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Müller, Karl Otfried: Handbuch der Archäologie der Kunst. Breslau, 1830.

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Griechen. Erste Periode.
als Kreterin mit Jünglingen tanzt). Dies ist die Grundbedeutung
von khoros, vgl. Il. iii, 394. Od. viii, 260. nebst Eust., ihre
Festhaltung entfernt alle Schwierigkeiten. Die spätern Kreter ver-
standen die Stelle freilich anders, Paus. ix, 40.; auch d. j. Phi-
lostr. 10.

2. Ein sehr merkwürdiges architektonisches Bildwerk sind die
Kyklopischen Löwen auf dem Thor von Mykenä (vgl. die Sage
von den Mauern von Sardis Herod. i, 84) in einem zwar rohen
aber natürlich einfachen Styl. Paus. ii, 16, 4. W. Gell Ar-
gol. pl.
8 -- 10. Aehnlich war wohl das Kyklopische Gorgoneion,
Paus. ii, 20, 5.

65. Abgesehen von den äußern, in dem Mangel der
Technik liegenden Umständen, welche der Entwickelung
der bildenden Kunst große Hindernisse in den Weg leg-
ten, war es der ganze Charakter der Phantasie, beson-
ders der dem Leben der Götter und Heroen zugekehrten,
welcher in jener Zeit bei den Griechen die Ausbildung
der Plastik noch zurückhielt. Die Phantasie der Griechen,
wie sie in der epischen Poesie hervortritt, ist noch zu sehr
mit der Ausmahlung des Wunderbaren und Uebergewalti-
gen beschäftigt, die Vorstellungen von den Göttern haben
noch zu wenig sinnliche Bestimmtheit erlangt, als daß
die Poesie nicht unendlich besser zu ihrer Darstellung sich
geeignet haben sollte als die Plastik.

Es läßt sich wohl begreifen, daß zwischen der Zeit, welche
die Götter noch ganz im Herzen und Gefühl trägt, und der, welche
sie in plastische Gestalten verwandelt, eine in der Mitte steht; das
ist bei den Griechen die der epischen Poesie. Das plastische, feste
Gestalten bildende, Talent ist nicht zu verkennen, aber es bildet
sich erst durch die epische Poesie allmählig aus. -- Die Gestalten der
Götter sind gigantisch; ihre Erscheinungen nicht selten geisterhaft;
die Formen, in denen sie erscheinen, lassen sich oft wenig festhal-
ten. Beiwörter, Beschreibungen sind meist wenig plastisch. Auch
die Thaten der Heroen sind oft unplastisch, die des Achilleus am
meisten.

Darin liegt wohl der Grund der auffallenden Erscheinung,
warum die schmückenden Bildwerke am Schilde des Achill u. sonst

Griechen. Erſte Periode.
als Kreterin mit Jünglingen tanzt). Dies iſt die Grundbedeutung
von χορός, vgl. Il. iii, 394. Od. viii, 260. nebſt Euſt., ihre
Feſthaltung entfernt alle Schwierigkeiten. Die ſpätern Kreter ver-
ſtanden die Stelle freilich anders, Pauſ. ix, 40.; auch d. j. Phi-
loſtr. 10.

2. Ein ſehr merkwürdiges architektoniſches Bildwerk ſind die
Kyklopiſchen Löwen auf dem Thor von Mykenä (vgl. die Sage
von den Mauern von Sardis Herod. i, 84) in einem zwar rohen
aber natürlich einfachen Styl. Pauſ. ii, 16, 4. W. Gell Ar-
gol. pl.
8 — 10. Aehnlich war wohl das Kyklopiſche Gorgoneion,
Pauſ. ii, 20, 5.

65. Abgeſehen von den aͤußern, in dem Mangel der
Technik liegenden Umſtaͤnden, welche der Entwickelung
der bildenden Kunſt große Hinderniſſe in den Weg leg-
ten, war es der ganze Charakter der Phantaſie, beſon-
ders der dem Leben der Goͤtter und Heroen zugekehrten,
welcher in jener Zeit bei den Griechen die Ausbildung
der Plaſtik noch zuruͤckhielt. Die Phantaſie der Griechen,
wie ſie in der epiſchen Poeſie hervortritt, iſt noch zu ſehr
mit der Ausmahlung des Wunderbaren und Uebergewalti-
gen beſchaͤftigt, die Vorſtellungen von den Goͤttern haben
noch zu wenig ſinnliche Beſtimmtheit erlangt, als daß
die Poeſie nicht unendlich beſſer zu ihrer Darſtellung ſich
geeignet haben ſollte als die Plaſtik.

Es läßt ſich wohl begreifen, daß zwiſchen der Zeit, welche
die Götter noch ganz im Herzen und Gefühl trägt, und der, welche
ſie in plaſtiſche Geſtalten verwandelt, eine in der Mitte ſteht; das
iſt bei den Griechen die der epiſchen Poeſie. Das plaſtiſche, feſte
Geſtalten bildende, Talent iſt nicht zu verkennen, aber es bildet
ſich erſt durch die epiſche Poeſie allmählig aus. — Die Geſtalten der
Götter ſind gigantiſch; ihre Erſcheinungen nicht ſelten geiſterhaft;
die Formen, in denen ſie erſcheinen, laſſen ſich oft wenig feſthal-
ten. Beiwörter, Beſchreibungen ſind meiſt wenig plaſtiſch. Auch
die Thaten der Heroen ſind oft unplaſtiſch, die des Achilleus am
meiſten.

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warum die ſchmückenden Bildwerke am Schilde des Achill u. ſonſt

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[41/0063] Griechen. Erſte Periode. als Kreterin mit Jünglingen tanzt). Dies iſt die Grundbedeutung von χορός, vgl. Il. iii, 394. Od. viii, 260. nebſt Euſt., ihre Feſthaltung entfernt alle Schwierigkeiten. Die ſpätern Kreter ver- ſtanden die Stelle freilich anders, Pauſ. ix, 40.; auch d. j. Phi- loſtr. 10. 2. Ein ſehr merkwürdiges architektoniſches Bildwerk ſind die Kyklopiſchen Löwen auf dem Thor von Mykenä (vgl. die Sage von den Mauern von Sardis Herod. i, 84) in einem zwar rohen aber natürlich einfachen Styl. Pauſ. ii, 16, 4. W. Gell Ar- gol. pl. 8 — 10. Aehnlich war wohl das Kyklopiſche Gorgoneion, Pauſ. ii, 20, 5. 65. Abgeſehen von den aͤußern, in dem Mangel der Technik liegenden Umſtaͤnden, welche der Entwickelung der bildenden Kunſt große Hinderniſſe in den Weg leg- ten, war es der ganze Charakter der Phantaſie, beſon- ders der dem Leben der Goͤtter und Heroen zugekehrten, welcher in jener Zeit bei den Griechen die Ausbildung der Plaſtik noch zuruͤckhielt. Die Phantaſie der Griechen, wie ſie in der epiſchen Poeſie hervortritt, iſt noch zu ſehr mit der Ausmahlung des Wunderbaren und Uebergewalti- gen beſchaͤftigt, die Vorſtellungen von den Goͤttern haben noch zu wenig ſinnliche Beſtimmtheit erlangt, als daß die Poeſie nicht unendlich beſſer zu ihrer Darſtellung ſich geeignet haben ſollte als die Plaſtik. Es läßt ſich wohl begreifen, daß zwiſchen der Zeit, welche die Götter noch ganz im Herzen und Gefühl trägt, und der, welche ſie in plaſtiſche Geſtalten verwandelt, eine in der Mitte ſteht; das iſt bei den Griechen die der epiſchen Poeſie. Das plaſtiſche, feſte Geſtalten bildende, Talent iſt nicht zu verkennen, aber es bildet ſich erſt durch die epiſche Poeſie allmählig aus. — Die Geſtalten der Götter ſind gigantiſch; ihre Erſcheinungen nicht ſelten geiſterhaft; die Formen, in denen ſie erſcheinen, laſſen ſich oft wenig feſthal- ten. Beiwörter, Beſchreibungen ſind meiſt wenig plaſtiſch. Auch die Thaten der Heroen ſind oft unplaſtiſch, die des Achilleus am meiſten. Darin liegt wohl der Grund der auffallenden Erſcheinung, warum die ſchmückenden Bildwerke am Schilde des Achill u. ſonſt

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Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Handbuch der Archäologie der Kunst. Breslau, 1830, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_kunst_1830/63>, abgerufen am 28.03.2024.