Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772.

Bild:
<< vorherige Seite



Moses in seinem mündlichen Unterricht ihrer nie Erwäh-
nung gethan hat, so folgt doch aus diesem Stillschwei-
gen weder dieß, daß diese Lehre den Juden ganz unbe-
kannt gewesen und geblieben ist, noch dieses, daß die
Wahrheit der Sache selbst dadurch zweifelhaft wird. Sie
wissen, das jüdische Volk hatte in Egypten in der Unter-
drückung gelebt, und ohne Zweifel die Religionskennt-
nisse seiner Väter größtentheils verlohren. Es fieng nun
an unter Mose sich zu einem Volke zu bilden, es war in
seiner Kindheit, und bestand aus lauter rohen und sinn-
lichen Leuten. Konnte nun Gott nicht hinlängliche Ur-
sache haben, diesen Leuten, weil er sie noch unfähig fand,
sich zur Betrachtung so hoher Wahrheiten zu erheben,
die Lehre von der Unsterblichkeit der Seele vors erste
noch nicht eröffnen zu lassen? Sie werden überhaupt
finden, daß Gott in seinen Offenbahrungen stufenweise
fortgegangen ist, und die Menschen durch die vorherge-
henden zu den nachfolgenden zubereitet hat. Und das
war ja seiner Weisheit gemäß. Die spätern biblischen
Bücher enthalten allerdings Beweise und Spuren von
dieser Lehre, die in Mosis Schriften vermißt zu wer-
den scheint. Und der Geist der jüdischen Religion läßt
uns auch meiner Einsicht nach nicht daran zweifeln,
daß sie wenigstens den verständigen Juden bekannt ge-
wesen ist.

Sein anderer Zweifel betraf die Lehren, daß
Christus Gottes Sohn, und in dem einigen göttlichen
Wesen drey Personen seyn sollen. Jch sagte hierüber
weiter nichts, als daß ich mich itzt noch nicht auf diese
Einwürfe einlassen könnte, weil ihre Widerlegung rich-
tige biblische Vorstellungen von diesen Geheimnissen vor-
aussetzten, die ich itzt noch nicht bey ihm vermuthen
könnte. Jnzwischen möchte er vorläufig dieß bedenken,
daß diese geheimen Lehren nicht anders hätten offenbahrt

werden
E



Moſes in ſeinem muͤndlichen Unterricht ihrer nie Erwaͤh-
nung gethan hat, ſo folgt doch aus dieſem Stillſchwei-
gen weder dieß, daß dieſe Lehre den Juden ganz unbe-
kannt geweſen und geblieben iſt, noch dieſes, daß die
Wahrheit der Sache ſelbſt dadurch zweifelhaft wird. Sie
wiſſen, das juͤdiſche Volk hatte in Egypten in der Unter-
druͤckung gelebt, und ohne Zweifel die Religionskennt-
niſſe ſeiner Vaͤter groͤßtentheils verlohren. Es fieng nun
an unter Moſe ſich zu einem Volke zu bilden, es war in
ſeiner Kindheit, und beſtand aus lauter rohen und ſinn-
lichen Leuten. Konnte nun Gott nicht hinlaͤngliche Ur-
ſache haben, dieſen Leuten, weil er ſie noch unfaͤhig fand,
ſich zur Betrachtung ſo hoher Wahrheiten zu erheben,
die Lehre von der Unſterblichkeit der Seele vors erſte
noch nicht eroͤffnen zu laſſen? Sie werden uͤberhaupt
finden, daß Gott in ſeinen Offenbahrungen ſtufenweiſe
fortgegangen iſt, und die Menſchen durch die vorherge-
henden zu den nachfolgenden zubereitet hat. Und das
war ja ſeiner Weisheit gemaͤß. Die ſpaͤtern bibliſchen
Buͤcher enthalten allerdings Beweiſe und Spuren von
dieſer Lehre, die in Moſis Schriften vermißt zu wer-
den ſcheint. Und der Geiſt der juͤdiſchen Religion laͤßt
uns auch meiner Einſicht nach nicht daran zweifeln,
daß ſie wenigſtens den verſtaͤndigen Juden bekannt ge-
weſen iſt.

Sein anderer Zweifel betraf die Lehren, daß
Chriſtus Gottes Sohn, und in dem einigen goͤttlichen
Weſen drey Perſonen ſeyn ſollen. Jch ſagte hieruͤber
weiter nichts, als daß ich mich itzt noch nicht auf dieſe
Einwuͤrfe einlaſſen koͤnnte, weil ihre Widerlegung rich-
tige bibliſche Vorſtellungen von dieſen Geheimniſſen vor-
ausſetzten, die ich itzt noch nicht bey ihm vermuthen
koͤnnte. Jnzwiſchen moͤchte er vorlaͤufig dieß bedenken,
daß dieſe geheimen Lehren nicht anders haͤtten offenbahrt

werden
E
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0077" n="65"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
Mo&#x017F;es in &#x017F;einem mu&#x0364;ndlichen Unterricht ihrer nie Erwa&#x0364;h-<lb/>
nung gethan hat, &#x017F;o folgt doch aus die&#x017F;em Still&#x017F;chwei-<lb/>
gen weder dieß, daß die&#x017F;e Lehre den Juden ganz unbe-<lb/>
kannt gewe&#x017F;en und geblieben i&#x017F;t, noch die&#x017F;es, daß die<lb/>
Wahrheit der Sache &#x017F;elb&#x017F;t dadurch zweifelhaft wird. Sie<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en, das ju&#x0364;di&#x017F;che Volk hatte in Egypten in der Unter-<lb/>
dru&#x0364;ckung gelebt, und ohne Zweifel die Religionskennt-<lb/>
ni&#x017F;&#x017F;e &#x017F;einer Va&#x0364;ter gro&#x0364;ßtentheils verlohren. Es fieng nun<lb/>
an unter Mo&#x017F;e &#x017F;ich zu einem Volke zu bilden, es war in<lb/>
&#x017F;einer Kindheit, und be&#x017F;tand aus lauter rohen und &#x017F;inn-<lb/>
lichen Leuten. Konnte nun Gott nicht hinla&#x0364;ngliche Ur-<lb/>
&#x017F;ache haben, die&#x017F;en Leuten, weil er &#x017F;ie noch unfa&#x0364;hig fand,<lb/>
&#x017F;ich zur Betrachtung &#x017F;o hoher Wahrheiten zu erheben,<lb/>
die Lehre von der Un&#x017F;terblichkeit der Seele vors er&#x017F;te<lb/>
noch nicht ero&#x0364;ffnen zu la&#x017F;&#x017F;en? Sie werden u&#x0364;berhaupt<lb/>
finden, daß Gott in &#x017F;einen Offenbahrungen &#x017F;tufenwei&#x017F;e<lb/>
fortgegangen i&#x017F;t, und die Men&#x017F;chen durch die vorherge-<lb/>
henden zu den nachfolgenden zubereitet hat. Und das<lb/>
war ja &#x017F;einer Weisheit gema&#x0364;ß. Die &#x017F;pa&#x0364;tern bibli&#x017F;chen<lb/>
Bu&#x0364;cher enthalten allerdings Bewei&#x017F;e und Spuren von<lb/>
die&#x017F;er Lehre, die in Mo&#x017F;is Schriften vermißt zu wer-<lb/>
den &#x017F;cheint. Und der Gei&#x017F;t der ju&#x0364;di&#x017F;chen Religion la&#x0364;ßt<lb/>
uns auch meiner Ein&#x017F;icht nach nicht daran zweifeln,<lb/>
daß &#x017F;ie wenig&#x017F;tens den ver&#x017F;ta&#x0364;ndigen Juden bekannt ge-<lb/>
we&#x017F;en i&#x017F;t.</p><lb/>
        <p>Sein anderer Zweifel betraf die Lehren, daß<lb/>
Chri&#x017F;tus Gottes Sohn, und in dem einigen go&#x0364;ttlichen<lb/>
We&#x017F;en drey Per&#x017F;onen &#x017F;eyn &#x017F;ollen. Jch &#x017F;agte hieru&#x0364;ber<lb/>
weiter nichts, als daß ich mich itzt noch nicht auf die&#x017F;e<lb/>
Einwu&#x0364;rfe einla&#x017F;&#x017F;en ko&#x0364;nnte, weil ihre Widerlegung rich-<lb/>
tige bibli&#x017F;che Vor&#x017F;tellungen von die&#x017F;en Geheimni&#x017F;&#x017F;en vor-<lb/>
aus&#x017F;etzten, die ich itzt noch nicht bey ihm vermuthen<lb/>
ko&#x0364;nnte. Jnzwi&#x017F;chen mo&#x0364;chte er vorla&#x0364;ufig dieß bedenken,<lb/>
daß die&#x017F;e geheimen Lehren nicht anders ha&#x0364;tten offenbahrt<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">E</fw><fw place="bottom" type="catch">werden</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[65/0077] Moſes in ſeinem muͤndlichen Unterricht ihrer nie Erwaͤh- nung gethan hat, ſo folgt doch aus dieſem Stillſchwei- gen weder dieß, daß dieſe Lehre den Juden ganz unbe- kannt geweſen und geblieben iſt, noch dieſes, daß die Wahrheit der Sache ſelbſt dadurch zweifelhaft wird. Sie wiſſen, das juͤdiſche Volk hatte in Egypten in der Unter- druͤckung gelebt, und ohne Zweifel die Religionskennt- niſſe ſeiner Vaͤter groͤßtentheils verlohren. Es fieng nun an unter Moſe ſich zu einem Volke zu bilden, es war in ſeiner Kindheit, und beſtand aus lauter rohen und ſinn- lichen Leuten. Konnte nun Gott nicht hinlaͤngliche Ur- ſache haben, dieſen Leuten, weil er ſie noch unfaͤhig fand, ſich zur Betrachtung ſo hoher Wahrheiten zu erheben, die Lehre von der Unſterblichkeit der Seele vors erſte noch nicht eroͤffnen zu laſſen? Sie werden uͤberhaupt finden, daß Gott in ſeinen Offenbahrungen ſtufenweiſe fortgegangen iſt, und die Menſchen durch die vorherge- henden zu den nachfolgenden zubereitet hat. Und das war ja ſeiner Weisheit gemaͤß. Die ſpaͤtern bibliſchen Buͤcher enthalten allerdings Beweiſe und Spuren von dieſer Lehre, die in Moſis Schriften vermißt zu wer- den ſcheint. Und der Geiſt der juͤdiſchen Religion laͤßt uns auch meiner Einſicht nach nicht daran zweifeln, daß ſie wenigſtens den verſtaͤndigen Juden bekannt ge- weſen iſt. Sein anderer Zweifel betraf die Lehren, daß Chriſtus Gottes Sohn, und in dem einigen goͤttlichen Weſen drey Perſonen ſeyn ſollen. Jch ſagte hieruͤber weiter nichts, als daß ich mich itzt noch nicht auf dieſe Einwuͤrfe einlaſſen koͤnnte, weil ihre Widerlegung rich- tige bibliſche Vorſtellungen von dieſen Geheimniſſen vor- ausſetzten, die ich itzt noch nicht bey ihm vermuthen koͤnnte. Jnzwiſchen moͤchte er vorlaͤufig dieß bedenken, daß dieſe geheimen Lehren nicht anders haͤtten offenbahrt werden E

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/muenter_bekehren_1772
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/muenter_bekehren_1772/77
Zitationshilfe: Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/muenter_bekehren_1772/77>, abgerufen am 25.04.2024.