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Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 1, 2. Aufl. Altenburg, 1779.

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Am Tage Bartholomäi.
Bewegungsgründe zur Reise.
Morgens um 4 Uhr.

Ein schöner heitrer Tag! Jst mir gar
wohl zu Muth', bin heut früher aufgestan-
den als die liebe Sonn, und seh mit Lust
wie meine Wachskerz sich vor den Tages-
licht scheut, und ihren ganzen Schimmer,
der vorher das Gemach erleuchtet', nun de-
müthig in ein klein halb sichtbar Flämm-
lein sammlet. Jn meiner Seel beginnt's
auch immer mehr und mehr zu tagen: was
mir zuvor schwarz vor den Augen lag, wie
die egyptische Finsterniß, daß wird mir in
einer heitern physiognomischen Morgen-
stund' Lichthell und klar, wie Sonnen-
schein. Bald hätt ich dem Markus Un-
recht gethan, und ihn für die ehrlichste
Haut unter dem Mond geachtet; hätt'
der Schalk schier meinen physiognomischen

Glau-


Am Tage Bartholomaͤi.
Bewegungsgruͤnde zur Reiſe.
Morgens um 4 Uhr.

Ein ſchoͤner heitrer Tag! Jſt mir gar
wohl zu Muth’, bin heut fruͤher aufgeſtan-
den als die liebe Sonn, und ſeh mit Luſt
wie meine Wachskerz ſich vor den Tages-
licht ſcheut, und ihren ganzen Schimmer,
der vorher das Gemach erleuchtet’, nun de-
muͤthig in ein klein halb ſichtbar Flaͤmm-
lein ſammlet. Jn meiner Seel beginnt’s
auch immer mehr und mehr zu tagen: was
mir zuvor ſchwarz vor den Augen lag, wie
die egyptiſche Finſterniß, daß wird mir in
einer heitern phyſiognomiſchen Morgen-
ſtund’ Lichthell und klar, wie Sonnen-
ſchein. Bald haͤtt ich dem Markus Un-
recht gethan, und ihn fuͤr die ehrlichſte
Haut unter dem Mond geachtet; haͤtt’
der Schalk ſchier meinen phyſiognomiſchen

Glau-
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[188/0194] Am Tage Bartholomaͤi. Bewegungsgruͤnde zur Reiſe. Morgens um 4 Uhr. Ein ſchoͤner heitrer Tag! Jſt mir gar wohl zu Muth’, bin heut fruͤher aufgeſtan- den als die liebe Sonn, und ſeh mit Luſt wie meine Wachskerz ſich vor den Tages- licht ſcheut, und ihren ganzen Schimmer, der vorher das Gemach erleuchtet’, nun de- muͤthig in ein klein halb ſichtbar Flaͤmm- lein ſammlet. Jn meiner Seel beginnt’s auch immer mehr und mehr zu tagen: was mir zuvor ſchwarz vor den Augen lag, wie die egyptiſche Finſterniß, daß wird mir in einer heitern phyſiognomiſchen Morgen- ſtund’ Lichthell und klar, wie Sonnen- ſchein. Bald haͤtt ich dem Markus Un- recht gethan, und ihn fuͤr die ehrlichſte Haut unter dem Mond geachtet; haͤtt’ der Schalk ſchier meinen phyſiognomiſchen Glau-

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Zitationshilfe: Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 1, 2. Aufl. Altenburg, 1779, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen01_1779/194>, abgerufen am 28.03.2024.