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Müller, Karl Otfried: Handbuch der Archäologie der Kunst. Breslau, 1830.

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Systematischer Theil.
Vorstellung des Gottes ist indeß, wenn sie auch einzelne
Kunstdarstellungen veranlaßte, doch nicht die Grundlage
3der Kunstform des Poseidon im Ganzen geworden; indem
schon in der Homerischen Poesie bei Poseidon die Vor-
stellung des Meergottes, und eben darum die eines Got-
tes vorherrscht, der, wenn auch erhaben und gewaltig,
doch ohne die ruhige Majestät des Zeus ist, vielmehr in
körperlicher und Gemüthsbewegung etwas Heftiges und
Rauhes hat, und einen gewissen Trotz und Unmuth zu
zeigen gewohnt ist, der in seinen Söhnen (Neptuni filii)
4zum Theil zu wilder Wuth ausartet. Obgleich nun
die Kunst hier nothwendig auf den gemeinsamen Grund-
charakter aller Götter zurückgehn, und die dichterische
Vorstellung mildern und mäßigen mußte: so hat sie doch
(durch welchen Künstler vor andern, ist unbekannt, wahr-
scheinlich besonders durch Darstellungen in Korinth ange-
5regt) dem Poseidon eckigere Formen, weniger Klarheit
und Ruhe in den Gesichtszügen, ein weniger fließendes
und geordnetes, mehr gesträubtes und durcheinandergewor-
fenes Haupthaar, und bei einem etwas schlankeren Kör-
6perbau derbere Musculatur als dem Zeus gegeben. Die
dunkelblaue, schwärzliche Farbe (das kuaneon) wird ge-
wöhnlich dem Haupthaar, oft auch der ganzen Gestalt
des Poseidon zugeschrieben.

2. Ein Poseidon georgos, mit einem Pfluge, Joch, und
Prora stehend, in einem Gemählde bei Philostr. ii, 17.

4. Aus Phidias Werkstatt der großartige Torso vom Parthenon.
mit schwellenden Adern, bei Nointel mit ausgespreizten Füßen,
§. 118, 2 c. Von zwei Korinthischen P. Bildern §. 355,
1. 4. Ein P. nebst einer Hera zu Korinth gefunden Winck.
vi. S. 199., in Ildefonso nach Heyne's Vorles. S. 202.

5. Ein P. Kopf, der das durcheinandergeworfene Haar zeigt,
vielleicht von Ostia, Chiaram. 24. Ausgezeichnet der am Ar-
cus Augusti
zu Ariminium (§. 190, 1. ii). Sehr gesträub-
tes und wild geworfenes Haar hat die Bronze eines stehenden
und sich an einen Kontos lehnenden P. von besonders rauhem An

Syſtematiſcher Theil.
Vorſtellung des Gottes iſt indeß, wenn ſie auch einzelne
Kunſtdarſtellungen veranlaßte, doch nicht die Grundlage
3der Kunſtform des Poſeidon im Ganzen geworden; indem
ſchon in der Homeriſchen Poeſie bei Poſeidon die Vor-
ſtellung des Meergottes, und eben darum die eines Got-
tes vorherrſcht, der, wenn auch erhaben und gewaltig,
doch ohne die ruhige Majeſtaͤt des Zeus iſt, vielmehr in
koͤrperlicher und Gemuͤthsbewegung etwas Heftiges und
Rauhes hat, und einen gewiſſen Trotz und Unmuth zu
zeigen gewohnt iſt, der in ſeinen Soͤhnen (Neptuni filii)
4zum Theil zu wilder Wuth ausartet. Obgleich nun
die Kunſt hier nothwendig auf den gemeinſamen Grund-
charakter aller Goͤtter zuruͤckgehn, und die dichteriſche
Vorſtellung mildern und maͤßigen mußte: ſo hat ſie doch
(durch welchen Kuͤnſtler vor andern, iſt unbekannt, wahr-
ſcheinlich beſonders durch Darſtellungen in Korinth ange-
5regt) dem Poſeidon eckigere Formen, weniger Klarheit
und Ruhe in den Geſichtszuͤgen, ein weniger fließendes
und geordnetes, mehr geſtraͤubtes und durcheinandergewor-
fenes Haupthaar, und bei einem etwas ſchlankeren Koͤr-
6perbau derbere Musculatur als dem Zeus gegeben. Die
dunkelblaue, ſchwaͤrzliche Farbe (das κυάνεον) wird ge-
woͤhnlich dem Haupthaar, oft auch der ganzen Geſtalt
des Poſeidon zugeſchrieben.

2. Ein Poſeidon γεωργὸς, mit einem Pfluge, Joch, und
Prora ſtehend, in einem Gemählde bei Philoſtr. ii, 17.

4. Aus Phidias Werkſtatt der großartige Torſo vom Parthenon.
mit ſchwellenden Adern, bei Nointel mit ausgeſpreizten Füßen,
§. 118, 2 c. Von zwei Korinthiſchen P. Bildern §. 355,
1. 4. Ein P. nebſt einer Hera zu Korinth gefunden Winck.
vi. S. 199., in Ildefonſo nach Heyne’s Vorleſ. S. 202.

5. Ein P. Kopf, der das durcheinandergeworfene Haar zeigt,
vielleicht von Oſtia, Chiaram. 24. Ausgezeichnet der am Ar-
cus Augusti
zu Ariminium (§. 190, 1. ii). Sehr geſträub-
tes und wild geworfenes Haar hat die Bronze eines ſtehenden
und ſich an einen Kontos lehnenden P. von beſonders rauhem An

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[452/0474] Syſtematiſcher Theil. Vorſtellung des Gottes iſt indeß, wenn ſie auch einzelne Kunſtdarſtellungen veranlaßte, doch nicht die Grundlage der Kunſtform des Poſeidon im Ganzen geworden; indem ſchon in der Homeriſchen Poeſie bei Poſeidon die Vor- ſtellung des Meergottes, und eben darum die eines Got- tes vorherrſcht, der, wenn auch erhaben und gewaltig, doch ohne die ruhige Majeſtaͤt des Zeus iſt, vielmehr in koͤrperlicher und Gemuͤthsbewegung etwas Heftiges und Rauhes hat, und einen gewiſſen Trotz und Unmuth zu zeigen gewohnt iſt, der in ſeinen Soͤhnen (Neptuni filii) zum Theil zu wilder Wuth ausartet. Obgleich nun die Kunſt hier nothwendig auf den gemeinſamen Grund- charakter aller Goͤtter zuruͤckgehn, und die dichteriſche Vorſtellung mildern und maͤßigen mußte: ſo hat ſie doch (durch welchen Kuͤnſtler vor andern, iſt unbekannt, wahr- ſcheinlich beſonders durch Darſtellungen in Korinth ange- regt) dem Poſeidon eckigere Formen, weniger Klarheit und Ruhe in den Geſichtszuͤgen, ein weniger fließendes und geordnetes, mehr geſtraͤubtes und durcheinandergewor- fenes Haupthaar, und bei einem etwas ſchlankeren Koͤr- perbau derbere Musculatur als dem Zeus gegeben. Die dunkelblaue, ſchwaͤrzliche Farbe (das κυάνεον) wird ge- woͤhnlich dem Haupthaar, oft auch der ganzen Geſtalt des Poſeidon zugeſchrieben. 3 4 5 6 2. Ein Poſeidon γεωργὸς, mit einem Pfluge, Joch, und Prora ſtehend, in einem Gemählde bei Philoſtr. ii, 17. 4. Aus Phidias Werkſtatt der großartige Torſo vom Parthenon. mit ſchwellenden Adern, bei Nointel mit ausgeſpreizten Füßen, §. 118, 2 c. Von zwei Korinthiſchen P. Bildern §. 355, 1. 4. Ein P. nebſt einer Hera zu Korinth gefunden Winck. vi. S. 199., in Ildefonſo nach Heyne’s Vorleſ. S. 202. 5. Ein P. Kopf, der das durcheinandergeworfene Haar zeigt, vielleicht von Oſtia, Chiaram. 24. Ausgezeichnet der am Ar- cus Augusti zu Ariminium (§. 190, 1. ii). Sehr geſträub- tes und wild geworfenes Haar hat die Bronze eines ſtehenden und ſich an einen Kontos lehnenden P. von beſonders rauhem An

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Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Handbuch der Archäologie der Kunst. Breslau, 1830, S. 452. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_kunst_1830/474>, abgerufen am 28.03.2024.