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Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809.

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wie der esprit des loix muß man sich nicht
blenden lassen über die innere Mangelhaftig-
keit ihrer Natur. Alle Eigenschaften, die erfor-
derlich waren, dem achtzehnten Jahrhundert
zu imponiren, hatte Montesquieu; auch hatte
er alle, um das neunzehnte zu belehren: aber
befriedigen kann er uns nicht mehr. Von
dem, was wir "Geist der Gesetze" nennen,
handelt das berühmte Buch gar nicht: für
uns ist es ein Repertorium der Staatengeschich-
te, voll sinnreicher Einfälle und gründlicher
historischer Kritik; über den Bau der Staaten
aber, und ihr Leben, ist so wenig daraus zu
lernen, wie aus Bayle's Werke.

Das, worauf Montesquieu einen so hohen
Werth legt, die mechanische Theilung der Ge-
walten, die künstliche Beschränkung der Su-
veränetät um der Freiheit willen, ist, nach
unsern Erfahrungen, völlig unpraktisch, eine
Curiosität, eine Antiquität; und diese politische
Quacksalberei steht den Versuchen des Theo-
phrastus Paracelsus, in seinen chemischen Re-
torten und Flaschen Menschen zu machen, viel

wie der esprit des loix muß man ſich nicht
blenden laſſen uͤber die innere Mangelhaftig-
keit ihrer Natur. Alle Eigenſchaften, die erfor-
derlich waren, dem achtzehnten Jahrhundert
zu imponiren, hatte Montesquieu; auch hatte
er alle, um das neunzehnte zu belehren: aber
befriedigen kann er uns nicht mehr. Von
dem, was wir „Geiſt der Geſetze“ nennen,
handelt das beruͤhmte Buch gar nicht: fuͤr
uns iſt es ein Repertorium der Staatengeſchich-
te, voll ſinnreicher Einfaͤlle und gruͤndlicher
hiſtoriſcher Kritik; uͤber den Bau der Staaten
aber, und ihr Leben, iſt ſo wenig daraus zu
lernen, wie aus Bayle’s Werke.

Das, worauf Montesquieu einen ſo hohen
Werth legt, die mechaniſche Theilung der Ge-
walten, die kuͤnſtliche Beſchraͤnkung der Su-
veraͤnetaͤt um der Freiheit willen, iſt, nach
unſern Erfahrungen, voͤllig unpraktiſch, eine
Curioſitaͤt, eine Antiquitaͤt; und dieſe politiſche
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[XVIII/0024] wie der esprit des loix muß man ſich nicht blenden laſſen uͤber die innere Mangelhaftig- keit ihrer Natur. Alle Eigenſchaften, die erfor- derlich waren, dem achtzehnten Jahrhundert zu imponiren, hatte Montesquieu; auch hatte er alle, um das neunzehnte zu belehren: aber befriedigen kann er uns nicht mehr. Von dem, was wir „Geiſt der Geſetze“ nennen, handelt das beruͤhmte Buch gar nicht: fuͤr uns iſt es ein Repertorium der Staatengeſchich- te, voll ſinnreicher Einfaͤlle und gruͤndlicher hiſtoriſcher Kritik; uͤber den Bau der Staaten aber, und ihr Leben, iſt ſo wenig daraus zu lernen, wie aus Bayle’s Werke. Das, worauf Montesquieu einen ſo hohen Werth legt, die mechaniſche Theilung der Ge- walten, die kuͤnſtliche Beſchraͤnkung der Su- veraͤnetaͤt um der Freiheit willen, iſt, nach unſern Erfahrungen, voͤllig unpraktiſch, eine Curioſitaͤt, eine Antiquitaͤt; und dieſe politiſche Quackſalberei ſteht den Verſuchen des Theo- phraſtus Paracelſus, in ſeinen chemiſchen Re- torten und Flaſchen Menſchen zu machen, viel

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Zitationshilfe: Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809, S. XVIII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst01_1809/24>, abgerufen am 28.03.2024.