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Müller, Karl Otfried: Handbuch der Archäologie der Kunst. Breslau, 1830.

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Systematischer Theil.
4. Demeter.

1357. Demeter, welche in dem hier befolgten Zwölf-
götter-System, wie in mehrern mystischen Culten, mit
dem Poseidon verbunden ist, ist die nährende Natur als
2Mutter gefaßt. Das ist der wesentliche Grundzug ihres
Cultus und Mythus, daß sie im Verhältniß zu einem
Kinde gedacht wird, dessen Verlust und Wiedergewinnung
ganz geeignet ist, alle Seiten des mütterlichen Gefühls
3zu entfalten. Diesen Charakter und dies Verhältniß,
auf rein menschliche Weise gefaßt, legt die ausgebildete
Kunst ihren Darstellungen zum Grunde, nachdem die
frühere versucht hatte, mystische Vorstellungen von Na-
turverhältnissen in zum Theil sehr seltsamen Bildern aus-
4zudrücken. Obgleich auch in Sicilien berühmte Bilder der
Göttin waren, gebührt doch die Ausbildung des Ideals
wohl größtentheils der Attischen, zum Theil erst der
5Praxitelischen Kunstschule. Im Weihetempel von Eleu-
sis war wahrscheinlich eine chryselephantine Statue der
6Göttin. Demeter erscheint matronaler und mütterlicher
als Hera; die Gestalt ist breiter und voller, wie es der
Allmutter (pammetor, paggeneteira) ziemt, der Aus-
druck des Gesichts weicher und milder; die Bekleidung
vollständig; oft ist das Himation auch über den Kopf
gezogen. Der Aehrenkranz, Mohn und Aehren in den
Händen, die Fackeln, der Fruchtkorb neben ihr sind die
7sichersten Kennzeichen. Nicht selten sieht man die Gottheit
allein oder mit ihrer Tochter thronen; doch ist man eben
so gewohnt, die fruchtspendende Göttin schreiten zu sehn.

1. Creuzer Symbolik Th. iv. "Von der Ceres u. Proserpina
und ihren Mysterien."

3. Von der Schwarzen Demeter zu Phigalia §. 83, 3.

4. Nach Cic. Verr. iv, 49. zu Enna mehrere Bilder der D.,
nebst Kora und Triptolemos. Plin. xxxvi, 4, 5: Romae
Praxitelis opera sunt Flora (i. e. Hora), Triptolemus,

Syſtematiſcher Theil.
4. Demeter.

1357. Demeter, welche in dem hier befolgten Zwoͤlf-
goͤtter-Syſtem, wie in mehrern myſtiſchen Culten, mit
dem Poſeidon verbunden iſt, iſt die naͤhrende Natur als
2Mutter gefaßt. Das iſt der weſentliche Grundzug ihres
Cultus und Mythus, daß ſie im Verhaͤltniß zu einem
Kinde gedacht wird, deſſen Verluſt und Wiedergewinnung
ganz geeignet iſt, alle Seiten des muͤtterlichen Gefuͤhls
3zu entfalten. Dieſen Charakter und dies Verhaͤltniß,
auf rein menſchliche Weiſe gefaßt, legt die ausgebildete
Kunſt ihren Darſtellungen zum Grunde, nachdem die
fruͤhere verſucht hatte, myſtiſche Vorſtellungen von Na-
turverhaͤltniſſen in zum Theil ſehr ſeltſamen Bildern aus-
4zudruͤcken. Obgleich auch in Sicilien beruͤhmte Bilder der
Goͤttin waren, gebuͤhrt doch die Ausbildung des Ideals
wohl groͤßtentheils der Attiſchen, zum Theil erſt der
5Praxiteliſchen Kunſtſchule. Im Weihetempel von Eleu-
ſis war wahrſcheinlich eine chryſelephantine Statue der
6Goͤttin. Demeter erſcheint matronaler und muͤtterlicher
als Hera; die Geſtalt iſt breiter und voller, wie es der
Allmutter (παμμήτωρ, παγγενέτειρα) ziemt, der Aus-
druck des Geſichts weicher und milder; die Bekleidung
vollſtaͤndig; oft iſt das Himation auch uͤber den Kopf
gezogen. Der Aehrenkranz, Mohn und Aehren in den
Haͤnden, die Fackeln, der Fruchtkorb neben ihr ſind die
7ſicherſten Kennzeichen. Nicht ſelten ſieht man die Gottheit
allein oder mit ihrer Tochter thronen; doch iſt man eben
ſo gewohnt, die fruchtſpendende Goͤttin ſchreiten zu ſehn.

1. Creuzer Symbolik Th. iv. „Von der Ceres u. Proſerpina
und ihren Myſterien.“

3. Von der Schwarzen Demeter zu Phigalia §. 83, 3.

4. Nach Cic. Verr. iv, 49. zu Enna mehrere Bilder der D.,
nebſt Kora und Triptolemos. Plin. xxxvi, 4, 5: Romae
Praxitelis opera sunt Flora (i. e. Hora), Triptolemus,

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[456/0478] Syſtematiſcher Theil. 4. Demeter. 357. Demeter, welche in dem hier befolgten Zwoͤlf- goͤtter-Syſtem, wie in mehrern myſtiſchen Culten, mit dem Poſeidon verbunden iſt, iſt die naͤhrende Natur als Mutter gefaßt. Das iſt der weſentliche Grundzug ihres Cultus und Mythus, daß ſie im Verhaͤltniß zu einem Kinde gedacht wird, deſſen Verluſt und Wiedergewinnung ganz geeignet iſt, alle Seiten des muͤtterlichen Gefuͤhls zu entfalten. Dieſen Charakter und dies Verhaͤltniß, auf rein menſchliche Weiſe gefaßt, legt die ausgebildete Kunſt ihren Darſtellungen zum Grunde, nachdem die fruͤhere verſucht hatte, myſtiſche Vorſtellungen von Na- turverhaͤltniſſen in zum Theil ſehr ſeltſamen Bildern aus- zudruͤcken. Obgleich auch in Sicilien beruͤhmte Bilder der Goͤttin waren, gebuͤhrt doch die Ausbildung des Ideals wohl groͤßtentheils der Attiſchen, zum Theil erſt der Praxiteliſchen Kunſtſchule. Im Weihetempel von Eleu- ſis war wahrſcheinlich eine chryſelephantine Statue der Goͤttin. Demeter erſcheint matronaler und muͤtterlicher als Hera; die Geſtalt iſt breiter und voller, wie es der Allmutter (παμμήτωρ, παγγενέτειρα) ziemt, der Aus- druck des Geſichts weicher und milder; die Bekleidung vollſtaͤndig; oft iſt das Himation auch uͤber den Kopf gezogen. Der Aehrenkranz, Mohn und Aehren in den Haͤnden, die Fackeln, der Fruchtkorb neben ihr ſind die ſicherſten Kennzeichen. Nicht ſelten ſieht man die Gottheit allein oder mit ihrer Tochter thronen; doch iſt man eben ſo gewohnt, die fruchtſpendende Goͤttin ſchreiten zu ſehn. 1 2 3 4 5 6 7 1. Creuzer Symbolik Th. iv. „Von der Ceres u. Proſerpina und ihren Myſterien.“ 3. Von der Schwarzen Demeter zu Phigalia §. 83, 3. 4. Nach Cic. Verr. iv, 49. zu Enna mehrere Bilder der D., nebſt Kora und Triptolemos. Plin. xxxvi, 4, 5: Romae Praxitelis opera sunt Flora (i. e. Hora), Triptolemus,

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Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Handbuch der Archäologie der Kunst. Breslau, 1830, S. 456. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_kunst_1830/478>, abgerufen am 29.03.2024.