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Müller, Karl Otfried: Handbuch der Archäologie der Kunst. Breslau, 1830.

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II. Optische Technik.

323. Der Künstler strebt, durch Formung des gegeb-1
nen Stoffes oder durch Auftragung von Farben dem
Auge und dem Geiste des Beschauers den Schein und
die Vorstellung von Körpern zu gewähren, wie sie wirk-
lich und natürlich vorhanden sind. Am einfachsten erreicht2
er dies durch eine völlige Nachbildung des Körpers in
runder Form (rondo bosso). Indessen macht auch
hiebei theils hohe Aufstellung, theils Colossalität des Bil-
des Veränderung der Form mit Rücksicht auf den Stand-
punkt des Beschauers, dessen Auge den Eindruck einer
natürlichen und wohlgestalten Form erhalten soll, nöthig;
auch wird der Künstler schon bei einzelnen Gestalten, noch
mehr aber bei Gruppen, häufig veranlaßt sein, seine
Composition für den Anblick von einer gewissen Stelle
aus einzurichten. Verwickelter wird die Aufgabe, wenn3
die Naturformen, gleichsam auf eine Fläche zusammenge-
drückt (welches Verfahren immer in einer Unterordnung
der Plastik unter tektonische Zwecke seinen Grund hat),
sich in einem schwächeren Spiele von Licht und Schat-
ten zeigen sollen als es die runde Arbeit gewährt; wie
solches in den verschiednen Arten des Reliefs (§. 27)
der Fall ist. Ein völlig optisches Problem aber wird4
die Aufgabe, wenn durch Farbenauftrag auf einer ebnen
Fläche
eine Anschauung des Gegenstandes erreicht wer-
den soll, indem nur aus der Nachahmung der Lichter-
scheinungen an den runden Körpern, wie sie von einem
vorausgesetzten Standpunkte in bestimmten Lagen und
Verhältnissen der Körper sich darstellen, d. h. nur durch
Beobachtung der perspektivischen Gesetze, der Ein-
druck der Wirklichkeit hervorgebracht werden kann.

3. Die Alten scheinen in der Benennung der verschiednen Ar-
ten Relief keine ganz feste Terminologie gehabt zu haben. Zoa

II. Optiſche Technik.

323. Der Kuͤnſtler ſtrebt, durch Formung des gegeb-1
nen Stoffes oder durch Auftragung von Farben dem
Auge und dem Geiſte des Beſchauers den Schein und
die Vorſtellung von Koͤrpern zu gewaͤhren, wie ſie wirk-
lich und natuͤrlich vorhanden ſind. Am einfachſten erreicht2
er dies durch eine voͤllige Nachbildung des Koͤrpers in
runder Form (rondo bosso). Indeſſen macht auch
hiebei theils hohe Aufſtellung, theils Coloſſalitaͤt des Bil-
des Veraͤnderung der Form mit Ruͤckſicht auf den Stand-
punkt des Beſchauers, deſſen Auge den Eindruck einer
natuͤrlichen und wohlgeſtalten Form erhalten ſoll, noͤthig;
auch wird der Kuͤnſtler ſchon bei einzelnen Geſtalten, noch
mehr aber bei Gruppen, haͤufig veranlaßt ſein, ſeine
Compoſition fuͤr den Anblick von einer gewiſſen Stelle
aus einzurichten. Verwickelter wird die Aufgabe, wenn3
die Naturformen, gleichſam auf eine Flaͤche zuſammenge-
druͤckt (welches Verfahren immer in einer Unterordnung
der Plaſtik unter tektoniſche Zwecke ſeinen Grund hat),
ſich in einem ſchwaͤcheren Spiele von Licht und Schat-
ten zeigen ſollen als es die runde Arbeit gewaͤhrt; wie
ſolches in den verſchiednen Arten des Reliefs (§. 27)
der Fall iſt. Ein voͤllig optiſches Problem aber wird4
die Aufgabe, wenn durch Farbenauftrag auf einer ebnen
Flaͤche
eine Anſchauung des Gegenſtandes erreicht wer-
den ſoll, indem nur aus der Nachahmung der Lichter-
ſcheinungen an den runden Koͤrpern, wie ſie von einem
vorausgeſetzten Standpunkte in beſtimmten Lagen und
Verhaͤltniſſen der Koͤrper ſich darſtellen, d. h. nur durch
Beobachtung der perſpektiviſchen Geſetze, der Ein-
druck der Wirklichkeit hervorgebracht werden kann.

3. Die Alten ſcheinen in der Benennung der verſchiednen Ar-
ten Relief keine ganz feſte Terminologie gehabt zu haben. Ζῷα

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[397/0419] II. Optiſche Technik. 323. Der Kuͤnſtler ſtrebt, durch Formung des gegeb- nen Stoffes oder durch Auftragung von Farben dem Auge und dem Geiſte des Beſchauers den Schein und die Vorſtellung von Koͤrpern zu gewaͤhren, wie ſie wirk- lich und natuͤrlich vorhanden ſind. Am einfachſten erreicht er dies durch eine voͤllige Nachbildung des Koͤrpers in runder Form (rondo bosso). Indeſſen macht auch hiebei theils hohe Aufſtellung, theils Coloſſalitaͤt des Bil- des Veraͤnderung der Form mit Ruͤckſicht auf den Stand- punkt des Beſchauers, deſſen Auge den Eindruck einer natuͤrlichen und wohlgeſtalten Form erhalten ſoll, noͤthig; auch wird der Kuͤnſtler ſchon bei einzelnen Geſtalten, noch mehr aber bei Gruppen, haͤufig veranlaßt ſein, ſeine Compoſition fuͤr den Anblick von einer gewiſſen Stelle aus einzurichten. Verwickelter wird die Aufgabe, wenn die Naturformen, gleichſam auf eine Flaͤche zuſammenge- druͤckt (welches Verfahren immer in einer Unterordnung der Plaſtik unter tektoniſche Zwecke ſeinen Grund hat), ſich in einem ſchwaͤcheren Spiele von Licht und Schat- ten zeigen ſollen als es die runde Arbeit gewaͤhrt; wie ſolches in den verſchiednen Arten des Reliefs (§. 27) der Fall iſt. Ein voͤllig optiſches Problem aber wird die Aufgabe, wenn durch Farbenauftrag auf einer ebnen Flaͤche eine Anſchauung des Gegenſtandes erreicht wer- den ſoll, indem nur aus der Nachahmung der Lichter- ſcheinungen an den runden Koͤrpern, wie ſie von einem vorausgeſetzten Standpunkte in beſtimmten Lagen und Verhaͤltniſſen der Koͤrper ſich darſtellen, d. h. nur durch Beobachtung der perſpektiviſchen Geſetze, der Ein- druck der Wirklichkeit hervorgebracht werden kann. 1 2 3 4 3. Die Alten ſcheinen in der Benennung der verſchiednen Ar- ten Relief keine ganz feſte Terminologie gehabt zu haben. Ζῷα

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Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Handbuch der Archäologie der Kunst. Breslau, 1830, S. 397. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_kunst_1830/419>, abgerufen am 16.04.2024.