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Müller, Karl Otfried: Handbuch der Archäologie der Kunst. Breslau, 1830.

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Systematischer Theil.
digte, eine ethischpolitische Tendenz; er ward ein Gott,
der den Uebermüthigen vernichtet, den Guten schützt,
er wurde durch Sühnopfer reinigend, durch Musik das
Gemüth beruhigend, durch Weissagungen auf eine höhere
2Ordnung der Dinge hinweisend gedacht. In ältester
Zeit genügte ein konischer Pfeiler, auf die Straße ge-
stellt und Apollon Agyieus genannt (§. 66, 1), an die
schützende und heilbringende Macht des Gottes zu erin-
3nern. Rüstete man einen solchen Pfeiler mit Waffen
aus, wie es ungefähr am Amykläischen Apollon geschehn
war (§. 67.): so überwog die Vorstellung des furchtbaren,
strafenden, rächenden Gottes, und dies war in mehrern
4alten Idolen der Fall. Indeß wurde gewiß auch die
Kithar, als Sinnbild des beruhigten und beruhigenden
Gottes, zeitig an alte Holzbilder angehängt; und aus
der Kretischen Schule, welche sich besonders durch Dar-
stellungen des Apollon berühmt machte, ging der Delische
Apolloncoloss hervor, der die Chariten mit musischen In-
strumenten, Lyra, Flöte und Syrinx, auf der Hand
5trug. Apollon war ein Lieblingsgegenstand der gro-
ßen Künstler, welche Phidias zunächst vorhergingen, un-
ter denen Onatas den Gott als einen zum Jüngling rei-
fenden Knaben von großartiger Schönheit darstellte. Im
6Ganzen wurde indeß Apollon damals reifer, männlicher
gebildet, als später, die Glieder stärker, breiter, das
Gesicht runder, kürzer; der Ausdruck mehr ernst und
streng als lieblich und reizend. Ihn unbekleidet oder fast
unbekleidet darzustellen war damals schon gewöhnlich.
7So zeigen ihn zahlreiche Statuen, die Reliefs des Drei-
fußraubes, viele Vasengemählde, auch Münzen, auf denen
man die ältre Form des Apollokopfes, oft sehr anmuthig
ausgebildet aber im Ganzen als dieselbe, bis auf Phi-
lipps Zeiten findet. Der Lorbeerkranz, und das geschei-
telte, längs der Stirn zur Seite gestrichne, gewöhnlich
im Nacken herabwallende, bisweilen indeß auch aufgenom-
mene und zusammengesteckte Haar (akersekomes) bezeich-
nen den Gott.

Syſtematiſcher Theil.
digte, eine ethiſchpolitiſche Tendenz; er ward ein Gott,
der den Uebermuͤthigen vernichtet, den Guten ſchuͤtzt,
er wurde durch Suͤhnopfer reinigend, durch Muſik das
Gemuͤth beruhigend, durch Weiſſagungen auf eine hoͤhere
2Ordnung der Dinge hinweiſend gedacht. In aͤlteſter
Zeit genuͤgte ein koniſcher Pfeiler, auf die Straße ge-
ſtellt und Apollon Agyieus genannt (§. 66, 1), an die
ſchuͤtzende und heilbringende Macht des Gottes zu erin-
3nern. Ruͤſtete man einen ſolchen Pfeiler mit Waffen
aus, wie es ungefaͤhr am Amyklaͤiſchen Apollon geſchehn
war (§. 67.): ſo uͤberwog die Vorſtellung des furchtbaren,
ſtrafenden, raͤchenden Gottes, und dies war in mehrern
4alten Idolen der Fall. Indeß wurde gewiß auch die
Kithar, als Sinnbild des beruhigten und beruhigenden
Gottes, zeitig an alte Holzbilder angehaͤngt; und aus
der Kretiſchen Schule, welche ſich beſonders durch Dar-
ſtellungen des Apollon beruͤhmt machte, ging der Deliſche
Apolloncoloſſ hervor, der die Chariten mit muſiſchen In-
ſtrumenten, Lyra, Floͤte und Syrinx, auf der Hand
5trug. Apollon war ein Lieblingsgegenſtand der gro-
ßen Kuͤnſtler, welche Phidias zunaͤchſt vorhergingen, un-
ter denen Onatas den Gott als einen zum Juͤngling rei-
fenden Knaben von großartiger Schoͤnheit darſtellte. Im
6Ganzen wurde indeß Apollon damals reifer, maͤnnlicher
gebildet, als ſpaͤter, die Glieder ſtaͤrker, breiter, das
Geſicht runder, kuͤrzer; der Ausdruck mehr ernſt und
ſtreng als lieblich und reizend. Ihn unbekleidet oder faſt
unbekleidet darzuſtellen war damals ſchon gewoͤhnlich.
7So zeigen ihn zahlreiche Statuen, die Reliefs des Drei-
fußraubes, viele Vaſengemaͤhlde, auch Muͤnzen, auf denen
man die aͤltre Form des Apollokopfes, oft ſehr anmuthig
ausgebildet aber im Ganzen als dieſelbe, bis auf Phi-
lipps Zeiten findet. Der Lorbeerkranz, und das geſchei-
telte, laͤngs der Stirn zur Seite geſtrichne, gewoͤhnlich
im Nacken herabwallende, bisweilen indeß auch aufgenom-
mene und zuſammengeſteckte Haar (ἀκερσεκόμης) bezeich-
nen den Gott.

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[462/0484] Syſtematiſcher Theil. digte, eine ethiſchpolitiſche Tendenz; er ward ein Gott, der den Uebermuͤthigen vernichtet, den Guten ſchuͤtzt, er wurde durch Suͤhnopfer reinigend, durch Muſik das Gemuͤth beruhigend, durch Weiſſagungen auf eine hoͤhere Ordnung der Dinge hinweiſend gedacht. In aͤlteſter Zeit genuͤgte ein koniſcher Pfeiler, auf die Straße ge- ſtellt und Apollon Agyieus genannt (§. 66, 1), an die ſchuͤtzende und heilbringende Macht des Gottes zu erin- nern. Ruͤſtete man einen ſolchen Pfeiler mit Waffen aus, wie es ungefaͤhr am Amyklaͤiſchen Apollon geſchehn war (§. 67.): ſo uͤberwog die Vorſtellung des furchtbaren, ſtrafenden, raͤchenden Gottes, und dies war in mehrern alten Idolen der Fall. Indeß wurde gewiß auch die Kithar, als Sinnbild des beruhigten und beruhigenden Gottes, zeitig an alte Holzbilder angehaͤngt; und aus der Kretiſchen Schule, welche ſich beſonders durch Dar- ſtellungen des Apollon beruͤhmt machte, ging der Deliſche Apolloncoloſſ hervor, der die Chariten mit muſiſchen In- ſtrumenten, Lyra, Floͤte und Syrinx, auf der Hand trug. Apollon war ein Lieblingsgegenſtand der gro- ßen Kuͤnſtler, welche Phidias zunaͤchſt vorhergingen, un- ter denen Onatas den Gott als einen zum Juͤngling rei- fenden Knaben von großartiger Schoͤnheit darſtellte. Im Ganzen wurde indeß Apollon damals reifer, maͤnnlicher gebildet, als ſpaͤter, die Glieder ſtaͤrker, breiter, das Geſicht runder, kuͤrzer; der Ausdruck mehr ernſt und ſtreng als lieblich und reizend. Ihn unbekleidet oder faſt unbekleidet darzuſtellen war damals ſchon gewoͤhnlich. So zeigen ihn zahlreiche Statuen, die Reliefs des Drei- fußraubes, viele Vaſengemaͤhlde, auch Muͤnzen, auf denen man die aͤltre Form des Apollokopfes, oft ſehr anmuthig ausgebildet aber im Ganzen als dieſelbe, bis auf Phi- lipps Zeiten findet. Der Lorbeerkranz, und das geſchei- telte, laͤngs der Stirn zur Seite geſtrichne, gewoͤhnlich im Nacken herabwallende, bisweilen indeß auch aufgenom- mene und zuſammengeſteckte Haar (ἀκερσεκόμης) bezeich- nen den Gott. 2 3 4 5 6 7

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Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Handbuch der Archäologie der Kunst. Breslau, 1830, S. 462. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_kunst_1830/484>, abgerufen am 28.03.2024.