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Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 1, 2. Aufl. Altenburg, 1779.

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Personen, die er nur einmal gesehen hatte,
zu beurtheilen, und das mit so viel Richtig-
keit, daß Pater Suadens, sein damaliger
Busenfreund, ein vernünftiger kaltblütiger
Mann der Meinung war, er müsse ein se-
cretum naturale
haben; wiewohl andere
daraus Schwärmerey und Aberwitz weissag-
ten. Dieses Studium lebt iezt wieder bey
Gaßnern auf: er beschäftiget sich gegenwär-
tig, die Physiognomie der merkwürdigsten
Besessenen, die er im Paroxismus, vor oder
während der Exorcisation, von einem guten
Meister hat zeichnen lassen, als einen phy-
siognomischen Beytrag der Welt vor Augen
zu stellen, und vermeint dadurch wenigstens
die Kunstverständigen auf seine Seite zu
bringen, und sie zu überzeugen, daß ein Ge-
sicht eben so leserlich Buchstabe der Verteu-
felung seyn könne, wie O Buchstabe der Be-
wunderung und des Erstaunens ist.

Es ist mir gelungen einige dieser Zeich-
nungen von einem Mitgliede der exspirirten
kaiserlichen franziscischen Kunstakademie,
Herrn Jgnaz Hagemeyer, einem Vetter
des Dr. Hagemeyers, Physikers der Stadt
Scherbenhaußen in Bayern, ehemaligen
Schildhalters und Waffenträgers des geist-

lichen

Perſonen, die er nur einmal geſehen hatte,
zu beurtheilen, und das mit ſo viel Richtig-
keit, daß Pater Suadens, ſein damaliger
Buſenfreund, ein vernuͤnftiger kaltbluͤtiger
Mann der Meinung war, er muͤſſe ein ſe-
cretum naturale
haben; wiewohl andere
daraus Schwaͤrmerey und Aberwitz weiſſag-
ten. Dieſes Studium lebt iezt wieder bey
Gaßnern auf: er beſchaͤftiget ſich gegenwaͤr-
tig, die Phyſiognomie der merkwuͤrdigſten
Beſeſſenen, die er im Paroxismus, vor oder
waͤhrend der Exorciſation, von einem guten
Meiſter hat zeichnen laſſen, als einen phy-
ſiognomiſchen Beytrag der Welt vor Augen
zu ſtellen, und vermeint dadurch wenigſtens
die Kunſtverſtaͤndigen auf ſeine Seite zu
bringen, und ſie zu uͤberzeugen, daß ein Ge-
ſicht eben ſo leſerlich Buchſtabe der Verteu-
felung ſeyn koͤnne, wie O Buchſtabe der Be-
wunderung und des Erſtaunens iſt.

Es iſt mir gelungen einige dieſer Zeich-
nungen von einem Mitgliede der exſpirirten
kaiſerlichen franziſciſchen Kunſtakademie,
Herrn Jgnaz Hagemeyer, einem Vetter
des Dr. Hagemeyers, Phyſikers der Stadt
Scherbenhaußen in Bayern, ehemaligen
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lichen
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[50/0056] Perſonen, die er nur einmal geſehen hatte, zu beurtheilen, und das mit ſo viel Richtig- keit, daß Pater Suadens, ſein damaliger Buſenfreund, ein vernuͤnftiger kaltbluͤtiger Mann der Meinung war, er muͤſſe ein ſe- cretum naturale haben; wiewohl andere daraus Schwaͤrmerey und Aberwitz weiſſag- ten. Dieſes Studium lebt iezt wieder bey Gaßnern auf: er beſchaͤftiget ſich gegenwaͤr- tig, die Phyſiognomie der merkwuͤrdigſten Beſeſſenen, die er im Paroxismus, vor oder waͤhrend der Exorciſation, von einem guten Meiſter hat zeichnen laſſen, als einen phy- ſiognomiſchen Beytrag der Welt vor Augen zu ſtellen, und vermeint dadurch wenigſtens die Kunſtverſtaͤndigen auf ſeine Seite zu bringen, und ſie zu uͤberzeugen, daß ein Ge- ſicht eben ſo leſerlich Buchſtabe der Verteu- felung ſeyn koͤnne, wie O Buchſtabe der Be- wunderung und des Erſtaunens iſt. Es iſt mir gelungen einige dieſer Zeich- nungen von einem Mitgliede der exſpirirten kaiſerlichen franziſciſchen Kunſtakademie, Herrn Jgnaz Hagemeyer, einem Vetter des Dr. Hagemeyers, Phyſikers der Stadt Scherbenhaußen in Bayern, ehemaligen Schildhalters und Waffentraͤgers des geiſt- lichen

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Zitationshilfe: Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 1, 2. Aufl. Altenburg, 1779, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen01_1779/56>, abgerufen am 19.04.2024.