Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772.

Bild:
<< vorherige Seite



das Unglück eines Menschen zu freuen, den 17 Januar
dieses Jahrs, den Tag an welchem der Graf Struensee
fiel, für einen der erfreulichsten ihres Lebens hiel-
ten. Sie sahen nun die Rechte der Tugend und Fröm-
migkeit vor der Gefahr gesichert, von der sie ihnen be-
droht gewesen zu seyn schienen. Und durch eine natür-
liche Folge hofften sie nun auch allgemeine Sicherheit,
Treu und Glauben, Thätigkeit und Ueberfluß, denn das
alles war bisher sehr wankend gewesen und fast ver-
schwunden, bald wieder befestigt und hergestellt zu sehen.
Dem Manne selbst, von dem man nun nichts mehr zu
befürchten hatte, und dessen unglückliches Schicksal man
leicht muthmaßen konnte, wünschten sie Erkenntniß sei-
ner Jrrthümer und Vergehungen, und dann, Begna-
digung von der göttlichen Gerechtigkeit.

Als durch die über sein Verhalten angestellte ge-
richtlich Untersuchung so viel entdeckt worden war, daß
man wissen konnte, die Gesetze würden sein Leben als ein
Opfer der Gerechtigkeit fordern, erhielt ich den Befehl
des Königs ihn in seinem Gefängnisse zu besuchen, und
für das Beste seiner Seele zu sorgen.Jch kannte den
Mann gar nicht, und war ihm unbekannt; wir waren
allem Ansehen nach in unsern Grundsätzen und Gesin-
nungen sehr weit von einander entfernt; ich mußte er-
warten, daß er, allenfalls bloß wegen meines Amtes
und Geschäffts bey ihm, sehr mistrauisch gegen mich
seyn würde, so wie ich auf meiner Seite auch nicht eben
Ursache hatte viel Vertrauen auf ihn zu setzen. Weil ich
aber doch hoffen durfte, daß er in seiner Einsamkeit
allenfalls auch den Umgang eines Geistlichen erträglich
finden würde; weil ich mir bewußt war, daß ich wah-
res Mitleiden mit ihm hatte, und also gewiß nicht durch
bittere und unzeitige Vorwürfe sein Gemüht wider mich
und meine Absicht bey ihm einnehmen wollte; weil ich

end-



das Ungluͤck eines Menſchen zu freuen, den 17 Januar
dieſes Jahrs, den Tag an welchem der Graf Struenſee
fiel, fuͤr einen der erfreulichſten ihres Lebens hiel-
ten. Sie ſahen nun die Rechte der Tugend und Froͤm-
migkeit vor der Gefahr geſichert, von der ſie ihnen be-
droht geweſen zu ſeyn ſchienen. Und durch eine natuͤr-
liche Folge hofften ſie nun auch allgemeine Sicherheit,
Treu und Glauben, Thaͤtigkeit und Ueberfluß, denn das
alles war bisher ſehr wankend geweſen und faſt ver-
ſchwunden, bald wieder befeſtigt und hergeſtellt zu ſehen.
Dem Manne ſelbſt, von dem man nun nichts mehr zu
befuͤrchten hatte, und deſſen ungluͤckliches Schickſal man
leicht muthmaßen konnte, wuͤnſchten ſie Erkenntniß ſei-
ner Jrrthuͤmer und Vergehungen, und dann, Begna-
digung von der goͤttlichen Gerechtigkeit.

Als durch die uͤber ſein Verhalten angeſtellte ge-
richtlich Unterſuchung ſo viel entdeckt worden war, daß
man wiſſen konnte, die Geſetze wuͤrden ſein Leben als ein
Opfer der Gerechtigkeit fordern, erhielt ich den Befehl
des Koͤnigs ihn in ſeinem Gefaͤngniſſe zu beſuchen, und
fuͤr das Beſte ſeiner Seele zu ſorgen.Jch kannte den
Mann gar nicht, und war ihm unbekannt; wir waren
allem Anſehen nach in unſern Grundſaͤtzen und Geſin-
nungen ſehr weit von einander entfernt; ich mußte er-
warten, daß er, allenfalls bloß wegen meines Amtes
und Geſchaͤffts bey ihm, ſehr mistrauiſch gegen mich
ſeyn wuͤrde, ſo wie ich auf meiner Seite auch nicht eben
Urſache hatte viel Vertrauen auf ihn zu ſetzen. Weil ich
aber doch hoffen durfte, daß er in ſeiner Einſamkeit
allenfalls auch den Umgang eines Geiſtlichen ertraͤglich
finden wuͤrde; weil ich mir bewußt war, daß ich wah-
res Mitleiden mit ihm hatte, und alſo gewiß nicht durch
bittere und unzeitige Vorwuͤrfe ſein Gemuͤht wider mich
und meine Abſicht bey ihm einnehmen wollte; weil ich

end-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0014" n="2"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
das Unglu&#x0364;ck eines Men&#x017F;chen zu freuen, den 17 Januar<lb/>
die&#x017F;es Jahrs, den Tag an welchem der Graf Struen&#x017F;ee<lb/>
fiel, fu&#x0364;r einen der erfreulich&#x017F;ten ihres Lebens hiel-<lb/>
ten. Sie &#x017F;ahen nun die Rechte der Tugend und Fro&#x0364;m-<lb/>
migkeit vor der Gefahr ge&#x017F;ichert, von der &#x017F;ie ihnen be-<lb/>
droht gewe&#x017F;en zu &#x017F;eyn &#x017F;chienen. Und durch eine natu&#x0364;r-<lb/>
liche Folge hofften &#x017F;ie nun auch allgemeine Sicherheit,<lb/>
Treu und Glauben, Tha&#x0364;tigkeit und Ueberfluß, denn das<lb/>
alles war bisher &#x017F;ehr wankend gewe&#x017F;en und fa&#x017F;t ver-<lb/>
&#x017F;chwunden, bald wieder befe&#x017F;tigt und herge&#x017F;tellt zu &#x017F;ehen.<lb/>
Dem Manne &#x017F;elb&#x017F;t, von dem man nun nichts mehr zu<lb/>
befu&#x0364;rchten hatte, und de&#x017F;&#x017F;en unglu&#x0364;ckliches Schick&#x017F;al man<lb/>
leicht muthmaßen konnte, wu&#x0364;n&#x017F;chten &#x017F;ie Erkenntniß &#x017F;ei-<lb/>
ner Jrrthu&#x0364;mer und Vergehungen, und dann, Begna-<lb/>
digung von der go&#x0364;ttlichen Gerechtigkeit.</p><lb/>
        <p>Als durch die u&#x0364;ber &#x017F;ein Verhalten ange&#x017F;tellte ge-<lb/>
richtlich Unter&#x017F;uchung &#x017F;o viel entdeckt worden war, daß<lb/>
man wi&#x017F;&#x017F;en konnte, die Ge&#x017F;etze wu&#x0364;rden &#x017F;ein Leben als ein<lb/>
Opfer der Gerechtigkeit fordern, erhielt ich den Befehl<lb/>
des Ko&#x0364;nigs ihn in &#x017F;einem Gefa&#x0364;ngni&#x017F;&#x017F;e zu be&#x017F;uchen, und<lb/>
fu&#x0364;r das Be&#x017F;te &#x017F;einer Seele zu &#x017F;orgen.Jch kannte den<lb/>
Mann gar nicht, und war ihm unbekannt; wir waren<lb/>
allem An&#x017F;ehen nach in un&#x017F;ern Grund&#x017F;a&#x0364;tzen und Ge&#x017F;in-<lb/>
nungen &#x017F;ehr weit von einander entfernt; ich mußte er-<lb/>
warten, daß er, allenfalls bloß wegen meines Amtes<lb/>
und Ge&#x017F;cha&#x0364;ffts bey ihm, &#x017F;ehr mistraui&#x017F;ch gegen mich<lb/>
&#x017F;eyn wu&#x0364;rde, &#x017F;o wie ich auf meiner Seite auch nicht eben<lb/>
Ur&#x017F;ache hatte viel Vertrauen auf ihn zu &#x017F;etzen. Weil ich<lb/>
aber doch hoffen durfte, daß er in &#x017F;einer Ein&#x017F;amkeit<lb/>
allenfalls auch den Umgang eines Gei&#x017F;tlichen ertra&#x0364;glich<lb/>
finden wu&#x0364;rde; weil ich mir bewußt war, daß ich wah-<lb/>
res Mitleiden mit ihm hatte, und al&#x017F;o gewiß nicht durch<lb/>
bittere und unzeitige Vorwu&#x0364;rfe &#x017F;ein Gemu&#x0364;ht wider mich<lb/>
und meine Ab&#x017F;icht bey ihm einnehmen wollte; weil ich<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">end-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[2/0014] das Ungluͤck eines Menſchen zu freuen, den 17 Januar dieſes Jahrs, den Tag an welchem der Graf Struenſee fiel, fuͤr einen der erfreulichſten ihres Lebens hiel- ten. Sie ſahen nun die Rechte der Tugend und Froͤm- migkeit vor der Gefahr geſichert, von der ſie ihnen be- droht geweſen zu ſeyn ſchienen. Und durch eine natuͤr- liche Folge hofften ſie nun auch allgemeine Sicherheit, Treu und Glauben, Thaͤtigkeit und Ueberfluß, denn das alles war bisher ſehr wankend geweſen und faſt ver- ſchwunden, bald wieder befeſtigt und hergeſtellt zu ſehen. Dem Manne ſelbſt, von dem man nun nichts mehr zu befuͤrchten hatte, und deſſen ungluͤckliches Schickſal man leicht muthmaßen konnte, wuͤnſchten ſie Erkenntniß ſei- ner Jrrthuͤmer und Vergehungen, und dann, Begna- digung von der goͤttlichen Gerechtigkeit. Als durch die uͤber ſein Verhalten angeſtellte ge- richtlich Unterſuchung ſo viel entdeckt worden war, daß man wiſſen konnte, die Geſetze wuͤrden ſein Leben als ein Opfer der Gerechtigkeit fordern, erhielt ich den Befehl des Koͤnigs ihn in ſeinem Gefaͤngniſſe zu beſuchen, und fuͤr das Beſte ſeiner Seele zu ſorgen.Jch kannte den Mann gar nicht, und war ihm unbekannt; wir waren allem Anſehen nach in unſern Grundſaͤtzen und Geſin- nungen ſehr weit von einander entfernt; ich mußte er- warten, daß er, allenfalls bloß wegen meines Amtes und Geſchaͤffts bey ihm, ſehr mistrauiſch gegen mich ſeyn wuͤrde, ſo wie ich auf meiner Seite auch nicht eben Urſache hatte viel Vertrauen auf ihn zu ſetzen. Weil ich aber doch hoffen durfte, daß er in ſeiner Einſamkeit allenfalls auch den Umgang eines Geiſtlichen ertraͤglich finden wuͤrde; weil ich mir bewußt war, daß ich wah- res Mitleiden mit ihm hatte, und alſo gewiß nicht durch bittere und unzeitige Vorwuͤrfe ſein Gemuͤht wider mich und meine Abſicht bey ihm einnehmen wollte; weil ich end-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/muenter_bekehren_1772
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/muenter_bekehren_1772/14
Zitationshilfe: Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/muenter_bekehren_1772/14>, abgerufen am 19.04.2024.