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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

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absolviert, also muß er auch alles wissen, muß ungefähr
so weise sein, wie der erleuchtete Buddha selbst". Von
dem Missionar Dr. Knox wird allen Ernstes erzählt,
als er nach Kochi kam, glaubte das Volk, daß er
alles wisse, und erbat seinen Rat über alles und jedes,
von der Papierfabrikation bis zu den Geheimnissen der
Staatskunst. Und wenn die Verhältnisse seitdem auch
mit Bezug auf die Taxierung der Fremden etwas anders
geworden sind, so müßte auch heute noch der richtige
Missionar eigentlich ein wandelndes Konservations-
lexikon sein oder, noch besser, ein Automat für alles,
daran man nur zu tippen braucht, und das Gewünschte
ist auch schon da. Nirgends kommt man so rasch zu
der Erkenntnis, daß man nichts weiß, wie gerade in
Japan. Und wenn Sokrates es in feiner Ironie ver-
standen hat, die wissensstolzen Athener auf das Eis
zu führen, so bringen das die Japaner in unbeab-
sichtigter Naivetät nicht minder gut fertig. Da kommt
ein Gelehrter und fragt mich aus über die naturwissen-
schaftliche Entwicklungslehre, und wie sich dieselbe mit
einem theistischen Gottesbegriff vereinigen lasse; dann
klopft ein buddhistischer Priester von der spiritistisch-
okkultistisch angehauchten Zensekte an und möchte haar-
scharf über die Bedeutung der Worte: "Sie werden Gott
schauen" aufgeklärt sein, eine Aufgabe, dabei der Missionar
schon von vornhein das keineswegs angenehme Gefühl
hat, daß er selbst mit der peinlichsten Exegese diesen
Mann nicht befriedigen wird; und schließlich kommt
ein dritter, welchen der Wissensdurst plagt, und fragt,
wie viele Kirchen Berlin habe. Manchmal sitzt man
mit ihnen zusammen, und in drei Sprachen, japanisch,
deutsch und englisch, gehen die Fragen und Antworten
hin und her.

abſolviert, alſo muß er auch alles wiſſen, muß ungefähr
ſo weiſe ſein, wie der erleuchtete Buddha ſelbſt“. Von
dem Miſſionar Dr. Knox wird allen Ernſtes erzählt,
als er nach Kochi kam, glaubte das Volk, daß er
alles wiſſe, und erbat ſeinen Rat über alles und jedes,
von der Papierfabrikation bis zu den Geheimniſſen der
Staatskunſt. Und wenn die Verhältniſſe ſeitdem auch
mit Bezug auf die Taxierung der Fremden etwas anders
geworden ſind, ſo müßte auch heute noch der richtige
Miſſionar eigentlich ein wandelndes Konſervations-
lexikon ſein oder, noch beſſer, ein Automat für alles,
daran man nur zu tippen braucht, und das Gewünſchte
iſt auch ſchon da. Nirgends kommt man ſo raſch zu
der Erkenntnis, daß man nichts weiß, wie gerade in
Japan. Und wenn Sokrates es in feiner Ironie ver-
ſtanden hat, die wiſſensſtolzen Athener auf das Eis
zu führen, ſo bringen das die Japaner in unbeab-
ſichtigter Naivetät nicht minder gut fertig. Da kommt
ein Gelehrter und fragt mich aus über die naturwiſſen-
ſchaftliche Entwicklungslehre, und wie ſich dieſelbe mit
einem theiſtiſchen Gottesbegriff vereinigen laſſe; dann
klopft ein buddhiſtiſcher Prieſter von der ſpiritiſtiſch-
okkultiſtiſch angehauchten Zenſekte an und möchte haar-
ſcharf über die Bedeutung der Worte: „Sie werden Gott
ſchauen“ aufgeklärt ſein, eine Aufgabe, dabei der Miſſionar
ſchon von vornhein das keineswegs angenehme Gefühl
hat, daß er ſelbſt mit der peinlichſten Exegeſe dieſen
Mann nicht befriedigen wird; und ſchließlich kommt
ein dritter, welchen der Wiſſensdurſt plagt, und fragt,
wie viele Kirchen Berlin habe. Manchmal ſitzt man
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deutſch und engliſch, gehen die Fragen und Antworten
hin und her.

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[303/0317] abſolviert, alſo muß er auch alles wiſſen, muß ungefähr ſo weiſe ſein, wie der erleuchtete Buddha ſelbſt“. Von dem Miſſionar Dr. Knox wird allen Ernſtes erzählt, als er nach Kochi kam, glaubte das Volk, daß er alles wiſſe, und erbat ſeinen Rat über alles und jedes, von der Papierfabrikation bis zu den Geheimniſſen der Staatskunſt. Und wenn die Verhältniſſe ſeitdem auch mit Bezug auf die Taxierung der Fremden etwas anders geworden ſind, ſo müßte auch heute noch der richtige Miſſionar eigentlich ein wandelndes Konſervations- lexikon ſein oder, noch beſſer, ein Automat für alles, daran man nur zu tippen braucht, und das Gewünſchte iſt auch ſchon da. Nirgends kommt man ſo raſch zu der Erkenntnis, daß man nichts weiß, wie gerade in Japan. Und wenn Sokrates es in feiner Ironie ver- ſtanden hat, die wiſſensſtolzen Athener auf das Eis zu führen, ſo bringen das die Japaner in unbeab- ſichtigter Naivetät nicht minder gut fertig. Da kommt ein Gelehrter und fragt mich aus über die naturwiſſen- ſchaftliche Entwicklungslehre, und wie ſich dieſelbe mit einem theiſtiſchen Gottesbegriff vereinigen laſſe; dann klopft ein buddhiſtiſcher Prieſter von der ſpiritiſtiſch- okkultiſtiſch angehauchten Zenſekte an und möchte haar- ſcharf über die Bedeutung der Worte: „Sie werden Gott ſchauen“ aufgeklärt ſein, eine Aufgabe, dabei der Miſſionar ſchon von vornhein das keineswegs angenehme Gefühl hat, daß er ſelbſt mit der peinlichſten Exegeſe dieſen Mann nicht befriedigen wird; und ſchließlich kommt ein dritter, welchen der Wiſſensdurſt plagt, und fragt, wie viele Kirchen Berlin habe. Manchmal ſitzt man mit ihnen zuſammen, und in drei Sprachen, japaniſch, deutſch und engliſch, gehen die Fragen und Antworten hin und her.

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Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 303. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/317>, abgerufen am 19.04.2024.