkeit. Die maͤnnliche
Bruſt iſt an den alten Statuen nicht beſonders breit;
in der Bildung der weiblichen unterſcheidet man, abge-
ſehn von den Formen verſchiedner Alter und Charaktere,
die mehr aus einer ebnen Flaͤche nach oben und einer
runden nach unten zuſammengeſetzte Form der fruͤhern
Kunſt von der runderen und mehr geblaͤhten, die ſpaͤter
4allgemein wurde. Die drei Einſchnitte des musculus
rectus
am Bauche ſind, ſo wie die Huͤftlinie, unter-
halb des rectus ventris und der magni obliqui, gern
5mit einer beſondern Schaͤrfe bezeichnet. Bei der aus-
nehmenden Groͤße der musculi glutei in altgriechiſchen Re-
liefs und Vaſengemaͤhlden wird man an Ariſtophanes
Darſtellung der Juͤnglinge von altem Schrot und Korn er-
6innert. Wie uͤberall die großen Hauptmuskeln beſonders
hervorgehoben und in ihrer Maͤchtigkeit dargeſtellt ſind:
ſo zeigt ſich dies auch an dem magnus internus (ἐπι-
γουνὶς) der Schenkel, deſſen hervortretende Form fuͤr
7maͤnnliche Bildungen charakteriſtiſch iſt. In den Knieen
zeiget ſich beſonders das Vermoͤgen, zwiſchen zu ſcharfer
Bezeichnung der einzelnen Knochen und Theile und einer
oberflaͤchlichen und unkundigen Behandlung derſelben die
rechte Mitte zu finden.

1. Vortreffliche Bemerkungen für die Diagnoſe der Kunſt,
welche den Charakter aus den einzelnen Muskeln herauslieſt, geben

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[410/0432] Syſtematiſcher Theil. 7. S. beſonders Winck. W. iv. S. 219. 3. Behandlung des uͤbrigen Koͤrpers. 331. Von dem Kopf abwaͤrts ſind Hals, Nacken und Schultern beſonders geeignet, kraͤftige Bildungen und gymnaſtiſch ausgearbeitete Geſtalten von weichlichern zu unterſcheiden; bei jenen ſind der sternocleidoma- stoides, trapezius und deltoides musculus von be- deutendem Umfang und einer ſchwellenden Form, wie ganz beſonders bei dem ſtiernackigen Herakles; bei den letztern dagegen iſt der Hals laͤnger, ſchmaͤchtiger und von einer gewiſſen ſchlaffen Beweglichkeit. Die maͤnnliche Bruſt iſt an den alten Statuen nicht beſonders breit; in der Bildung der weiblichen unterſcheidet man, abge- ſehn von den Formen verſchiedner Alter und Charaktere, die mehr aus einer ebnen Flaͤche nach oben und einer runden nach unten zuſammengeſetzte Form der fruͤhern Kunſt von der runderen und mehr geblaͤhten, die ſpaͤter allgemein wurde. Die drei Einſchnitte des musculus rectus am Bauche ſind, ſo wie die Huͤftlinie, unter- halb des rectus ventris und der magni obliqui, gern mit einer beſondern Schaͤrfe bezeichnet. Bei der aus- nehmenden Groͤße der musculi glutei in altgriechiſchen Re- liefs und Vaſengemaͤhlden wird man an Ariſtophanes Darſtellung der Juͤnglinge von altem Schrot und Korn er- innert. Wie uͤberall die großen Hauptmuskeln beſonders hervorgehoben und in ihrer Maͤchtigkeit dargeſtellt ſind: ſo zeigt ſich dies auch an dem magnus internus (ἐπι- γουνὶς) der Schenkel, deſſen hervortretende Form fuͤr maͤnnliche Bildungen charakteriſtiſch iſt. In den Knieen zeiget ſich beſonders das Vermoͤgen, zwiſchen zu ſcharfer Bezeichnung der einzelnen Knochen und Theile und einer oberflaͤchlichen und unkundigen Behandlung derſelben die rechte Mitte zu finden. 1 2 3 4 5 6 7 1. Vortreffliche Bemerkungen für die Diagnoſe der Kunſt, welche den Charakter aus den einzelnen Muskeln herauslieſt, geben

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Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Handbuch der Archäologie der Kunst. Breslau, 1830, S. 410. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_kunst_1830/432>, abgerufen am 29.03.2024.