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Müller, Karl Otfried: Handbuch der Archäologie der Kunst. Breslau, 1830.

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Historischer Theil.
Chil. viii. v. 426. Aa.). Ueber den Charakter der Alexander-
bilder Appulej. Florid. p. 118. Bip. (relicina frons). Der
Kopf eines Lysippischen Bildes scheint in einer Nachbildung erhalten
zu sein in dem, ebenfalls rechts gewandten, Capitolinischen Alexan-
derkopf (Winck. Monum. ined. n. 175. Meyer Tf. 13. b.); die
Gabinische Statue dagegen (Monum. Gab. n. 23. Meyer S.
124. Tf. 13. b.) trägt schon einen spätern manirirten Charakter
(vgl. die Statue Mus. Napol. T. iii. pl. 1. u. Thiersch Epochen
S. 272.).

5. Hominis autem imaginem gypso e facie ipsa pri-
mus omnium expressit ceraque in eam formam gypsi in-
fusa emendare instituit Lysistratus -- Hic et similitudi-
nem reddere instituit; ante eum quam pulcherrimas fa-
cere studebant
(dagegen §. 123.). Plin. xxxv, 44.

1130. Beobachtung der Natur und Studium der
frühern Meister, welches Lysippos eng mit einander ver-
band, führte den Künstler noch zu mancher Verfeinerung
im Einzelnen (argutiae operum); namentlich legte Lysippos
das Haar natürlicher, wahrscheinlich mehr nach mahlerischen
2Effecten, an. Auch wandten diese Künstler auf die Pro-
portionen des menschlichen Körpers das angestrengteste
Studium. Dabei führte sie das Bestreben, besonders
Porträtsiguren durch eine ungewöhnliche Schlankheit gleich-
sam über das Menschenmaaß hinauszuheben, zu einem
neuen System der Proportionen, welches von Euphra-
nor (in der Mahlerei auch von Zeuxis) begonnen, von
Lysippos aber erst harmonisch durchgeführt, und in der
3Griechischen Kunst hernach herrschend wurde. Es muß
indeß gestanden werden, daß dieses System weniger aus
einer warmen und innigen Auffassung der Natur, welche
namenlich in Griechenland sich in gedrungenern Figuren
schöner zeigt, als aus einem Bestreben, das Kunstwerk
4über das Wirkliche zu erheben, hervorgegangen ist. Auch
zeigt sich in den Werken dieser Künstler schon deutlich
die vorwaltende Neigung zu dem Colossalen, welche in
der nächsten Periode herrschend gefunden wird.

1. Propriae huius (Lysippi) videntur esse argutiae
operum
, custoditae in ininimis quoque rebus.
Plin.

Hiſtoriſcher Theil.
Chil. viii. v. 426. Aa.). Ueber den Charakter der Alexander-
bilder Appulej. Florid. p. 118. Bip. (relicina frons). Der
Kopf eines Lyſippiſchen Bildes ſcheint in einer Nachbildung erhalten
zu ſein in dem, ebenfalls rechts gewandten, Capitoliniſchen Alexan-
derkopf (Winck. Monum. ined. n. 175. Meyer Tf. 13. b.); die
Gabiniſche Statue dagegen (Monum. Gab. n. 23. Meyer S.
124. Tf. 13. b.) trägt ſchon einen ſpätern manirirten Charakter
(vgl. die Statue Mus. Napol. T. iii. pl. 1. u. Thierſch Epochen
S. 272.).

5. Hominis autem imaginem gypso e facie ipsa pri-
mus omnium expressit ceraque in eam formam gypsi in-
fusa emendare instituit Lysistratus — Hic et similitudi-
nem reddere instituit; ante eum quam pulcherrimas fa-
cere studebant
(dagegen §. 123.). Plin. xxxv, 44.

1130. Beobachtung der Natur und Studium der
fruͤhern Meiſter, welches Lyſippos eng mit einander ver-
band, fuͤhrte den Kuͤnſtler noch zu mancher Verfeinerung
im Einzelnen (argutiae operum); namentlich legte Lyſippos
das Haar natuͤrlicher, wahrſcheinlich mehr nach mahleriſchen
2Effecten, an. Auch wandten dieſe Kuͤnſtler auf die Pro-
portionen des menſchlichen Koͤrpers das angeſtrengteſte
Studium. Dabei fuͤhrte ſie das Beſtreben, beſonders
Portraͤtſiguren durch eine ungewoͤhnliche Schlankheit gleich-
ſam uͤber das Menſchenmaaß hinauszuheben, zu einem
neuen Syſtem der Proportionen, welches von Euphra-
nor (in der Mahlerei auch von Zeuxis) begonnen, von
Lyſippos aber erſt harmoniſch durchgefuͤhrt, und in der
3Griechiſchen Kunſt hernach herrſchend wurde. Es muß
indeß geſtanden werden, daß dieſes Syſtem weniger aus
einer warmen und innigen Auffaſſung der Natur, welche
namenlich in Griechenland ſich in gedrungenern Figuren
ſchoͤner zeigt, als aus einem Beſtreben, das Kunſtwerk
4uͤber das Wirkliche zu erheben, hervorgegangen iſt. Auch
zeigt ſich in den Werken dieſer Kuͤnſtler ſchon deutlich
die vorwaltende Neigung zu dem Coloſſalen, welche in
der naͤchſten Periode herrſchend gefunden wird.

1. Propriae huius (Lysippi) videntur esse argutiae
operum
, custoditae in ininimis quoque rebus.
Plin.

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[114/0136] Hiſtoriſcher Theil. Chil. viii. v. 426. Aa.). Ueber den Charakter der Alexander- bilder Appulej. Florid. p. 118. Bip. (relicina frons). Der Kopf eines Lyſippiſchen Bildes ſcheint in einer Nachbildung erhalten zu ſein in dem, ebenfalls rechts gewandten, Capitoliniſchen Alexan- derkopf (Winck. Monum. ined. n. 175. Meyer Tf. 13. b.); die Gabiniſche Statue dagegen (Monum. Gab. n. 23. Meyer S. 124. Tf. 13. b.) trägt ſchon einen ſpätern manirirten Charakter (vgl. die Statue Mus. Napol. T. iii. pl. 1. u. Thierſch Epochen S. 272.). 5. Hominis autem imaginem gypso e facie ipsa pri- mus omnium expressit ceraque in eam formam gypsi in- fusa emendare instituit Lysistratus — Hic et similitudi- nem reddere instituit; ante eum quam pulcherrimas fa- cere studebant (dagegen §. 123.). Plin. xxxv, 44. 130. Beobachtung der Natur und Studium der fruͤhern Meiſter, welches Lyſippos eng mit einander ver- band, fuͤhrte den Kuͤnſtler noch zu mancher Verfeinerung im Einzelnen (argutiae operum); namentlich legte Lyſippos das Haar natuͤrlicher, wahrſcheinlich mehr nach mahleriſchen Effecten, an. Auch wandten dieſe Kuͤnſtler auf die Pro- portionen des menſchlichen Koͤrpers das angeſtrengteſte Studium. Dabei fuͤhrte ſie das Beſtreben, beſonders Portraͤtſiguren durch eine ungewoͤhnliche Schlankheit gleich- ſam uͤber das Menſchenmaaß hinauszuheben, zu einem neuen Syſtem der Proportionen, welches von Euphra- nor (in der Mahlerei auch von Zeuxis) begonnen, von Lyſippos aber erſt harmoniſch durchgefuͤhrt, und in der Griechiſchen Kunſt hernach herrſchend wurde. Es muß indeß geſtanden werden, daß dieſes Syſtem weniger aus einer warmen und innigen Auffaſſung der Natur, welche namenlich in Griechenland ſich in gedrungenern Figuren ſchoͤner zeigt, als aus einem Beſtreben, das Kunſtwerk uͤber das Wirkliche zu erheben, hervorgegangen iſt. Auch zeigt ſich in den Werken dieſer Kuͤnſtler ſchon deutlich die vorwaltende Neigung zu dem Coloſſalen, welche in der naͤchſten Periode herrſchend gefunden wird. 1 2 3 4 1. Propriae huius (Lysippi) videntur esse argutiae operum, custoditae in ininimis quoque rebus. Plin.

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Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Handbuch der Archäologie der Kunst. Breslau, 1830, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_kunst_1830/136>, abgerufen am 25.04.2024.