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Müller, Karl Otfried: Handbuch der Archäologie der Kunst. Breslau, 1830.

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Systematischer Theil.
welchen die Jonier von den Karern und von jenen wie-
der die Athener überkamen, war von Linnen, ganz ge-
näht, mit Aermeln (korais) versehen, sehr lang und fal-
tenreich. Beide sind in Kunstwerken häufig und leicht
3zu erkennen. Bei beiden ist für das gewöhnliche Co-
stüm der Gürtel (zone) wesentlich, welcher um die
Hüften liegt und durch das Heraufnehmen des Gewan-
des den Bausch (kolpos) bildet. Er ist wohl zu un-
terscheiden von der gewöhnlich unter dem Kleide, biswei-
len aber auch darüber liegenden Brustbinde, so wie von
dem breitern, besonders bei kriegerischen Gestalten vorkom-
4menden Gurte unter der Brust (zoster). Ein Dop-
pelchiton
entsteht am einfachsten, wenn der obere Theil
des Tuches, welches den Chiton bilden soll, übergeschla-
gen wird, so daß dieser Ueberschlag mit seinem Saum
bis über den Busen und gegen die Hüften herabreicht,
wo er in den Werken der ältern Griechischen Kunst mit
dem vorher erwähnten Bausche einen parallelen Bogen
5zu beschreiben pflegt. Indem das Tuch auf der linken
Seite weiter reicht als an der rechten, entsteht hier ein
Ueberhang und Faltenschlag (apoptugma), welcher als
die größte Zier der Griechischen Frauenkleidung von der
alterthümlichen Kunst eben so zierlich und regelmäßig,
wie von der ausgebildeten anmuthig und gefällig gebildet
worden ist.

1. Ueber den Unterschied der beiden Chitonen Böttiger Raub
der Kassandra S. 60. Des Vf. Aeginetica p. 72. Dorier ii. S.
262. Den Dorischen findet man in der Kunst bei der Artemis, der Iris
(des Parthenon), Hebe, Nike, den Mänaden. Die Spartanischen
Jungfrauen waren im Gegensatz der Frauen gewöhnlich monokhitones
(ebd. S. 265, auch Plut. Pyrrh. 17), und dienten in diesem leichten
Kleide als Mundschenken (Pythänetos u. Aa. ebd.); darnach ist die
Hebe gebildet. Darum waren auch die Bilder der Mundschenkin
Kleino in Alexandreia (Athen. x. p. 425) monokhitones, Ruton
kratountes en tais khersin.

2. Die Jonische Tracht sieht man besonders an den Musen;
an den Attischen Jungfrauen vom Parthenon erscheint sie nicht ganz

Syſtematiſcher Theil.
welchen die Jonier von den Karern und von jenen wie-
der die Athener uͤberkamen, war von Linnen, ganz ge-
naͤht, mit Aermeln (κόραις) verſehen, ſehr lang und fal-
tenreich. Beide ſind in Kunſtwerken haͤufig und leicht
3zu erkennen. Bei beiden iſt fuͤr das gewoͤhnliche Co-
ſtuͤm der Guͤrtel (ζώνη) weſentlich, welcher um die
Huͤften liegt und durch das Heraufnehmen des Gewan-
des den Bauſch (κόλπος) bildet. Er iſt wohl zu un-
terſcheiden von der gewoͤhnlich unter dem Kleide, biswei-
len aber auch daruͤber liegenden Bruſtbinde, ſo wie von
dem breitern, beſonders bei kriegeriſchen Geſtalten vorkom-
4menden Gurte unter der Bruſt (ζωστήρ). Ein Dop-
pelchiton
entſteht am einfachſten, wenn der obere Theil
des Tuches, welches den Chiton bilden ſoll, uͤbergeſchla-
gen wird, ſo daß dieſer Ueberſchlag mit ſeinem Saum
bis uͤber den Buſen und gegen die Huͤften herabreicht,
wo er in den Werken der aͤltern Griechiſchen Kunſt mit
dem vorher erwaͤhnten Bauſche einen parallelen Bogen
5zu beſchreiben pflegt. Indem das Tuch auf der linken
Seite weiter reicht als an der rechten, entſteht hier ein
Ueberhang und Faltenſchlag (ἀπόπτυγμα), welcher als
die groͤßte Zier der Griechiſchen Frauenkleidung von der
alterthuͤmlichen Kunſt eben ſo zierlich und regelmaͤßig,
wie von der ausgebildeten anmuthig und gefaͤllig gebildet
worden iſt.

1. Ueber den Unterſchied der beiden Chitonen Böttiger Raub
der Kaſſandra S. 60. Des Vf. Aeginetica p. 72. Dorier ii. S.
262. Den Doriſchen findet man in der Kunſt bei der Artemis, der Iris
(des Parthenon), Hebe, Nike, den Mänaden. Die Spartaniſchen
Jungfrauen waren im Gegenſatz der Frauen gewöhnlich μονοχίτωνες
(ebd. S. 265, auch Plut. Pyrrh. 17), und dienten in dieſem leichten
Kleide als Mundſchenken (Pythänetos u. Aa. ebd.); darnach iſt die
Hebe gebildet. Darum waren auch die Bilder der Mundſchenkin
Kleino in Alexandreia (Athen. x. p. 425) μονοχίτωνες, ῥυτὸν
κρατοῦντες ἐν ταῖς χερσίν.

2. Die Joniſche Tracht ſieht man beſonders an den Muſen;
an den Attiſchen Jungfrauen vom Parthenon erſcheint ſie nicht ganz

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[426/0448] Syſtematiſcher Theil. welchen die Jonier von den Karern und von jenen wie- der die Athener uͤberkamen, war von Linnen, ganz ge- naͤht, mit Aermeln (κόραις) verſehen, ſehr lang und fal- tenreich. Beide ſind in Kunſtwerken haͤufig und leicht zu erkennen. Bei beiden iſt fuͤr das gewoͤhnliche Co- ſtuͤm der Guͤrtel (ζώνη) weſentlich, welcher um die Huͤften liegt und durch das Heraufnehmen des Gewan- des den Bauſch (κόλπος) bildet. Er iſt wohl zu un- terſcheiden von der gewoͤhnlich unter dem Kleide, biswei- len aber auch daruͤber liegenden Bruſtbinde, ſo wie von dem breitern, beſonders bei kriegeriſchen Geſtalten vorkom- menden Gurte unter der Bruſt (ζωστήρ). Ein Dop- pelchiton entſteht am einfachſten, wenn der obere Theil des Tuches, welches den Chiton bilden ſoll, uͤbergeſchla- gen wird, ſo daß dieſer Ueberſchlag mit ſeinem Saum bis uͤber den Buſen und gegen die Huͤften herabreicht, wo er in den Werken der aͤltern Griechiſchen Kunſt mit dem vorher erwaͤhnten Bauſche einen parallelen Bogen zu beſchreiben pflegt. Indem das Tuch auf der linken Seite weiter reicht als an der rechten, entſteht hier ein Ueberhang und Faltenſchlag (ἀπόπτυγμα), welcher als die groͤßte Zier der Griechiſchen Frauenkleidung von der alterthuͤmlichen Kunſt eben ſo zierlich und regelmaͤßig, wie von der ausgebildeten anmuthig und gefaͤllig gebildet worden iſt. 3 4 5 1. Ueber den Unterſchied der beiden Chitonen Böttiger Raub der Kaſſandra S. 60. Des Vf. Aeginetica p. 72. Dorier ii. S. 262. Den Doriſchen findet man in der Kunſt bei der Artemis, der Iris (des Parthenon), Hebe, Nike, den Mänaden. Die Spartaniſchen Jungfrauen waren im Gegenſatz der Frauen gewöhnlich μονοχίτωνες (ebd. S. 265, auch Plut. Pyrrh. 17), und dienten in dieſem leichten Kleide als Mundſchenken (Pythänetos u. Aa. ebd.); darnach iſt die Hebe gebildet. Darum waren auch die Bilder der Mundſchenkin Kleino in Alexandreia (Athen. x. p. 425) μονοχίτωνες, ῥυτὸν κρατοῦντες ἐν ταῖς χερσίν. 2. Die Joniſche Tracht ſieht man beſonders an den Muſen; an den Attiſchen Jungfrauen vom Parthenon erſcheint ſie nicht ganz

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Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Handbuch der Archäologie der Kunst. Breslau, 1830, S. 426. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_kunst_1830/448>, abgerufen am 23.04.2024.