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Nathusius, Marie: Die Kammerjungfer. Eine Stadtgeschichte. Halle (Saale), 1851.

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griff nach einem zweiten, da waren einige Risse in
der Mitte.

Die infamen baumwollenen Tücher halten für gar
nichts! sagte sie ärgerlich.

Gieb her, Kind, ich hefte es gleich ein Bißchen
zu! tröstete die Mutter, fädelte eine Nadel ein und
zog mit langen Stichen die Risse zu. Während dessen
suchte Klärchen aus einem Häufchen heller Glaceehand¬
schuh das leidlichste Paar heraus.

Wo in aller Welt nur immer die rechten Hand¬
schuh bleiben! klagte Klärchen wieder. Linke habe ich
wohl sechs, sieben, und rechte nur drei, und dumm
genug habe ich vergessen sie waschen zu lassen, sie se¬
hen aus wie die Mohren. Ach was! setzte sie ent¬
schlossen hinzu: ich hole ein Paar neue. Sechs Gro¬
schen mehr oder weniger! Zu meinem himmelblauen
Musselin-Kleide gehören reine Handschuh.

Tante Rieke sagte am vergangenen Sonntag: Soll¬
test lieber waschlederne Handschuh tragen wie Gret¬
chen. Denke mal an, die hat ihre Confirmationshand¬
schuh noch.

Wahrhaftig? staunte Klärchen; nein, das Mira¬
kel muß ich meinen Freundinnen erzählen, es sieht aber
akkurat aus wie Gretchen Bendler. Zur Kirche und
höchstens zu einem ehrbaren Spaziergang in's Feld
werden die Handschuh angezogen, aber eine Hand hat
Gretchen in den waschledernen wie ein Eisbär. Nun
gut, ein jeder sehe wie er's treibe, ein jeder sehe wo
er bleibe, sagt Göthe. Auch sind die Gaben der
Menschen verschieden. -- Bei diesen Worten hatte sie
die himmelblaue Hutschleife zugebunden, das geflickte

griff nach einem zweiten, da waren einige Riſſe in
der Mitte.

Die infamen baumwollenen Tücher halten für gar
nichts! ſagte ſie ärgerlich.

Gieb her, Kind, ich hefte es gleich ein Bißchen
zu! tröſtete die Mutter, fädelte eine Nadel ein und
zog mit langen Stichen die Riſſe zu. Während deſſen
ſuchte Klärchen aus einem Häufchen heller Glaceehand¬
ſchuh das leidlichſte Paar heraus.

Wo in aller Welt nur immer die rechten Hand¬
ſchuh bleiben! klagte Klärchen wieder. Linke habe ich
wohl ſechs, ſieben, und rechte nur drei, und dumm
genug habe ich vergeſſen ſie waſchen zu laſſen, ſie ſe¬
hen aus wie die Mohren. Ach was! ſetzte ſie ent¬
ſchloſſen hinzu: ich hole ein Paar neue. Sechs Gro¬
ſchen mehr oder weniger! Zu meinem himmelblauen
Muſſelin-Kleide gehören reine Handſchuh.

Tante Rieke ſagte am vergangenen Sonntag: Soll¬
teſt lieber waſchlederne Handſchuh tragen wie Gret¬
chen. Denke mal an, die hat ihre Confirmationshand¬
ſchuh noch.

Wahrhaftig? ſtaunte Klärchen; nein, das Mira¬
kel muß ich meinen Freundinnen erzählen, es ſieht aber
akkurat aus wie Gretchen Bendler. Zur Kirche und
höchſtens zu einem ehrbaren Spaziergang in's Feld
werden die Handſchuh angezogen, aber eine Hand hat
Gretchen in den waſchledernen wie ein Eisbär. Nun
gut, ein jeder ſehe wie er's treibe, ein jeder ſehe wo
er bleibe, ſagt Göthe. Auch ſind die Gaben der
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[7/0013] griff nach einem zweiten, da waren einige Riſſe in der Mitte. Die infamen baumwollenen Tücher halten für gar nichts! ſagte ſie ärgerlich. Gieb her, Kind, ich hefte es gleich ein Bißchen zu! tröſtete die Mutter, fädelte eine Nadel ein und zog mit langen Stichen die Riſſe zu. Während deſſen ſuchte Klärchen aus einem Häufchen heller Glaceehand¬ ſchuh das leidlichſte Paar heraus. Wo in aller Welt nur immer die rechten Hand¬ ſchuh bleiben! klagte Klärchen wieder. Linke habe ich wohl ſechs, ſieben, und rechte nur drei, und dumm genug habe ich vergeſſen ſie waſchen zu laſſen, ſie ſe¬ hen aus wie die Mohren. Ach was! ſetzte ſie ent¬ ſchloſſen hinzu: ich hole ein Paar neue. Sechs Gro¬ ſchen mehr oder weniger! Zu meinem himmelblauen Muſſelin-Kleide gehören reine Handſchuh. Tante Rieke ſagte am vergangenen Sonntag: Soll¬ teſt lieber waſchlederne Handſchuh tragen wie Gret¬ chen. Denke mal an, die hat ihre Confirmationshand¬ ſchuh noch. Wahrhaftig? ſtaunte Klärchen; nein, das Mira¬ kel muß ich meinen Freundinnen erzählen, es ſieht aber akkurat aus wie Gretchen Bendler. Zur Kirche und höchſtens zu einem ehrbaren Spaziergang in's Feld werden die Handſchuh angezogen, aber eine Hand hat Gretchen in den waſchledernen wie ein Eisbär. Nun gut, ein jeder ſehe wie er's treibe, ein jeder ſehe wo er bleibe, ſagt Göthe. Auch ſind die Gaben der Menſchen verſchieden. — Bei dieſen Worten hatte ſie die himmelblaue Hutſchleife zugebunden, das geflickte

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Zitationshilfe: Nathusius, Marie: Die Kammerjungfer. Eine Stadtgeschichte. Halle (Saale), 1851, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nathusius_kammerjungfer_1851/13>, abgerufen am 23.04.2024.